# taz.de -- Straßenmagazin wird fünf: Gutsein mit Konzept | |
> Seit fünf Jahren gibt es die Bremer Zeitschrift der Straße: Sie überzeugt | |
> durch ihren klaren publizistischen Ansatz, ohne Sprachrohr der | |
> Obdachlosen sein zu wollen. | |
Bild: Vertriebschef Reinhard Spöring ist stolz aufs Verkäufer-Team | |
Weder ist die Zeitschrift der Straße eine Obdachlosenzeitung, noch ist sie | |
ein klassisches Stadtmagazin. Eher ist sie ein Mix aus dem Besten dieser | |
zwei publizistischen Welten: Seit fünf Jahren überzeugt sie, auch nach dem | |
Komplettrelaunch 2015, durch anspruchsvolles Layout, Geschichten aus dem | |
urbanen Dschungel und den guten Zweck. Richtig schlecht ist die ZdS nur in | |
Sachen Spendenakquise, „da müssen wir besser werden“, sagt ihr Initiator, | |
der Bremerhavener Tourismus-Prof Michael Vogel. Am 18. 2. findet im Café | |
Papagei ein Info-Abend des Freundeskreises statt. Der soll noch wachsen. | |
Die ZdS selbst ist dagegen mittlerweile recht erfolgreich: Insgesamt rund | |
300.000 Hefte sind inzwischen verkauft worden, berichtet Vertriebsleiter | |
Reinhard Spöring. Vom Kaufpreis von zwei Euro geht immer etwas mehr als die | |
Hälfte an die VerkäuferInnen. Insgesamt habe man „750 VerkäuferInnen und | |
einen festen Stamm von 60 bis 70 Leuten“, berichtet Spöring, „die den Mut | |
haben, sich mit der Zeitung hinzustellen“. Denn ja, die Schamschwelle ist | |
groß: Die Zeitung zu verkaufen bedeutet, sich als Betroffener zu outen, | |
sich aus der Unsichtbarkeit zu lösen: „Wir haben von allen, die unsere | |
Zeitschrift verkaufen, ein Foto“, sagt Spöring. Immerhin verschwinden die | |
Leute dann nicht mehr einfach so von der Bildfläche: Im Vetriebsbüro beim | |
Papageien-Haus hängen, an der Wand, gerahmt, die Porträts und die | |
Lebensdaten der fünf, die vergangenes Jahr gestorben sind. Nur einer von | |
ihnen war über 50. | |
Seit Herbst war jede Nummer ausverkauft, sogar der Januar ist schon | |
vergriffen: „Im März werden wir die Auflage wieder etwas erhöhen“, so | |
Spöring, um 1.000 auf 7.000 Exemplare. Gestartet war man vor fünf Jahren | |
etwas zu optimistisch mit 14.000, und das puristische Cover-Design aus den | |
Schriftlaboratorien der Hochschule für Künste räumte zwar allerhöchste | |
Auszeichnungen ab, war aber für eine Direktvermarktung mitunter etwas | |
sperrig. Heute hat man Titelfotos mit Menschen drauf. Das setzt Designer | |
nicht in Verzückung, aber LeserInnen spricht das an. | |
Bremen ist kein leichter Markt: „Die ersten Bemühungen, so eine Zeitschrift | |
zu gründen, hatten nicht richtig gefruchtet“, berichtet Uwe Mletzko, | |
Vorstandssprecher der Inneren Mission in Bremen und Herausgeber des Hefts | |
aus der Vorgeschichte des Blattes. Dass es dann, in einer von Vogel | |
angestoßenen Multi-Kooperation zwischen der Kunsthochschule sowie der | |
Bremerhavener und der Bremer Hochschule plus Innerer Mission, geklappt hat, | |
empfinde er „als kleines Wunder“, so Pastor Mletzko. | |
Naja. Vielleicht hat es auch etwas mit dem publizistischen Konzept zu tun: | |
Die ZdS war bei Gründung die erste Straßenzeitung in Deutschland, die sich | |
nicht primär als Sprachrohr der Obdachlosen verstand. Damit passt sie sich | |
sowohl an die Möglichkeiten der Menschen auf der Straße an, die für eine | |
kontinuierliche Zeitschriftenproduktion zu entfernt von einem geregelten | |
Alltag leben, als auch an ein Publikum, dem man, so drückt Mletzko es aus, | |
das Thema Armut „sehr vorsichtig servieren“ müsse. Bis heute wird von der | |
Redaktion „nicht das Thema Obdachlosigkeit in den Vordergrund“ gestellt, | |
wie deren Leiterin Tanja Krämer betont – wohl aber ist das Team dafür | |
besonders sensibilisiert. Das Konzept aber lautet, „Orte der Stadt, wie sie | |
sich uns erschließen“ darzustellen. | |
Bei der Redaktionsarbeit dürfe „jeder partizipieren, der möchte“, so | |
Krämer. Den Kern des Teams allerdings bilden Studierende, die bei der | |
journalistischen Arbeit die fundementalen Unterschiede zwischen Relevantem | |
und Ödnis und zwischen Seminararbeit und lesbarer Prosa lernen. Die | |
aktuelle Ausgabe widmet sich den Straßenzügen rund um die Achse mit dem | |
evokativen Namen „Am Schwarzen Meer“, erkundet Kneipen, porträtiert einen | |
Präparator am Klinikum Mitte und ergründet Graffitti jenseits des | |
Steintors. | |
3 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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