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# taz.de -- Obdachlosigkeit: Auch am Tag zu kalt
> In einer Woche startet das Winternotprogramm für Obdachlose. Bezirk Mitte
> will neue Tagesstätte. Senat hält die nicht für nötig.
Bild: Stehen bereit: Betten im Winternotprogramm
HAMBURG taz |Einmal war der Winter schon kurz da. Als vergangene Woche die
Temperaturen nachts auf ein Grad Celsius sanken, spürten das zuallererst
die geschätzt 2.000 Obdachlosen in der Stadt. Unter Brücken gibt es keine
Heizungen. Die Linksfraktion in der Bürgerschaft forderte daher, das
Winternotprogramm für Obdachlose sofort zu öffnen – und nicht erst wie
geplant zum 1. November.
„Die Notlage der Obdachlosen verschärft sich unabhängig vom Kalender und
der eingeplanten Öffnung des Winternotprogramms“, sagte die
Bürgerschaftsfraktionsvorsitzende Cansu Özdemir. Auch das Straßenmagazin
Hinz&Kunzt und die Diakonie schlossen sich der Forderung an.
Die zuständige Sozialbehörde beeindruckte das nicht. Eine vorzeitige
Öffnung des Erfrierungsschutzes sei nicht üblich, heißt es. „Die
Vorbereitungen sind in diesem Jahr losgelöst davon schlicht noch nicht
abgeschlossen, weshalb eine frühere Öffnung nicht zur Diskussion steht“,
sagt Behördensprecher Marcel Schweitzer.
Das Hamburger Winternotprogramm ist ein kommunaler Kraftakt, der in
Deutschland seinesgleichen sucht. 890 Notschlafplätze stellt die Stadt von
November bis März für Obdachlose zusätzlich zur Verfügung, in
Wohncontainern und leer stehenden Schul- und Verlagsgebäuden. Die meisten
der Quartiere sind nur über Nacht geöffnet, um 9 Uhr werden Hunderte
Bewohner wieder in die Kälte geschickt.
Die politische Diskussion um das diesjährige Programm ist längst
angelaufen. So fordert die CDU, die Unterkünfte auch tagsüber geöffnet zu
lassen, „damit die obdachlosen Menschen die Möglichkeit haben, sich auch
tagsüber aufzuwärmen und ausruhen zu können“, wie es in einem Antrag an die
Bürgerschaft heißt. Auch solle über eine Öffnung im oft noch kalten April
und Mai nachgedacht werden. Das Parlament überwies den Antrag in den
Sozialausschuss, der Anfang November darüber beraten wird. Die
Bezirksversammlung Mitte hat darüber hinaus jüngst beschlossen, dass es
eine weitere Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose geben soll. Einen Ort
zum Aufwärmen, Kaffeetrinken und Duschen also. Auch eine Schließfachanlage
für das Gepäck der Obdachlosen solle her. Bezirksamtsleiter Andy Grote
(SPD) soll sich bei der Sozialbehörde dafür einsetzen.
Die gibt sich auf Nachfrage zurückhaltend. Die Diskussion nehme die Behörde
„mit Interesse zur Kenntnis“, sagt ihr Sprecher Schweitzer. In einer
aktuellen Senatsantwort auf eine Anfrage der Linkspartei klingt das noch
abwiegelnder. Eine Aufstockung des Angebots sei derzeit nicht geplant,
denn: „Die Angebote entsprechen grundsätzlich der Nachfrage“, heißt es
dort.
Stimmt das? Nach dem Ende des zurückliegenden Winternotprogramms schlugen
Betreiber solcher Einrichtungen Alarm. Die Situation für Wohnungslose habe
sich in Hamburg „stark verschlechtert“, die Tagesaufenthaltsstätten seien
„völlig überlastet“, sagte damals Diakonie-Chef und Landespastor Dirk
Ahrens.
Seitdem ist nicht viel passiert. „Wir befürchten, dass sich die Situation
in diesem Winter noch verschärft“, sagt Eva Lindemann, Sprecherin der
Stadtmission. Denn direkt gegenüber dem Herz As, der Tagesaufenthaltsstätte
im Münzviertel, bringt die Sozialbehörde in diesem Winter nachts 400
Obdachlose unter. Zusätzlich rechnet Lindemann damit, dass bei Kälte auch
vermehrt Flüchtlinge auf der Durchreise die Aufenthaltsstätten nutzen
werden. Das Herz As kann tagsüber aber maximal 110 Menschen aufnehmen.
Immerhin ist das Problem inzwischen in der Bürgerschaft angekommen. „Wir
sind in der Koalition in Gesprächen, wie wir damit umgehen“, sagt Ksenja
Bekeris, sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Ihre grüne Kollegin
Mareike Engels verweist auf die anstehenden Beratungen im Sozialausschuss.
„Sollte sich in dem Kontext der Eindruck verfestigen, dass die Plätze in
Tagesaufenthaltsstätten nicht ausreichen, halte ich die Eröffnung einer
weiteren Einrichtung für sinnvoll“, sagt sie.
Ob die 890 Notschlafplätze im Winternotprogramm ausreichen werden, ist
bislang völlig offen. Der Senat habe zugesichert, die Plätze bei Bedarf
aufzustocken, sagt Landespastor Ahrens: „Darauf vertrauen wir.“ Allerdings
müssten dann zusätzliche Kapazitäten geschaffen werden – „nicht akzeptab…
wäre für ihn demnach eine Erhöhung der Belegungsdichte.
Der Diakoniechef fordert, die Bekämpfung der Wohnungslosigkeit zur
Chefsache zu machen: „Gäbe es genügend Wohnraum für Wohnungslose, bräucht…
wir nur noch ein kleines Winternotprogramm“, sagt Ahrens. Ohne
Gegenmaßnahmen geht die Diakonie davon aus, dass die Zahl der Wohnungslosen
in Hamburg bis 2018 von derzeit rund 9.000 auf 14.000 steigt.
23 Oct 2015
## AUTOREN
Benjamin Laufer
## TAGS
Obdachlosigkeit
Winter
Hamburg
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Obdachlosigkeit
Kältehilfe
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