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# taz.de -- Die Wahrheit: „Ich liebe Fantasien aus 1.001 Nacht“
> Das Wahrheit-Interview am Wochenende: Bundeskanzlerin Angela Merkel über
> Flüchtlinge, Vollhorste und ihre Herzensliteratur.
Taz: Frau Merkel, es heißt, die Flüchtlinge würden zur Schicksalsfrage
Ihrer Kanzlerinnenschaft.
Angela Merkel: Ach, wissen Sie, das hieß es vorher von der
Griechenlandkrise auch. Und davor von der Energiewende. Und davor von der
Bankenkrise. Ich sage Ihnen aber: Das Schicksal meiner Kanzlerinnenschaft
wird sich an der nächsten Bundestagswahl entscheiden.
Wie sollen wir das verstehen?
Na, entweder ich gewinne, dann bleibe ich Kanzlerin. Oder eben nicht. Dann
eben nicht.
Ach ja! Das ist diese naturwissenschaftliche Nüchternheit, diese trockene,
unaufgeregte Art, die wir so an Ihnen lieben. Beziehungsweise geliebt
haben. In den letzten Wochen ist die Stimmung ja gehörig umgeschlagen.
Jetzt sind Sie plötzlich die meistgehasste Frau Deutschlands, und Ihre
Umfragewerte rauschen in den Keller.
Sehen Sie: Was wäre denn die Alternative gewesen? Wenn wir die Grenzen
dicht gemacht hätten, wie es der Kollege Orbán von der CSU vorexerziert
hat, dann hätten wir so unappetitliche Bilder von der deutschen Grenze
bekommen wie zuvor von der ungarischen. Was glauben Sie, wie sich die
Umfragewerte dann entwickelt hätten? Manchmal muss man eben einen
verlässlichen Werte-Kompass haben. Außerdem richte ich meine Politik nie
nach tagesaktuellen Umfragen aus, sondern immer nur mindestens nach
Quartaldurchschnittswerten.
Heißt das, Sie wollen auch weiterhin alle Flüchtlinge aufnehmen?
Was heißt schon alle? Ich war immer dafür, die Außengrenzen der EU stärker
zu sichern. Da können wir sicher noch einiges tun, um diese Menschen außen
vor zu halten. Mit der neuen Operation Sophia gegen Schleusergeschmeiß
werden wir da ein gutes Stückchen vorankommen.
Aber damit werden die Fluchtrouten ja noch gefährlicher, das wird doch
Tausende Menschenleben kosten.
Aber nicht bei uns. Außerdem kommen immer noch genug durch, keine Sorge.
Die sind dann aber wenigstens ein bisschen vorselektiert. Sie kennen das:
survival of the fittest. Es ist ja auch meine Aufgabe, die Interessen der
deutschen Wirtschaft im Auge zu behalten.
Fürchten Sie nicht trotzdem, dass die Stimmung in der Bevölkerung ganz
umkippen könnte?
Man muss den Menschen klarmachen, dass die Situation auch gute Seiten hat.
Nehmen Sie nur den Mindestlohn. Irgendwas mussten wir der SPD schließlich
hinwerfen, und da haben wir den Unsinn eben mitgemacht. Jetzt lassen Sie
mal noch ein paar Flüchtlinge dazukommen, dann wischt die Nahles
höchstpersönlich das ruckzuck wieder vom Tisch. Diesbezüglich haben wir in
den Sozialdemokraten ja einen äußerst verlässlichen Koalitionspartner. Und
ich frage Sie: Wo sollen die Arbeitskräfte für die Zukunft herkommen? Die
Türken und die Polen haben ja allmählich keine Lust mehr, hier die ganzen
Drecksjobs zu machen. Da freuen wir uns auf die Syrer und die Afghanen. Ich
sage nur: Willkommenskultur!
Aber denken Sie nur mal an die Proteste im Osten! Bei der letzten
Pegida-Kundgebung wurde sogar die Abspaltung Sachsens gefordert.
Ach, die wissen doch auch nicht, was sie wollen. Rin in die Kartoffeln,
raus aus die Kartoffeln! Ihre letzte Kultur konnten sie vor 26 Jahren gar
nicht schnell genug loswerden. Aber ich denke, wir können denen da schon
entgegenkommen. Wir erklären einfach ganz Sachsen zu einer Transitzone,
dann passt alles. Die bekommen dann ihre Zäune, die sie ja unbedingt
wollen. Und auf der anderen Seite sollte so eine Transitzone Sachsen einen
hinreichend abschreckenden Effekt auf Flüchtlinge ausüben. Ehe sie es auch
nur einmal mit der sächsischen Justiz zu tun bekommen, wird so mancher
sicherlich die Scharia-Gerichte des IS vorziehen.
Aber ist das auf Dauer nicht problematisch für den inneren Zusammenhalt der
Bundesrepublik?
Ach was, das befördert den doch nur. Die Sachsen machen sich zum Seehofer,
Quatsch: zum Vollhorst, und können so ihren notorischen Nörgeldrang und ihr
tief festsitzendes Rudelbedürfnis ausleben. Und der Rest des Landes kann
einfach entspannt so fremdenfeindlich und antisemitisch wie eh und je
bleiben. Der zeigt dann ganz bequem mit dem Finger auf Sachsen und fühlt
sich dabei als absolut weltoffenes, tolerantes und helles Deutschland, weil
er sich schließlich zwischendurch auch mal einen Döner bestellt. Das ist
doch eine sehr klassische Win-win-Situation.
Aber was soll da das Ausland bloß sagen? Erst der rechte Mob in Sachsen,
und jetzt auch noch der ganz große VW-Skandal. Können wir als Exportnation
uns das leisten? Wird so nicht der Markenkern „Deutschland“ dauerhaft
beschädigt?
Wieso das denn? Diese lustige kleine Software, die unsere Tüftler da
eingebaut haben, scheint doch ganz tadellos zu funktionieren!
Wie meinen Sie das?
Na, das ist doch Gratiswerbung für unseren Hochtechnologie-Standort! Mit
einer Reichweite, von der Sie sonst wirklich nur träumen können! Silicon
Valley war gestern, Autostadt Wolfsburg ist heute! Passen Sie auf, der
Winterkorn, der probiert heimlich schon tiefschwarze Rollkragenpullover an.
Außerdem ist die kleine Schummelei gut für unser Image in der Welt. Immer
noch allzu oft gelten wir Deutschen ja als obrigkeitsfixiert, hyperkorrekt
und ein bisschen langweilig. Mit der VW-Chose haben wir es allen aber so
richtig gezeigt. Jetzt schnalzt sogar Berlusconi respektvoll mit der Zunge!
Apropos Ansehen im Ausland: Waren Sie eigentlich sehr enttäuscht, dass Sie
den Friedensnobelpreis nicht erhalten haben? Sie galten ja als
Topfavoritin.
Ach, Gott sei Dank ist dieser Kelch an mir vorübergegangen. Das macht doch
nur Ärger! Wo hätte ich das Ding denn noch hinhängen sollen? Ich lebe ja so
furchtbar bescheiden, da habe ich doch überhaupt gar keinen Platz für so
Zeug. Und dann hätte ich zur Preisverleihung nach Oslo gemusst. Da weiß man
wieder nicht: Wohin mit dem Mann und was zieht man da an? Obwohl, ich hätte
ja noch das Kleid von meinem letzten Oslo-Besuch im Schrank hängen. Aber
dann hätten am Ende wieder alle wochenlang drüber diskutiert. Und wenn
schon Nobelpreis, dann hätte ich ja lieber den in Physik. Den in Frieden
hat ja schon der Barack Obama gekriegt, und dann heißt es gleich wieder,
ich sei ja nur eine Marionette der USA.
Manche glauben ja, dass die USA gezielt Europa mit Flüchtlingen
destabilisieren wollen …
So ein Quatsch! Das ist eine absurde Verschwörungstheorie. Das würden die
Rothschilds doch niemals zulassen!
Frau Merkel, zum Abschluss noch etwas Persönliches. Passend zur Frankfurter
Buchmesse: Können Sie unsern Lesern und Leserinnen Ihre
Lieblingsschriftsteller verraten?
Selbstverständlich. Da wäre zunächst mal Monika Maron, eine kluge, stets
gut gelaunte und hellsichtige Autorin, mit deren Hilfe man eine Bewegung
wie Pegida überhaupt erst richtig zu verstehen lernt. Dann natürlich Botho
Strauß, der mir ein schönes Gefühl davon vermittelt, wie es ist, wenn man
im Alter allmählich wahnsinnig wird. Und schließlich Akif Pirinçci, dieser
wilde Orientale. Der schickt mir auf Facebook ständig so kleine
Tausendundeine-Nacht-Fantasien, die ich immer gerne lese, wenn ich mich mal
„entspannen“ will. Das liebe ich. Der ist wirklich ein ganz Süßer!
Frau Bundeskanzlerin, wir danken Ihnen für das Gespräch und diese tiefen
Einblicke!
17 Oct 2015
## AUTOREN
Heiko Werning
## TAGS
Schwerpunkt Angela Merkel
Flüchtlinge
Literatur
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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