# taz.de -- Debatte Klimaverhandlungen: Raus aus dem Konsenszwang | |
> Die globale Klimapolitik bewegt sich nicht. Seit Kioto blockieren die, | |
> die an fossilen Brennstoffen verdienen. Das Konsensprinzip nervt. | |
Bild: Das Klima können nur Pioniere retten: Aktivist auf der Siegessäule in B… | |
Stellen Sie sich eine Gruppe von circa 200 Menschen vor, die alle abhängig | |
von einer ziemlich starken Droge sind. Zu irgendeinem Zeitpunkt beschließt | |
diese Gruppe in einem Anfall von gutem Willen, von der Droge loszukommen. | |
Wie gut, dass es unter ihnen Suchtspezialisten gibt, Sozialarbeiter und | |
Therapeuten. Aber es gibt auch Dealer, die mit der Droge ein gutes Geschäft | |
machen. | |
Tatsächlich gelingt es ihnen, eine Vereinbarung zum Drogenausstieg zu | |
treffen – zunächst nur ein bisschen und nur für diejenigen, die am längsten | |
abhängig sind, aber immerhin. Und sie vereinbaren, dass der Prozess | |
weitergehen soll. Allerdings hat diese Vereinbarung einen kleinen Haken: | |
Alle Maßnahmen müssen von allen im Konsens beschlossen werden. Jeder kann | |
mit seinem Veto jede Entscheidung verhindern – auch die Dealer. | |
Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Gruppe zu einem Ausstieg aus der | |
Droge kommt? Wer jetzt mit „null“ antwortet, kommt der Wahrheit vermutlich | |
ziemlich nahe. Ein gemeinsamer Drogenausstieg, der zu jedem Zeitpunkt das | |
Einverständnis aller Junkies und aller Dealer voraussetzt, ist zum | |
Scheitern verurteilt. Warum aber erwarten wir von der internationalen | |
Klimadiplomatie, dass sie ein solches Kunststück schafft? | |
Die Drogen sind in unserem Beispiel die fossilen Brennstoffe, von denen wir | |
abhängig sind wie der Junkie vom Stoff. Die Dealer sind die Ölstaaten, aber | |
auch Kohleexporteure wie zum Beispiel Australien, die USA. Auch das ist so | |
weit klar. Aber es ist, glaube ich, nur den direkt am Prozess Beteiligten | |
bewusst, dass die internationale Klimapolitik komplett nach dem | |
Konsensprinzip verfährt. Dass jeder Öl-, Gas- oder Kohlestaat jede | |
Entwicklung nach Belieben killen kann, wenn er seine Interessen berührt | |
sieht. | |
## Lähmung durch Vetorecht | |
Ist es da ein Wunder, dass die Entwicklung nach dem historischen Moment im | |
Jahre 1997 in Kioto, als das gleichnamige Protokoll beschlossen wurde, im | |
Grunde immer nur bergab ging? Dass heute, kurz vor der nächsten großen | |
Klimakonferenz im Dezember in Paris, nicht mehr verbindliche Pflichten zur | |
Reduktion von Treibhausgasen verhandelt werden, sondern nur noch | |
freiwillige Ankündigungen in Form von „beabsichtigten national bestimmten | |
Beiträgen“? Und dass selbst diese Absichtserklärungen nicht ausreichen, um | |
den Temperaturanstieg global unter 2 Grad Celsius zu halten, sondern im | |
Moment die Erde um 3,9 Grad Celsius aufheizen würden? … | |
Wir müssen die Uhr kurz zurückdrehen, um zu verstehen, wie es dazu kommen | |
konnte. Wir müssen zurück in das Jahr 1994, als bei der Vorbereitung des | |
„Klimagipfels“ in Berlin der Vertreter Saudi-Arabiens klarmachte, dass sein | |
Land niemals Mehrheitsentscheidungen erlauben würde. | |
Damit war die gerade verhandelte Geschäftsordnung gestorben, denn sie | |
enthielt eine „Regel 42“ für Abstimmungen, nach der notfalls auch mit einer | |
Dreiviertelmehrheit entschieden werden konnte. In der internationalen Arena | |
weiß man sich in solchen Fällen trotzdem zu helfen: Bei jedem Treffen der | |
Konferenz der Vertragsparteien wird seitdem die Geschäftsordnung zwar | |
angewendet – aber ohne die Regel 42. | |
Dieses Konsensprinzip gilt auch für das Kioto-Protokoll, das ja ein | |
Tochtervertrag der Klimakonvention ist. Ergo: Ein internationales | |
Vertragswerk, welches ausdrücklich der Lösung des Klimaproblems gewidmet | |
ist, ist seit zwei Jahrzehnten wie gelähmt. Weil Staaten dabei sind, die | |
eine Lösung verhindern wollen – und die ein Vetorecht haben und deshalb | |
diese Obstruktion auch durchsetzen können. | |
## Beispiel Ozonloch | |
Man sollte deshalb vorsichtig sein, wenn davon die Rede ist, „die UN“ seien | |
unfähig, dieses Problem anzugehen. Denn es stimmt nicht, dass die UN nur im | |
Konsens entscheiden können. Die Vereinten Nationen kennen alle möglichen | |
Arten von Abstimmungen – echte Einstimmigkeit, wo jeder ausdrücklich | |
zustimmen muss, Konsens, wo niemand widersprechen darf, normale | |
Mehrheitsentscheidungen wie in der UN-Generalversammlung und | |
Mehrheitsentscheidungen von drei Viertel der Staaten. | |
Das Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht hat sogar ein besonders | |
fortschrittliches Entscheidungsverfahren – was zum großen Teil dafür | |
verantwortlich ist, dass der Gefahr durch die Ozonschicht so schnell | |
begegnet werden konnte: Hier können zwei Drittel der Staaten eine | |
Verschärfung der Verbote für ozonzerstörende Stoffe beschließen – und alle | |
Staaten sind daran sofort gebunden, auch wenn sie nicht zugestimmt haben. | |
Nach der Entdeckung des Ozonlochs wurden die Verbote sofort drastisch | |
verschärft. So sehen erfolgreiche Verfahrensregeln aus! | |
## Pioniere gesucht | |
Was also tun? Zunächst einmal nicht das Klimaregime der Vereinten Nationen | |
in Bausch und Bogen verurteilen. Diese großen Konferenzen sind weiterhin | |
notwendig, sie verleihen der Klimapolitik einen globalen Rahmen, lenken die | |
Aufmerksamkeit der Medien auf das Klimaproblem und sind unverzichtbar als | |
globale Bühne. Aber es gibt etwas, was Klimakonvention, Kioto-Protokoll und | |
auch die geplante Pariser Vereinbarung nicht können: Sie können nicht die | |
Verteilung von Ressourcen regeln. | |
Die Dealer werden immer gegen eine Verringerung ihrer Umsätze und Gewinne | |
stimmen. Eine Umwandlung unserer globalen Wirtschaft im Konsens ist | |
Nonsens. Dazu braucht es Vorreiter, die Neues wagen und Neues schaffen – | |
was die anderen dann nachmachen können. | |
Deshalb muss nach Paris ein neuer Prozess in Gang gesetzt werden: ein | |
Vertrag für die Pioniere der Klimapolitik für diejenigen Staaten (und | |
vielleicht auch Regionen und Städte), die die Bekämpfung des Klimawandels | |
als Chance sehen – als Chance für eine Wirtschaft, die smarter ist, kleiner | |
und sauberer, die auch global gerechter ist und dabei unsere | |
Lebensgrundlagen nicht zerstört. | |
Eine solche Allianz hätte Leuchtkraft und könnte Impulse für neue | |
Entwicklungen geben. Könnte Regeln setzen, die dynamisch sind, ohne | |
Konsenszwang, damit der Vorreiterclub sich schnell entwickeln kann. Eine | |
solche Allianz der Pioniere anzuschieben, dies wäre der Job von Deutschland | |
und seiner Umweltministerin Barbara Hendricks im nächsten Jahr. | |
17 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Hermann Ott | |
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