# taz.de -- Stück am Gorki-Theater: Was muss als Nächstes passieren? | |
> „Die juristische Unschärfe einer Ehe“ nach einem Roman von Olga Grjasnowa | |
> wird in Berlin als Drama der Körper inszeniert. | |
Bild: Szenenbild vom Gorki-Theater. | |
Es gibt drei Sorten Schmerz, referiert Lea Draeger als Ballerina, die am | |
legendären Bolschoi-Theater in Moskau gescheitert ist. Den konstruktiven, | |
den destruktiven und den chronischen Schmerz. Ballett, so ungefähr die | |
Conclusio, geht nur, wenn man den destruktiven als konstruktiven Schmerz | |
umdeutet, den Schmerz in der Arbeit überwindet. Und so die Blasen an den | |
Füßen nicht mehr spürt. | |
In der Bühnenfassung des Romans „Die juristische Unschärfe einer Ehe“ von | |
Olga Grjasnowa spielt der Schmerz eine entscheidende Rolle, und nicht nur | |
der konstruktive. Es geht, das zeigt schon der Anfang, an dem die vier | |
Schauspielenden mit vollem Körpereinsatz eine weiße Wand bearbeiten, um | |
Körper. Um gestählte Körper im Ballett, magersüchtige, durchtrainierte und | |
liebende Körper, es geht um Körper und Rohstoffe, drogeninduzierte und | |
erschlaffte Körper, Körper, die Folter erleben, Körper in Zellen, und dann | |
wiederum um Körper, die als Buchstaben das Wort „Joy“ bilden. Freude und | |
Schmerz. | |
Es ist also eine Menge angelegt in diesem Stück, das unter der Regie von | |
Nurkan Erpulat im Gorki-Theater uraufgeführt wurde. Schon die | |
Grundkonstellation ist vielversprechend: Leyla und Altay führen eine Art | |
Zweckehe mit Benefit, lieben also sich und andere (in den weiteren Rollen: | |
Mehmet Ateşçi und Mareike Beykirch), und die anderen eben | |
gleichgeschlechtlich. Dazu leben sie in Moskau, schon da als Minderheit, | |
nämlich aus Aserbaidschan kommend, in einer bekanntlich repressiven | |
Atmosphäre. Sie haben interessante Berufe, Ballerina und Psychiater. | |
Erpulat hat dem Stoff dazu noch eine größere Breitseite in Richtung | |
Homosexualität gegeben, das wird schnell klar. | |
Der Regisseur leiht sich inszenatorisch viele Elemente aus, macht Theater | |
eben, wie Theater heutzutage wohl aussehen muss: Es gibt Tanz (aber | |
natürlich nur ironisch), Video, Gymnastik, Gesangseinlagen, das | |
monologisierende Mikrofon, das von Figur zu Figur gereicht wird. Es gibt | |
wirklich Momente in diesem Stück, Momente, die Räume aufmachen. Aber dann | |
traut sich die Inszenierung nicht, diese Räume auszuleuchten, über die | |
Selbstfeier einer Nonkonformität a priori hinaus eine Reflexionsebene zu | |
schaffen. | |
Denn: Wie ist denn das mit diesen Körpern? Was ist da anders als sonst wo? | |
Leyla scheitert beim Ballett, aber was macht das mit ihr? Die Zweckehe mit | |
Altay (Taner Şahintürk) wird von Nebenbeziehungen belastet, aber was folgt | |
daraus? Das Paar flüchtet nach Berlin, wo es auch verdammt einsam zugehen | |
kann, andererseits lockt hier überall die Ausschweifung, wie in einer | |
Fantasie, die sich auf die zwanziger Jahre bezieht; aber, Entschuldigung, | |
so what? | |
Die Inszenierung feiert die Dekadenz, die Körperlichkeit, die Abgründe, die | |
Polyamourie, die Insignien der LGBT-Gemeinden. Am Schluss aber bleibt nicht | |
viel mehr als sinnlose Leere: Und was jetzt, fragen sich die Figuren, was | |
muss als Nächstes passieren? Man weiß es nicht. Vorhang. | |
Kann sein, dass schon der Roman von Olga Grjasnowa mehr heruntererzählt, | |
als dass er irgendetwas Erhellendes bietet. Etwas, das man nicht schon von | |
irgendwoher kennt. Das Stück jedenfalls kreiert viele Chancen, genutzt | |
werden sie zumeist nicht. | |
27 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
René Hamann | |
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