# taz.de -- Kampf um Werbetechnologie: Balkanisierung jetzt auch online | |
> Nach Facebook will nun auch Google mit Verlagen kooperieren und Inhalte | |
> mobil schneller ausliefern. Das Ganze heißt AMP. | |
Bild: Meine Förmchen! | |
Jede Sekunde ist kostbar. Besonders im mobilen Internet. Seit Jahren ist | |
das das Mantra, das im Silicon Valley so sicher wie das „How are you?“ | |
fällt – wissen doch Seitenbetreiber wie Dienstanbieter, dass ein | |
Wimpernschlag mehr Ladezeit darüber entscheiden kann, ob ein Nutzer bleibt. | |
Oder sich schon wieder weiterklickt. | |
Gerade in den USA wächst das Problem, dass mobile Seiten so mit Werbung | |
überfrachtet sind, dass sie lange laden. Sehr lange. Wogegen nun auch | |
Google ins Feld ziehen möchte. Accelerated Mobile Pages, kurz AMP, heisst | |
Googles Projekt, mit dem der Code von Webseiten verschlankt werden soll, um | |
Ladezeiten auf ein Bruchteil zu verkürzen. | |
Die Idee: Google bietet allen, die es nutzen mögen, eine selbst | |
entwickelte, für mobile Anwendungen konfigurierte Version von HTML an – dem | |
Code, auf dem das World Wide Web basiert. Dieser Code soll offen zugänglich | |
sein, einfach in die eigenen Seiten zu integrieren. Und schmeißt all den | |
Javascript-Schnickschnack raus, der Seiten so unbeweglich macht – nach dem | |
einfachen Prinzip: Text wird zuerst geladen, dann Bilder und sonstiges | |
Gerümpel. Purismus fürs Mobile. | |
Wofür Google schon einen ganzen Sack Partner im Schlepptau hat: BuzzFeed | |
macht mit, die BBC, die Washington Post, das Wall Street Journal, die New | |
York Times, Zeit Online ebenso wie die FAZ, das Soziale Netzwerk LinkedIn | |
und Twitter. Losgehen soll es 2016. | |
## Facebook Instant Articles | |
Ganz frisch ist die Idee mit den schnellen Ladezeiten hinter AMP nicht. | |
Facebook versucht schon seit Mai, Medienhäuser mit seinem Instant | |
Articles-Projekt auf die eigenen Seiten zu locken. Der Deal: Hosten Verlage | |
Artikel direkt bei Facebook, sind sie schneller abrufbar. Facebook sichert | |
sich so Inhalte, die für seine Nutzer interessant sind und hält sie länger | |
auf den eigenen Seiten. | |
Die Verlage wiederum bekommen mehr Aufmerksamkeit für ihre Inhalte – kommt | |
ein Großteil ihres Traffics doch ohnehin bereits über Facebook. | |
Organisieren die Partnerverlage eingebettete Werbung selbst, dürfen sie den | |
kompletten Betrag behalten. Überlassen sie das Facebook, streicht das | |
Soziale Netzwerk dreißig Prozent Provision ein. Ein Angebot, bei dem viele | |
namenhafte Verlage im Dienste der mobilen Optimierung zugeschlagen haben. | |
Und dann ist da auch noch Apples neue News-App für iOS 9 in den USA, die | |
die Inhalte von 50 Medienpartnern schön fürs eigene mobile Betriebssystem | |
optimiert transportieren will - mit Konditionen für Werbeeinahmen, die | |
denen von Facebooks Instant Articles stark ähneln. | |
Problem daran: Wer sich auf derartige Deal einlässt, gibt sein digitales | |
Hausrecht auf. Je mehr Verlagshäuser sich überzeugen lassen, ihre Inhalte | |
bei Facebook zu hosten, weil sie den Traffic eh über Facebook bekommen, | |
umso mehr Unabhängigkeit opfern sie. | |
## Einfluss der Verlage schwindet | |
Sollten sich Facebook und Apple künftig entscheiden, die Konditionen für | |
journalistische Inhalte zu ändern, sei es bei den Einnahmen oder bei der | |
Platzierung - welche Möglichkeiten hätten Verlage noch, sich dagegen zu | |
wehren? | |
Bei Google ist die Sache ein wenig anders gelagert: Verlage und andere | |
Webseiten, die Googles AMP integrieren, hosten die Inhalte weiterhin | |
selbst. Sanfter ist der Eingriff aber dennoch nicht. Denn Google diktiert | |
allen, die von schnelleren Ladezeiten profitieren wollen, qua Code die | |
Regeln dafür, wie Werbung auszuliefern und Nutzertracking zu betreiben sei. | |
Kein Javascript, praktisch kaum Möglichkeiten, Codes von Dritten | |
einzubetten – all das deutet in den Augen von Kritikern darauf hin, dass | |
Google wenig subtil seine eigenen Werbe- und Analysewerkzeuge durchdrücken | |
will. | |
Der US-Medien-Thinktank NiemanLab analysierte, dass Googles AMP eigene | |
Standards für Bilder, Audio und Video definiere – abweichend von dem | |
Universalcode von Tim Berners Lee, der seit über zwanzig Jahren | |
Gestaltungsfreiheit im Netz erlaubt. Die Befürchtung: AMP könnte Teile des | |
Webs zu einem Sandkasten machen, in dem Google die Förmchen ausgibt. | |
Ob sich Verlage und Webseitenbetreiber nun für Facebooks Instant Articles, | |
für Apple News oder den Spezialstandard von Googles AMP entscheiden: Am | |
Ende läuft es immer darauf hinaus, dass die eigentlichen Lieferanten von | |
Inhalten entmachtet werden – und nur noch Verschiebemasse sind, im Krieg um | |
Werbetechnologie im Silicon Valley. Lange war man im Netz stolz darauf, | |
direkte Kommunikation zwischen Sender und Empfänger herstellen zu können, | |
ohne Mittelsmänner. Oder zumindest weitgehend ohne. | |
## Balkanisierung | |
Das wird zunehmend zu einer Illusion, wenn die Macht von | |
Suchmaschinenkonzernen und Sozialen Netzwerken immer weiter wächst. | |
Organisieren und kontrollieren deren stärkste Spieler künftig auch noch, | |
wie Inhalte mobil ausgeliefert werden können, ohne auf die Einnahmequelle | |
Werbung zu verzichten, verliert das dezentrale Netz noch weiter an | |
Schlagkraft. Dominiert von wenigen, großen Playern. Balkanisierung wird das | |
in Geek-Kreisen gern genannt. | |
Natürlich ist niemand gezwungen, sich dem zu unterwerfen. Und doch wird es | |
schwer, für Medienhäuser, die nicht mitspielen können oder wollen. Denn: | |
Selbst Lösungen zu finden, wie Inhalte mobil möglichst attraktiv | |
präsentiert werden und schnell laden, sind kompliziert und teuer. Aber | |
notwendig. Denn: Smartphone- und Tablet-Leser zu verlieren, können sie sich | |
erst recht nicht leisten. | |
30 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
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