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# taz.de -- Polens Kulturminister vs Elfriede Jelinek: Vom Professor zum Skanda…
> Ein „Pornostück“ wollte Piotr Glinski verhindern und forderte die
> Absetzung des Dramas „Das Mädchen und der Tod“ der
> Literaturnobelpreisträgerin.
Bild: PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski (r) und Piotr Glinski (l) ganz selbstzu…
Warschau taz | Am Abend der Premiere verbarrikadierte eine Gruppe
katholischer Fanatiker den Eingang zum Teatr Polski in der
niederschlesischen Metropole Breslau (Wroclaw) und berief sich lautstark
auf den Minister. Doch die Polizei war rechtzeitig zur Stelle, bahnte den
Theaterbesuchern den Weg durch den protestierenden Mob und verhaftete
einige der „Rosenkranz-Kreuzzügler für das Vaterland“.
Wenig später hob sich der Vorhang. Das Stück in der Inszenierung von
Ewelina Marciniak konnte wie geplant über die Bühne gehen. Wer sich einen
„Porno-Skandal“ erhofft hatte, wurde enttäuscht: ein paar Nacktszenen, und
das war es dann auch schon.
Doch der fehlgeschlagene Zensurversuch des gerade erst vereidigten
Kulturministers hatte weitreichende Folgen: Kurz nach der Premiere des
Jelinek-Stücks sollte der Minister in der TV-Sendung „Kurz nach 20 Uhr“
Rede und Antwort stehen. Doch schon auf die erste Frage der Moderatorin
reagierte er ungehalten: „Auf welche inhaltlichen und rechtlichen
Grundlagen stützten Sie sich, als Sie den niederschlesischen
Landtagspräsidenten anwiesen, die Premierevorbereitungen zu stoppen?“,
fragte Karolina Lewicka. Glinski schüttelte unwillig den Kopf, zog eine
vorbereitete Erklärung aus der Tasche und begann diese mit monotoner Stimme
vorzulesen.
Lewicka unterbrach ihn und bat ihn ein zweites und drittes Mal, doch auf
ihre konkrete Frage zu antworten. Statt sich nun für den Zensurversuch mit
einem plausiblen Grund zu entschuldigen (fehlender politische Erfahrung,
irreführende Information durch die Rosenkranz-Kreuzzügler oder schlicht
Übereifer im neuen polnischen Kulturkampf) blaffte Glinski die Moderatorin
an: „Das ist ein Propragandaprogramm. So wie euer ganzer Sender, der seit
Jahren Propaganda und Manipulationen bringt.“ Dann drohte er: „Aber das
wird sich ändern! Denn so soll ein öffentliches Fernsehen nicht
funktionieren.“ Der Hinweis Lewickas, dass Politiker normalerweise in
Fernseh-Talkshows auf Fragen von Journalisten antworteten und Glinski Gast
des Senders TVP sei, brachte den Minister nur noch mehr auf.
Nach der Sendung suspendierte TVP-Chef Janusz Daszczyński die Journalistin,
verwies den Fall aber an die Ethikkommission des Fernsehens. Nach einigen
Tagen stand das Urteil der Kommission fest: Die Journalistin habe im
Gespräch mit dem Minister zwar hart nachgefragt, dabei aber nicht die
journalistischen Ethikstandards verletzt. Inzwischen darf Lewicka wieder
moderieren.
Doch kaum jemand macht sich Illusionen darüber, dass Lewicka und viele
ihrer Kollegen demnächst ihre Jobs verlieren werden. Denn Polens neue
rechtsnationale Regierung will zurück zum Staatsfernsehen. Die
öffentliche-rechtliche Struktur von Fernsehen, Radio und der polnischen
Nachrichtenagentur PAP habe angeblich zu Pathologien geführt. Glinski,
bislang Professor für Soziologie an den Universitäten Warschau und
Bialystok, kündigte bereits an, dass aus den bisherigen
Aktiengesellschaften Kulturinstitute nach dem Vorbild der Nationaloper
entstehen sollten.
## Einparteieninformationen
An der Spitze der neuen Staatsmedien soll kein Gremium mehr stehen, sondern
jeweils nur noch ein Chef. Ernennen soll ihn eine Kommission aus Sejm,
Senat und Präsident. Da hier überall die PiS die absolute Mehrheit hat und
auch der Präsident aus den PiS-Reihen stammt, werden die Polen demnächst
wieder ihre Informationen von einer Einparteienpresseagentur und einem
Einparteienfernsehsender erhalten.
Ein ähnliches Programm hatte die PiS bereits 2005 umgesetzt, als sie zum
ersten Mal in Polen regierte, damals mit zwei radikalen Koalitionspartnern.
Seit den Wahlen im Oktober dieses Jahres verfügt die PiS aber über die
absolute Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments und braucht weder
Rücksicht auf Koalitionspartner noch auf die Opposition zu nehmen. Auch
Polens Präsident Andrzej Duda stammt aus den Reihen der PiS. Das
Mediengesetz war das erste Gesetz überhaupt, das die PiS 2005
verabschiedete. Mit dessen Hilfe konnten von 2005 bis 2007 an fast allen
Schaltstellen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks PiS-nahe Journalisten
installiert werden. Nichts anderes ist auch jetzt wieder geplant.
Der Journalist Krzysztof Czabanski, der damals mit Gruppenentlassungen das
polnische Radio „verjüngt“ und auf Linie gebracht hatte, soll auch jetzt
wieder für Personalfragen in den künftigen Staatsmedien verantwortlich
sein. Zur Seite stehen soll ihm Jacek Kurski, der den Spitznamen
„Bullterrier Kaczyńskis“ trägt. Zwar war Kurski für seine Auflehnung geg…
Kaczyński im politischen Aus gelandet, doch seit Kurzem darf er wieder
„zubeißen“. Jarosław Kaczyński selbst, der PiS-Parteivorsitzende, hat zw…
keinen Regierungsposten inne, gilt aber seit Oktober als mächtigster Mann
Polens. Er bestimmt die Richtung, verteilt die Posten im Staat und will
auch die bisherige Verfassung Polens durch eine neue ersetzen.
Eine „Repolonisierung“ steht auch den Verlagen im privatwirtschaftlichen
Sektor bevor. Die neue Regierung wolle bei den Lokalzeitungen „die
Besitzverhältnisse ändern“, sagt Glinski ganz offen. Sie erwäge demnach,
die Anteile ausländischer Verlage „zurückzukaufen“, eigene polnische
Zeitungen zu gründen oder bestehende stärker zu fördern. In Polen gehört
ein großer Teil der Zeitungen deutschen Verlegern.
## „Repolonisierung“
Jarosław Sellin, ein weiterer PiS-Politiker, der demnächst im
Kulturministerium das Sagen haben wird, erläuterte gegenüber dem
rechtsradikalen Internetportal wPolityce, wie die neue Regierung die
„Repolonierung“ der Medien durchführen werde. Entscheidend seien der
Landesrundfunk- und Fernsehrat (KRRiTV) sowie das Amt für Wettbewerbs- und
Verbraucherschutz (UOKiK): Sie würden demnächst genaue Vorschriften
erhalten, wie einer marktbeherrschenden Pressekonzentration
entgegenzutreten sei. „Leider“, so Sellin in wPolityce, sei es in der
Vergangenheit nicht gelungen, den Pressemarkt Polens zu schützen, in
bestimmten Bereichen seien Monopolisten aufgetaucht – „deutsche
Pressekonzerne“. Doch mit den neuen Vorschriften sei das „in den Griff zu
bekommen“.
Polens Pressemarkt hat sich in den letzten Jahren sehr verändert: Die
Auflagen fast aller Zeitungen sind so massiv gefallen, dass kaum ein Verlag
es sich noch leisten kann, nur eine oder mehrere Zeitungen herauszugeben.
Internetportale, Radio- und Fernsehstationen, Fotoagenturen und Buchverlage
ergänzen das Kerngeschäft. An diesem Scharnier könnte Polens neue Regierung
den Hebel ansetzen, um ausländische Verlage zum Verkauf von
Unternehmensteilen zu zwingen. Treffen könnte es aber auch die von fast
allen rechten Politikern wie Medien angefeindete Tageszeitung Gazeta
Wyborcza.
In der südpolnischen Kulturmetropole Krakau bangt indes
Avantgarde-Theaterregisseur Jan Klata um seinen Job am Stary Teatr (Alten
Theater). Eigentlich ist erst die Hälfte seiner Vertragszeit um, doch in
Krakau gibt es rechte Künstlerkreise, die mit Klatas Inszenierungen nichts
anfangen können. Ein Protestbrief an Minister Glinski sei bereits fertig,
so Stanisław Markowski. Jetzt müsse nur noch eine große Protestaktion
organisiert werden, dann werde der Brief abgeschickt. Für die Theatersaison
2015/16 hatte Klata eigentlich die Gründung des Zentrums für Theatralische
Erziehung und des Interaktiven Museums Mizet geplant.
Ob es dazu kommt, steht in den Sternen. Denn ein Teil der Kosten in Höhe
von knapp drei Millionen Euro sollte das Kulturministerium in Warschau
tragen. Glinski aber will, wie er bereits ankündigte, mit der bisherigen
Kulturpolitik brechen und demnächst andere Künstler fördern. Das könnte das
Aus für Klata und seine Projekte in Krakau bedeuten.
29 Nov 2015
## AUTOREN
Gabriele Lesser
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Polen
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