| # taz.de -- Parlamentswahl in Polen: Fetzen im Regen | |
| > Am Sonntag werden rechtskonservative Parteien wohl nicht nur im Dorf | |
| > Sulistrowiczki, sondern in ganz Polen die Wahl gewinnen. Ein Besuch. | |
| Bild: Im Hintergrund: Beata Szydło von der konservativen Partei Recht und Gere… | |
| Sulistrowiczki taz | Der Verkäufer im einzigen Dorfladen von Sulistrowiczki | |
| wehrt sofort ab: „Ich sage nichts. Kein Wort. Raus aus meinem Laden!“ | |
| Verwunderlich ist das nicht. Seit einigen Wochen tauchen fast täglich | |
| Fernsehteams in dem niederschlesischen Dorf auf, befragen Bauern und | |
| Arbeitslose nach ihren Ängsten und senden noch am gleichen Tag ihre | |
| Berichte. Da sieht man dann die Befragten, kombiniert mit Bildern von | |
| schreienden Flüchtlingen, die in strömendem Regen gegen einen Zaun | |
| anrennen, Steine werfen, um sich schlagen. So etwas könnte es bald auch bei | |
| ihnen geben, in Sulistrowiczki; das ist die Botschaft der Berichte. | |
| 100 Flüchtlinge aus Syrien sollen dort angesiedelt werden. Dabei wohnen im | |
| alten Dorfkern gerade mal 140 Polen. Die rechtsradikalen Parteien | |
| profitieren von ihrer Angstkampagne, die auch von sensationsgierigen Medien | |
| mitgetragen wird. Am Sonntag, so sagen es alle Umfragen voraus, werden sie | |
| wohl nicht nur in Sulistrowiczki, sondern in ganz Polen die | |
| Parlamentswahlen gewinnen. Allen voran die rechtskonservative | |
| Oppositionspartei „Recht und Gerechtigkeit“, deutsch- und russophob, | |
| EU-skeptisch, in Polen abgekürzt PiS. | |
| Das Dorf, so trist es an diesem regnerischen Tag auch aussieht, liegt an | |
| einem See am Fuße des Zobten und ist ein beliebter Luftkurort. Im Sommer | |
| kommen Wanderer. Die stattlichen Bauernhäuser und Gehöfte stammen oft noch | |
| aus der Zeit, als das Dorf Klein-Silsterwitz hieß und zum Deutschen Reich | |
| gehörte. „Wir Alten kommen fast alle aus Ostpolen“, sagt ein alter Mann vor | |
| dem Laden. Die schwarze, lederne Schirmmütze verhindert, dass ihm die | |
| Regentropfen übers Gesicht laufen, der braune Stoffmantel saugt die Nässe | |
| fast begierig auf. „Hätte Stalin die Kriegsbeute aus dem Hitler-Stalin-Pakt | |
| nicht behalten, wären wir 1945 da geblieben“, erzählt er. Er ist einer der | |
| wenigen hier, die überhaupt reden, seinen Namen will er nicht sagen. „Wir | |
| wurden aus der Heimat vertrieben und dann hier in Häuser eingewiesen, die | |
| vorher den Deutschen gehörten, die auch vertrieben wurden.“ Er schüttelt | |
| sich, reibt die klammen Hände. „Jetzt ist Krieg in Syrien. Wir Alten hier | |
| haben keine Angst vor den Flüchtlingen. Aber die Jungen, die fürchten | |
| sich.“ | |
| An einer Bushaltestelle hängt ein Wahlplakat, festgenagelt am First einer | |
| heruntergekommenen Scheune: „Rafal Czepil“ steht dort. Czepil, die Nummer | |
| 14 auf der Wahlliste der PiS, will sich für eine starke Armee einsetzen, | |
| den Jugendsport fördern und Zahnarztpraxen in den Schulen reaktivieren. | |
| „Wir schaffen das!“, ist Czepils Wahlspruch. Flüchtlingen eine Unterkunft | |
| zu geben, ist damit allerdings nicht gemeint. | |
| ## Niemand öffnet | |
| Ginge es nach der Anzahl der Wahlplakate, hat die PiS in Sulistrowiczki die | |
| absolute Mehrheit; auch am Schwarzen Brett des Dorfs sieht man nur Czepil, | |
| von Kandidaten der liberalkonservativen Bürgerplattform oder der gemäßigten | |
| Bauernpartei PSL, die seit acht Jahren in Warschau regieren, keine Spur. | |
| Vielleicht hingen ihre Botschaften dort einmal, wo jetzt nur noch Fetzen im | |
| Regen aufweichen. Premierministerin Ewa Kopacz erklärte sich in Brüssel | |
| bereit, insgesamt 7.000 Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea aufzunehmen. | |
| „Verrat“ nannten das PiS-Politiker. Sie fordern die Heimholung der | |
| Kasachstan-Polen, die 1940 in die Sowjetunion deportiert wurden und bis | |
| heute nicht zurückgekommen sind. | |
| Mitten in Sulistrowiczki steht das Schulungszentrum der Caritas. In dem | |
| zweistöckigen Wohnblock sollen die Flüchtlinge unterkommen, 15 Familien, | |
| 100 Personen. In den vergangenen Wochen warben der Erzbischof von Breslau | |
| und der Breslauer Caritas-Sprecher für die Hilfsaktion der katholischen | |
| Kirche. Papst Franziskus hatte dazu aufgefordert, jede Kirchengemeinde, | |
| jedes Kloster, jede katholische Organisation solle zumindest eine | |
| Flüchtlingsfamilie aufnehmen. Sulistrowiczki wurde in Medien | |
| „Islamistendorf Sulistrostan“ oder „Syriostrowiczki“ genannt. Die beiden | |
| Caritas-Mitarbeiterinnen hatten Fernsehteams einige Male das Haus gezeigt, | |
| weiteren Bedarf an Öffentlichkeit haben sie offenbar nicht. Die Klingel am | |
| rostigen Türpfosten scheint zu funktionieren, denn an einem Fenster bewegen | |
| sich die Gardinen. Doch niemand öffnet. | |
| Kurz hinter der nächsten Bushaltestelle führt ein Weg in den Wald. Dort | |
| stehen Landrover, Porsches, BMWs und Jaguare. Als wären sie Wegweiser zu | |
| den Sommerhäusern der Neureichen aus dem knapp 50 Kilometer entfernten | |
| Breslau, zumeist solide gebaute Bungalows mit Garten und Garage. „Was tun | |
| Sie hier?“, ruft ein Mann. Er trägt einen grauen Arbeitsdrillich. Die | |
| kräftigen weißen Haare scheinen den Regen zu mögen, selbst an den Wimpern | |
| und den weißen Bartstoppeln hängen Tropfen, als gehörten sie dorthin. | |
| „Wir mögen hier keine Fremden, die rumschnüffeln und Fotos machen“, | |
| schimpft er – und lässt sich doch auf ein Gespräch ein: „Na klar, haben w… | |
| hier Angst, die unten im Dorf weniger, aber wir hier oben in unseren Villen | |
| – wir wohnen hier ja nicht ständig.“ Er rüttelt am niedrigen Gartentor. | |
| „Wenn die Flüchtlinge nebenan einziehen, was sollen die dann hier machen? | |
| Den lieben langen Tag herumspazieren oder vielleicht doch mal aus | |
| Langeweile an der einen oder anderen Klinke drücken und dann vielleicht | |
| auch bei uns einbrechen?“ Er ist in Breslau Arzt, auch er will keinen Namen | |
| nennen, kein Foto von Villa und Wagen. | |
| ## Gegen Flüchtlinge | |
| „Die Kirche hat gut reden“, sagt er. „Barmherzigkeit! Das Caritas-Haus | |
| steht kurz vor der Pleite. Der Standard in dem Haus ist für polnische | |
| Touristen völlig inakzeptabel. Aber für Flüchtlinge reicht es dann gerade | |
| noch. Da gibt es ja auch noch zusätzlich gutes Geld von der EU.“ Er | |
| schnaubt durch die Nase und nennt es Heuchelei, was der Erzbischof | |
| gefordert hat: „Warum nimmt er die Flüchtlinge nicht in seinem feinem | |
| Bischofspalais in Breslau auf oder im fast leerstehenden Kloster?“ Am | |
| Sonntag will der Mann PiS wählen. Die verhinderten wenigstens, dass die | |
| Flüchtlinge kommen. | |
| Von oben aus dem Wald ist Hundekläffen zu hören. Das Villenviertel dehnt | |
| sich dort noch weiter aus. Ein schwarzer Pudel rutscht vergnügt den | |
| glitschigen Waldweg herunter, sein Herrchen folgt ihm bedächtig. Ein | |
| Professor, ebenfalls aus Breslau, der die Wochenenden oft hier in seinem | |
| Haus verbringt. Mit dem Arm deutet er einen großen Halbkreis an. „Es sind | |
| wohl an die 200 Häuser. Theoretisch sind wir inzwischen mehr als die alten | |
| Dörfler, aber wir sind ja nur übers Wochenende da oder ein paar Wochen in | |
| den Schulferien.“ | |
| Vermintes Gelände sei das hier. „Die Nazis hatten den Ort in Silingtal | |
| umbenannt und ein Müttergenesungsheim aufgemacht. Viele im Dorf munkeln, | |
| dass auch die Organisation Lebensborn im Geheimen hier gewirkt habe.“ Genau | |
| wolle das niemand wissen. Sicherheitshalber lasse man alles, was früher | |
| deutsch war, verfallen. „Letztlich waren es die Nazis, die unser Dorf in | |
| eine Sommerfrische verwandelten und damit auch den Grundstein für den | |
| späteren Reichtum der Bauern hier legten.“ Die Caritas wisse sicherlich, | |
| was für ein Gebäude sie da nutze. „Ich vermute, dass sich die katholische | |
| Kirche da über kurz oder lang irgendwie aus der Affäre ziehen wird.“ Der | |
| Professor wirkt ganz entspannt unter seiner grün-beige-gestreiften | |
| Schirmmütze. Er lächelt leicht ironisch: „Ich jedenfalls habe keine Angst | |
| vor den Flüchtlingen.“ Am Sonntag werde er der Vereinigten Linken seine | |
| Stimme geben. „Jemand muss ja auch die Opposition stützen!“ | |
| Tiefer im Wald, hinter einem großen leeren Parkplatz für Reisebusse, taucht | |
| eine Holzkapelle im Goralenstil der Hohen Tatra auf. Hier werden oft | |
| Hochzeiten gefeiert. Vor der pittoresk-malerischen Kapelle stehen Holzbänke | |
| für die Gäste bereit. Gleich nebenan gibt es ein kleines Kirchencafé. Hier | |
| schenkt der Küster Kaffee oder Tee aus – gegen eine milde Gabe für die | |
| Erhaltung der Kapelle. Der Fernseher ist auf volle Lautstärke gedreht. Zu | |
| sehen ist Jarosław Kaczyński, der PiS-Vorsitzende und frühere | |
| Ministerpräsident, der im Endspurt der Wahlkampagne noch kräftig die | |
| Spitzenkandidatin seiner Partei, Beata Szydło, unterstützt. | |
| Der Sender wiederholt Kaczyńskis Brandrede gegen die Flüchtlinge: Sie | |
| brächten gefährliche Krankheitserreger und Parasiten mit, ohne selbst daran | |
| zu erkranken; in Griechenland sei es schon zu Fällen von Cholera und in | |
| Österreich von Ruhr gekommen. Der Küster nickt. „Ich glaube Kaczyński. Wir | |
| stimmen am Sonntag alle für ihn. Man soll das Schicksal nicht | |
| herausfordern. Wir haben alle Angst. Besser, die Flüchtlinge kommen erst | |
| gar nicht.“ | |
| Dass Kaczyński in seiner Rede die Nazipropaganda aus der Okkupationszeit | |
| aufgreift, als die „Seuchensperrgebiete“, wie die Ghettos offiziell hießen, | |
| die Polen vor den angeblich typhuskranken Juden schützen sollten, will der | |
| Küster nicht hören. Er dreht den Ton ab, geht in die kleine Küche, setzt | |
| Teewasser auf und bietet katholische Erbauungsliteratur an. „Barmherzigkeit | |
| und die schwierige Nächstenliebe“ steht auf einer Broschüre. Er schüttelt | |
| den Kopf. „Jesus will nicht, dass wir uns mit Cholera anstecken. Das | |
| Wichtigste in unserem Leben ist doch unsere Familie. Das sind unsere | |
| Nächsten.“ Im Dorf habe niemand etwas gegen Ausländer oder Muslime. „Aber | |
| sie müssen ja nicht in Massen kommen. Eine syrische Familie würden wir | |
| aufnehmen, so wie es Papst Franziskus empfohlen hat, aber nicht mehr.“ | |
| Auf dem Tisch gegenüber der Eingangstür liegt ein weiteres Wahlplakat für | |
| einen PiS-Kandidaten, diesmal mit dem Slogan: „Arbeit, keine | |
| Versprechungen“. Dem Küster scheint das Plakat peinlich zu sein – | |
| Wahlwerbung, direkt in der Kirche. Wie zufällig schiebt er sich vor das | |
| Plakat und meint: „Unser Priester weiß nicht mehr, was er sagen soll. Da | |
| haben wir hier so eine schöne Kapelle, und die Migranten werden sie sicher | |
| als Klo benutzen und danach abfackeln.“ | |
| Er zieht sich eine Jacke über und geht in den Regen hinaus zur Kirche: | |
| „Hier an der Tür und da an den Füßen des sitzenden Jesus sind die | |
| Brandspuren vom letzten Anschlag. Alles verkohlt. Na ja, das war ein Pole, | |
| kein Syrer. Aber ein Pole, der so etwas tut, ist doch kein Pole, nicht | |
| wahr? Jedenfalls, was ich sagen wollte: Wir sind gewarnt!“ | |
| 24 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Gabriele Lesser | |
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