# taz.de -- Algorithmen im Ballsport: „Fußball ist eine Oase des Zufalls“ | |
> Kontrollfreaks dominieren den Fußball. Der Philosoph Wolfram Eilenberger | |
> über die wunderbare Macht des Unerklärlichen. | |
Bild: „De Ästhetik der Großstadt – das Flüchtige, das Ambivalente, das K… | |
taz.am wochenende: Herr Eilenberger, Sie besitzen doch eine Trainerlizenz. | |
Welchen Verein würden Sie gerne trainieren? | |
Wolfram Eilenberger: Mein B-Trainerschein von 1992 reicht nur für die | |
Verbandsliga. | |
Und wenn Sie in die Bundesliga dürften? | |
Das wäre ein Klub mit ungeheuerlich brachliegendem Potenzial: Hertha BSC | |
Berlin. Es ist sagenhaft, wie dieser Klub an den Bedürfnissen der Stadt | |
vorbei gemanagt wurde und wird. Der Verein ist in einem provinziellen und | |
muffigen westdeutschen Milieu hängen geblieben, während sich das neue | |
Berlin kosmopolitisch weiterentwickelt hat. Es ist ein einziger Jammer. | |
Statt Profitrainer sind Sie Philosoph geworden. Weshalb ist der Fußball ein | |
Fall für Ihr Fachgebiet? | |
Es ist das Spiel der modernen Welt, das partiell drei Milliarden Menschen | |
in seinen Bann zieht. Das wirft Fragen auf: Was ist der Mensch? Was ist | |
seine Sehnsucht? Der Fußball bedient die Sehnsucht des modernen Menschen in | |
besonderer Weise. Das hat sehr viel mit dem Begriff der Unverfügbarkeit zu | |
tun, der in der Philosophie an den Begriff der Kontingenz gekoppelt ist. | |
Der Fußball wird durch den Zufall bestimmt, er zelebriert die | |
Unverfügbarkeit unseres Daseins. | |
Wie meinen Sie das? | |
Im Kern des Spiels geht es darum, Menschen unter Regelbedingungen in | |
Situationen zu bringen, die sie nicht selbstbestimmt lösen können. Das hat | |
auch ganz wesentlich mit großstädtischer Erfahrung zu tun. Denn die | |
Ästhetik der Großstadt, so wie sie Baudelaire beschreibt – das Flüchtige, | |
das Ambivalente, das Kontingente –, trifft auch die innere Logik des | |
Fußballs. Daraus schöpft er sein dramatisches Potenzial. | |
Was war denn dann das größte Drama, an das Sie sich erinnern können? | |
Das war die Finalniederlage von Bayern München gegen Manchester United 1999 | |
im Champions-League-Finale. Was für ein Einbruch des Unerklärlichen! | |
Sheringham, auf dünnen Zufallsbeinen in der 91. Minute, dann Joker | |
Solksjaer in der 93. Minute schießen Manchester in der Nachspielzeit zum | |
Titel. Das war auch gleichzeitig das traurigste Spiel, das ich je gesehen | |
habe. Aber dies ist für mich die Verkörperung dessen, was Fußball sein | |
soll. Die schlechtere Mannschaft hat in einer unglaublichen Dramatik | |
gewonnen. Das ist nicht nur dumme Romantik. Das sagt uns etwas über die | |
Erwartung, die wir an das Spiel herantragen. Die Erwartung ist nicht das | |
Gewinnen, sondern das Überraschtwerden. | |
Es geht nicht ums Gewinnen? | |
Im Fußball werden die Erfahrungsformen, die für uns im Alltag bestimmend | |
sind, in einer distanzierten Weise aufgeführt. So kann man sie besser | |
ertragen, gar genießen. Es steckt viel Weisheit in Sepp Herbergers Spruch: | |
Fußball ist unser Leben. Vor allem, weil er wie kaum eine andere Sportart | |
Situationen erzeugt, in denen Menschen für die Dinge verantwortlich gemacht | |
werden, für die sie gar nichts können – und zwar im Guten wie im | |
Schlechten. Niemand kontrolliert das Spiel, niemand übersieht es, und doch | |
gibt es ständig Schuldige. Die positive Deutung dieses Grundverhältnisses | |
spricht sich im Begriff des „Glückens“ aus. Denn im Glücken finden Dinge | |
zueinander, die bei gleicher Handlungsweise auch ganz anders hätten | |
ausgehen können. | |
Dieses „Glücken“, also der Zufall, wird gerade bedroht. | |
In der Tat. Es gibt im Fußball derzeit starke Dekontingenzierungstendenzen. | |
Denken Sie an das Hallendach, also den Ausschluss des Wetters und dessen | |
Launen. Dann der Kunstrasen als eine möglichst ebenmäßige Spielgrundlage. | |
Die neuen digitalen Schiedsrichtermöglichkeiten. Die Torkamera. Diese | |
Bewegungen der Dekontingenzierung des Fußballs tun, so glaube ich, dem | |
Spiel nicht gut. | |
Ein britischer Wettanbieter [1][sorgt gerade für Furore], er lässt nach | |
Statistiken und Wahrscheinlichkeitsrechnung spielen. Der dänische Verein FC | |
Midtjylland hat sich unter die Regie seiner Algorithmen begeben und ist | |
trotz geringen Etats Meister geworden. | |
Versuche, Fußball statistisch in den Griff zu bekommen, sind nicht neu. Das | |
ist beispielsweise ein großer sowjetischer Traum der fünfziger und | |
sechziger Jahre. Fast alle totalitären Regime haben versucht, den Fußball | |
statistisch zu kontrollieren. Es ist bisher nicht gelungen. Und ich glaube, | |
dass dies auch in Zukunft nicht zu schaffen sein wird. Das | |
spielentscheidende Ereignis – das Tor – ist im Fußball einzigartig selten. | |
Bereits hier gerät das Wiederholungsgerüst der Statistik ins Schwanken. Was | |
im Basketball oder im American Football funktionieren mag, kann man nicht | |
ohne Einbußen auf den Fußball übertragen. In diesen Sportarten gibt es eine | |
Abfolge von klar abgegrenzten Spielzügen oder Würfen, während der Fußball | |
von einer fließenden Ästhetik bestimmt wird. | |
Aber in Dänemark hat es doch funktioniert. | |
Und anderswo ist es zigmal gescheitert, ohne dass wir davon erfahren | |
hätten. Klar ist: Big Data und neue Analyseverfahren versprechen uns ein | |
neues Zeitalter, das vielleicht das „zufallsfreie Zeitalter“ genannt werden | |
kann. Und das betrifft ja nicht nur den Fußball, diese | |
Verfügbarkeitsillusion durchdringt unser Dasein. Partnervermittlungen | |
werben mit Plakaten, auf denen steht: Liebe ist kein Zufall. Großbereiche | |
unserer Existenz, die wir vorher der Unverfügbarkeit überlassen haben, | |
sollen in die Verfügbarkeit gezwungen werden. Die pränatalen Untersuchungen | |
in der Schwangerschaft, der Trend zum Kaiserschnitt. Nur nicht die Dinge | |
ihren Lauf nehmen lassen … Aber ich glaube, dass der Fußball einer der | |
letzten Zufallsoasen bleiben wird. | |
Unterschätzen Sie da nicht die Möglichkeiten, die in der Algorithmisierung | |
des Fußballs liegen? Die datenbasierten Modelle berechnen pro Spiel mehrere | |
Millionen Informationen, erkennen Muster, von denen wir möglicherweise gar | |
nicht wussten, dass sie existieren. | |
Vielleicht tun sie das, aber 99 Prozent dieser Muster sind vollkommen | |
irrelevant. Das Problem an diesen Daten, wie an jeder Form der Information, | |
bleibt, dass man urteilskräftige Menschen braucht, die diese Daten in | |
konkrete Handlungszusammenhänge einpassen können. | |
Die Computer in London rechnen dem Trainer vor, wo die Stärken und | |
Schwächen seiner Mannschaft in der ersten Halbzeit lagen. „Anstelle von | |
Gefühlen haben wir jetzt Fakten“, sagt der Trainer des FC Midtjylland | |
Riddersholm, „und das gibt uns das Vertrauen, vor nichts Angst haben zu | |
müssen, wenn wir gut arbeiten.“ | |
Ich will gar nicht bestreiten, dass hier neue Erkenntnismittel zur | |
Verfügung stehen. Aber hören wir genauer hin: Seit wann schaffen nackte | |
Fakten unbedingtes Vertrauen? Wenn ich auf Gott vertraue, dann vertraue ich | |
jedenfalls nicht auf Fakten. Dann glaube ich nicht, dass etwas der Fall | |
ist. Sondern ich glaube an Gott. Und genau so kann man als Mannschaft auch | |
an sich glauben – gegen alle Fakten, oder ohne diese. Die geradezu magische | |
Kraft dieses Vertrauens kennt jeder Sportler. Genau zu wissen, wo das | |
Problem liegt, ist mit anderen Worten oft das größte Problem. César Luis | |
Menotti hat beispielsweise nie über Probleme gesprochen, sondern nur über | |
die Qualitäten der eigenen Spieler – so hat er seine Mannschaften stark | |
gemacht. | |
Menotti ist eine argentinische Legende, der Weltmeistertrainer von 1978. Er | |
hat zwischen „linkem“ Fußball, bei dem es um Schönheit und Freude geht, u… | |
„rechtem“, also stramm erfolgsorientiertem Fußball, unterschieden. Gab es | |
jemals einen linken Fußball? Gibt es ihn heute noch? | |
Ich finde bereits die Grundvoraussetzung von Menotti, dass man Schönheit | |
von Erfolg abkoppelt, sehr fragwürdig. Sie ist im Kern unsportlich, oder | |
besser: sportfremd. Die große Kontrastlinie im Fußball verläuft momentan | |
aus meiner Sicht nicht zwischen links und rechts oder Effizienz und | |
Schönheit. Ich sehe den Kontrast eher zwischen Kontingenzverachtung und | |
Eskalationswillen. | |
Das müssen Sie mir jetzt erklären. | |
Die Kontingenzverächter wollen den Zufall eliminieren und das Spiel durch | |
Ballbesitz kontrollieren. Pep Guardiola ist einer davon, Felix Magath ein | |
anderer. Dem gegenüber stehen jene, die auf das Rauschhafte setzen, darauf, | |
das Spiel aus dem Ruder laufen zu lassen. Eskalationstrainer wie José | |
Mourinho oder auch Jürgen Klopp in seinen guten Zeiten setzen auf | |
Gegenpressing, Balleroberung und das schnelle Umschaltspiel. In der | |
Genderperspektive sind die Eskalationstrainer eher männlich und die | |
Kontingenzverächter eher weiblich. | |
Warum weiblich? | |
Das Guardiola-Spiel zeichnet sich, gerade da, wo es besonders kontrolliert | |
sein will, durch einen Hang zur Penetrationsverweigerung aus. Verzicht auf | |
den langen Pass, den Weitschuss, das Kopfballspiel und die Ecken. Ein | |
Verzicht auf physisch starke Stoßstürmer und der Verzicht auf physisch | |
dominante Mittelfeldspieler. Sein Spielideal hat das Feld also quasi von | |
geschlechtstheoretisch klassisch „männlichen“ Attributen wie Physis, | |
Aggressivität, Egoismus gereinigt und in diesem Sinne zu einer | |
„Feminisierung“ des Fußballs geführt. Er ersetzte die „männlichen“ | |
Attribute extrem erfolgreich durch klassisch „weiblich“ codierte Leitwerte | |
wie Kommunikation, Kollektivität, Empathie und hierarchiefreie Kreativität. | |
Er will das Spiel selbst zähmen, kontrollieren – und in gewisser Weise auch | |
zivilisieren. | |
Das als „Feminisierung“ zu bezeichnen ist doch sexistisch. | |
Nein. Ich meine das zunächst rein beschreibend, nicht wertend. Legt man | |
klassische, in unserer Gesellschaft nach wie vor extrem wirksame | |
Genderzuschreibungen zugrunde, ergibt sich einfach die genannte Deutung. | |
Guardiolas Stil ist immerhin fantastisch erfolgreich! Er hat da wirklich | |
etwas entdeckt, gleichsam eine neue Möglichkeit des Spielens freigelegt. | |
Zudem ist es doch so: Der im beschriebenen Sinne „männlichste Fußball“, d… | |
derzeit auf höchstem Niveau gespielt wird, kommt von Frauenmannschaften. | |
Die USA haben die Frauenweltmeisterschaft diesen Sommer insbesondere durch | |
ihre physische Überlegenheit gewonnen. Auch Mourinhos Chelsea setzt jetzt | |
wieder auf maskulinen Eskalationsfußball. Sein taktisches Ziel besteht | |
darin, die gegnerische Mannschaft zu überrennen, sie im wahrsten Wortsinn | |
zu übermannen. In beiden Spielphilosophien stecken großartige Momente der | |
Schönheit. | |
Welches Männerbild prägt den heutigen Fußball insgesamt? | |
Global haben wir zwei alles überragende Fußballikonen, das sind Cristiano | |
Ronaldo und Lionel Messi. Und es ist die große Tragik unserer Dekade, dass | |
es sich bei diesen beiden Leitfiguren um derart ausgesprochene | |
Sackgassencharaktere handelt. Sie zeigen keinem einen Weg auf. Nicht einmal | |
sich selbst. | |
Wie begründen Sie diese Einschätzung? | |
Ronaldos narzisstische Störung durchdringt jede einzelne seiner Aktionen. | |
Sein technisches Vermögen, seine Athletik, großartig, geradezu überirdisch | |
– in dieser Ausprägung allenfalls mit dem jungen Ali zu vergleichen. Aber | |
sofern Fußball eine Mannschaftssportart ist, hat Ronaldo sein eigenes Spiel | |
bis heute nicht verstanden. Es fehlt selbst nach zehn Jahren auf der großen | |
Bühne jeder Abstand zur eigenen Pathologie. | |
Und Messi? | |
Die vergleichslose Inselbegabung hat zu einer Nonexistenz als Person | |
geführt. Messi wirkt als Mensch gar nicht vorhanden. Man hat das Gefühl, | |
dass man es mit einem 14-jährigen Teenager zu tun hat, der jenseits des | |
Fußballplatzes noch an die Hand genommen werden muss. Und es reicht hier | |
nicht mehr, zu sagen: Aber es sind doch nur Fußballer, mehr wollen die gar | |
nicht sein! Faktisch sind sie nun einmal mehr, viel mehr. Sie sind Motoren | |
zukünftiger Subjektivität, denn sie beherrschen und leiten die Ambitionen | |
Hunderter Millionen Jugendlicher. | |
Weshalb gibt es keine Charaktere mehr wie Paul Gascoigne oder Mario Basler | |
im modernen Fußball? | |
Es ist sicher so, dass die Menschen, die jetzt professionell Fußball | |
spielen, in Förderungssystemen aufgewachsen sind, die sich fundamental von | |
früher unterscheiden. Die Fußballschulen haben die Spieler konfektioniert. | |
Durch die Eindimensionalität ihres Strebens haben sie höchstwahrscheinlich | |
auch charakterliche Einbußen erlitten. Die individuellen Karrierewege der | |
früheren Straßenkicker gibt es heute nicht mehr. Die Spielerprofile sind | |
normiert, werden zunehmend austauschbar. | |
Ausnahmen wie Thomas Müller bestätigen die Regel? | |
Gewiss, und für Kontingenzverächter wie Guardiola ist dieser Spielertypus | |
natürlich ein Albtraum. Müller steht für das, was man in der Philosophie | |
Serendipität nennt: Er findet das, was er nicht sucht. Ein serendipes | |
Ereignis ist zum Beispiel: Kolumbus will die Passage nach Indien finden und | |
entdeckt dabei Amerika. Müller schafft sich durch seine chaotischen | |
Laufwege Möglichkeiten, von denen er selbst nicht wusste, dass sie | |
existieren würden. Ein Zufallsgott – und damit auch ein großer Komiker. | |
Auch der Neuzugang Arturo Vidal ist kein klassischer Guardiola-Spieler. | |
Seine Spielweise ist hart, aggressiv und betont die Physis. Sehen Sie in | |
diesem Transfer einen Wandel in Guardiolas Philosophie, ist dies vielleicht | |
sogar das Ende der „Feminisierung des Fußballs“? | |
Vidal ist der erste Neuzugang der Klopp-Ära. Der FC Bayern plant bereits | |
die Zeit nach Guardiola. | |
Sie sehen Jürgen Klopp als Trainer des FC Bayern München? | |
Es gibt drei Kandidaten: Ancelotti, Lucien Favre – da werden die Bayern | |
genau beobachten, wie er sich mit Gladbach in der Champions League schlägt | |
und eben Jürgen Klopp. Das wäre doch ein charmantes und interessantes | |
Experiment mit Jürgen Klopp. Ein extremer Kulturschock für die Spieler: Weg | |
vom Ballbesitz und hin zur rauschhaften Attacke. Spieler wie Lahm würden | |
Guardiola vermissen - Thomas Müller oder Arturo Vidal gewiss nicht. | |
Sie haben Dortmund nach der Hinrunde der letzten Saison, die ein Debakel | |
war, als Sekte bezeichnet. Aber die Rückrunde lief doch gar nicht so | |
schlecht. | |
Ich hatte gehofft, dass der Kontingenzverächter und der Eskalationstrainer | |
sich auf Augenhöhe begegnen können. Ich hätte gerne gesehen, wie die beiden | |
Systeme von Guardiola und Klopp gleichwertig aufeinandertreffen. Aber diese | |
Hoffnung wurde enttäuscht. Klopps Zeit bei Dortmund war einfach vorbei. Er | |
konnte die Mannschaft nicht mehr weiterentwickeln, vor allem nicht weiter | |
über ihre Grenze führen. Dortmund, wie es sich in der späten Vorrunde | |
zeigte, war eine Sekte mit allen klassischen Attributen: | |
Artikulationsverbote, totale Gemeinschaftssuggestion, unbedingter | |
Erlöserglaube. Jürgen Klopp hat den Personenkult sehr weit getrieben. Am | |
Ende war er ein Guru, der das Erlöserversprechen nicht mehr einlösen | |
konnte. Es war eine sehr gute, konsequente Sache, dass er gegangen ist. Bei | |
Bayern könnte er noch einmal ein neues Projekt anfangen, und da ich glaube, | |
dass Bayern seinen nationalen Kern nach der Guardiola-Ära stärken möchte, | |
nehme ich an, dass er dorthin wechseln wird. | |
Thomas Tuchel soll Dortmund nun in die Nach-Guru-Zeit führen. Wenn man ihn | |
sich ansieht, auch so ein Asket, so ein Spielkontrolleur? | |
Der Gewichtsverlust bei Tuchel macht mir große Sorgen. Oft sieht man bei | |
analytisch starken Menschen, die für ein Ideal brennen, eine hagere, | |
ausgedörrte Gestalt. Wie bei Don Quijote. Es sind meistens Menschen, die | |
sehr viel lesen, die sich viele Gedanken machen und die sich in dieser | |
Fachliteratur eigene Welten erbauen, die dann mit den Welten, mit denen sie | |
tatsächlich agieren müssen, nicht mehr übereinstimmen. Ich wünsche Thomas | |
Tuchel, dass er in Dortmund einen Sancho Pansa findet, der ihn erdet. | |
Sie glauben, dass Tuchel in Dortmund scheitern wird? | |
Es kann auch gut gehen – aber es gibt bei Thomas Tuchel charakterlich eine | |
sehr große Hürde. Ich glaube, dass er jemand ist, der drei oder vier Ideen | |
zu intensiv, zu tief, zu lange nachhängen kann. Wie das endet, ist in | |
vielen Romanen der Weltliteratur beschrieben worden. Don Quijote stirbt mit | |
diesem legendären Satz: „Ich weiß jetzt, wer ich bin.“ Der Wahn war die | |
Bedingung der Möglichkeit seines Seins. Er konnte überhaupt nur als jemand | |
existieren, der für die wahren Bedingungen seines Daseins blind war. Das | |
ist ein wahnsinnig schönes philosophisches Ende. Aber Herrn Tuchel wünsche | |
ich das nicht. | |
Wer wird dieses Jahr Deutscher Meister? | |
Ich bin sehr zuversichtlich, dass diese Spielzeit national wie | |
international eine ganz große Saison für die Bundesliga wird. Bayern wird | |
ganz klar alles auf die Champions League setzen und hat auch gute Chancen. | |
Und wer holt die Meisterschale? | |
National werden wir einen Fünfkampf sehen: Bayern wird sich in diesem Jahr | |
nicht in gleicher Weise absetzen können. Schalke mit seinen jungen Spielern | |
und neuem Trainer wird ernsthaft zu beachten sein. Wolfsburg hat eine sehr | |
große Chance auf die Meisterschaft. Und Leverkusen und Dortmund werden | |
ebenfalls bis zum Schluss im Rennen sein. | |
Noch ein Wort zu Schweinsteiger – war sein Wechsel zu Manchester United die | |
richtige Entscheidung? Wird er sich in der Premier League durchsetzen? | |
Nun, jedenfalls PR-technisch ist er bereits jetzt ein Riesenerfolg. | |
Schweinsteiger ist vom gefühlten Alter her 37. Er hat einfach sehr viel | |
gespielt. Gewiss, selbst ein Auto mit Totalschaden kann man noch | |
autobahntauglich reparieren, aber es wird halt nicht mehr so wie vorher | |
laufen. Aus meiner Sicht ist der Weg von Herrn Schweinsteiger klar | |
vorgezeichnet: Er wird jetzt mit Manchester United vielleicht eine sehr | |
dezente Saison spielen, wird sich danach nach Amerika verabschieden, und | |
dann heißt es: „Schweini goes global.“ Das wäre für alle die perfekte | |
Lösung. Und später kommt er als Verantwortlicher dann wieder zu seinem FC | |
Bayern zurück. | |
Schweini „als Auto mit Totalschaden“ war jetzt hart. | |
Ich empfinde nichts als Verehrung für diesen großen, großen Spieler. Aber | |
als Philosoph bleibt man, zu gegebenem Zeitpunkt, der Wahrheit | |
verpflichtet. Und die liegt auch für Schweini in Manchester auf dem Platz. | |
30 Aug 2015 | |
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## AUTOREN | |
Alem Grabovac | |
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