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# taz.de -- Wahl zum Oberbürgermeister: Köln kann nicht anders
> Pannen und Pleiten gehören schon fast zum Image dieser Stadt. Viele
> nervt's. Was ist los mit Köln? Ist der Unmut ihrer Bürger verpufft?
Bild: Kämpft für jeden Baum: Thor Zimmermann von der Wählergruppe „Deine F…
Köln taz | Gleich gegenüber der Stelle, wo im März 2009 das Stadtarchiv
einstürzte, gibt es eine Kneipe. „Papa Rudi’s“, sie ist legendär. Seith…
kursiert in Köln der Witz: Sehen wir uns auf einen „Absacker“ bei Rudi?
Noch immer klafft am Waidmarkt ein metertiefer Krater, umgeben von
Bauzäunen. Ein Paar aus Weidenruten geflochtene Herzen, ein paar
Grablichter am Boden – ansonsten erinnert nichts mehr an die Katastrophe,
bei der zwei Menschen ums Leben kamen. Bis heute ist nicht geklärt, warum
das Gebäude in sich zusammensackte.
Dass es mit dem U-Bahn-Bau zusammen hing, steht außer Zweifel. Niemand
musste sich bislang vor Gericht verantworten, die Beweisaufnahme ist noch
immer nicht abgeschlossen. Die geplante Nord-Süd-Bahn wird, optimistisch
gerechnet, nicht vor 2023 eröffnen; die geborgenen Archivalien zu
restaurieren, wird Jahrzehnte dauern.
Frank Deja und Sabine Rösler gehören zu den Mitbegründern der
Bürgerinitiative „Köln kann auch anders“, die sich nach dem Einsturz des
Stadtarchivs gegründet hat. Jahrelang zogen sie jede Woche vor das Rathaus,
informierten über umstrittene Ratsbeschlüsse. Es sei damals ein Aufbruch zu
spüren gewesen, sagt Deja – es war die Zeit von Stuttgart 21. Frank Deja,
58, Dolmetscher von Beruf, wird nostalgisch, er sitzt mit Rösler beim
Kölsch bei Papa Rudi’s, und der Ton seiner Stimme wird weich. „Da war ich
stolz auf Köln.“
## Noch so ein Absacker
Gegen den geplanten Abriss der Kölner Oper protestierten 2010 noch
Tausende, der Ratsbeschluss wurde zurückgenommen. Doch inzwischen ist das
Engagement abgeebbt. Die Wiedereröffnung der Oper wurde gerade verschoben,
die Sanierung wird viel teurer als geplant. Nicht nur schlechte Verwaltung
und mangelnde Bauaufsicht sind schuld. Auch der so oft gerühmte Optimismus
der Kölner: „Es hätt noch immer jot jejange“. Nein, es ist nicht gut. Es
ist fahrlässig, wie sich die Kölner darin gefallen, rheinisches Grundgesetz
hin oder her.
Deja und Röser sind es leid, die Nörgler vom Dienst zu spielen. Dennoch
wollen sie weitermachen, konzentrierter, sie demonstrieren jetzt nur noch
vor Ratssitzungen, wie zuletzt gegen eine Baustelle im Nordosten der Stadt.
Dort senkt sich auf einem Hubschrauberlandeplatz der Boden. Wen wundert’s,
der Landeplatz wurde nämlich auf einer ehemaligen Mülldeponie errichtet,
allen Warnungen zum Trotz. Wieder so ein Absacker.
„So schnell werden die uns nicht los“, sagt Sabine Rösler entschieden. Die
Architektin nimmt noch einen Schluck Kölsch und zeigt auf den Archivkrater.
Eine Schande, dass es bis heute kein öffentliches Mahnmal gibt. Sie nennt
es „organisierte Verantwortungslosigkeit“: Viele sind zuständig, keiner
fühlt sich verantwortlich.
Wie viele, die für einen politischen Neuanfang kämpfen, ist auch Thor
Zimmermann mittlerweile in der Kölner Realität angekommen. Er kommt mit dem
Fahrrad zur Baustelle auf dem Heliosgelände in Köln-Ehrenfeld. Der
49-Jährige hat ein kümmerliches Ahornbäumchen dabei: „Ein Symbol für das,
was aus unseren Forderungen geworden ist.“
Auf einem Parkplatz neben dem Musikclub „Underground“ lässt sich das vier
Hektar große Areal überblicken: Abrissflächen, Backsteinfassaden, dahinter
der Heliosturm, Überbleibsel einer Beleuchtungsfabrik aus der Gründerzeit.
Seit dem Frühjahr fuhrwerken hier die Bagger: Eine Schule entsteht neben
Wohnungen, Gewerbe und Kultur. Ursprünglich war hier eine Shoppingmall
geplant, die Ehrenfelder protestierten, es gab ein aufwändiges
Bürgerbeteiligungsverfahren. Doch Jahre später kämpft Thor Zimmermann noch
immer für die Bürgerbeschlüsse: „Was die Verwaltung aus unseren Wünschen
gemacht hat, ist unterirdisch.“
Thor Zimmermann ist Kommmunalpolitiker. Geboren in Norwegen, aufgewachsen
in Schwaben, verschlug es ihn vor drei Jahrzehnten nach Köln. Ein „Immi“,
wie die Kölner die Zugezogenen nennen. 2009 gründete er mit Freunden die
Wählergruppe „Deine Freunde“. Ihr Anliegen: mehr Transparenz, mehr
Bürgerbeteiligung, mehr Grün. Zwei Sitze haben sie im Stadtrat. „Deine
Freunde“ haben viele Schnittmengen mit den Grünen, finden aber, dass diese
den Sozialdemokraten im rot-grün regierten Köln zu wenig die Stirn bieten.
Hinter den Bauzäunen am Heliosgelände am vierspurigen Ehrenfeldgürtel
baumeln Wahlplakate an Laternenmasten. Da war doch was? Stimmt, die
Oberbürgermeisterwahl, die eigentlich Mitte September hätte stattfinden
sollen. Wäre da nicht die Panne mit den Wahlzetteln gewesen: Die Namen der
Parteien waren viel größer abgedruckt als die der Kandidaten. Der Patzer
kostet die Stadt 1 Million Euro, niemand will dafür verantwortlich sein.
„Schlamperei, die für Politikverdrossenheit sorgt“, ärgert sich Zimmerman…
„Jetzt erst recht!“ steht auf einem der Wahlplakate. Darauf schaut die
Parteilose Henriette Reker entschlossen in die Kamera, die Stirn in Falten
gelegt. Die 58-jährige Juristin gilt neben dem Sozialdemokraten Jochen Ott
als aussichtsreichste Kandidatin für das Oberbürgermeisteramt. In
mehrfacher Hinsicht ist sie ein Novum: Nicht nur dass eine Frau kandidiert
und sie parteilos ist. Sie wird auch noch von einer Jamaika-Koalition
unterstützt. Neben Christdemokraten, Grünen und Liberalen machen sich aber
auch die freien Wähler und Zimmermanns „Freunde“ für die Kölner Sozial- …
Umweltdezernentin stark.
## Die parteilose Kandidatin
Thor Zimmermann klingt nicht euphorisch, eher pragmatisch, wenn er von
Reker spricht. Er traut ihr zu, die Verwaltung neu aufzustellen. Sie habe
gute Leute, würde sich auch Kompetenz von außen holen, nicht nach
Parteibuch entscheiden. In der Flüchtlingskrise hat sie gepunktet. Und dann
will sie die Bürgerrechte stärken – etwa Beteiligungsverfahren bei
Großprojekten festschreiben. Wenn städtische Kontrolle versagt und sich
Kommunalpolitiker im Verschleiern üben, sollen also engagierte Bürger die
Geschäfte selbst in die Hand nehmen. Aber tun das nicht engagierte Bürger
wie Frank Deja und Sabine Röser längst? Für sie klingt das nach
„Mogelpackung“.
Vom Einsturzort des Stadtarchivs in der Innenstadt sind es 15 Minuten
Fußweg bis zum historischen Rathaus. Auch dort stehen Bauzäune, auch dort
wird gegraben: nach Zeugnissen des jüdischen Lebens in Köln im Mittelalter.
Japanische Touristen irren zwischen den Zäunen umher, kein Hinweisschild
erklärt ihnen, dass sich hier die archäologische Zone befindet.
Der Zugang zum Spanischen Bau, wo der Rat der Stadt tagt und die Fraktionen
sitzen, ist schwer zu finden. Das Büro von Thor Zimmermann liegt versteckt
hinter einem Treppenabsatz im zweiten Stock. Das Fenster ist geschlossen,
wer will schon den Baulärm hören? Zimmermann arbeitet hauptberuflich als
Angestellter in einem Bilderrahmengeschäft. Doch zwei Tage in der Woche
sitzt er in seinem Büro, bereitet sich auf Sitzungen vor.
„Diese Stadt ist chronisch pleite, aber stürzt sich in Riesenprojekte“,
stöhnt er. Köln kämpft seit Jahren mit einem strukturellen Haushaltsdefizit
in dreistelliger Millionenhöhe. Die Fertigstellung der Nord-Süd-Stadtbahn,
die Sanierung der Oper, die Instandsetzung der maroden Rheinbrücken – das
geht in die Milliarden. Doch munter würden neue Großprojekte geplant, etwa
die „historische Mitte“, ein neuer Museumskomplex, der die Geschichte Kölns
präsentieren soll. Dabei sind die Ausgrabungen vor dem Rathaus noch lange
nicht abgeschlossen.Fahrlässige Selbstüberschätzung sei das: „Die Stadt
soll erst mal ihre Hausaufgaben erledigen.“
## Ehrenamtlicher Rat
Dass Köln schlecht regiert wird, ist auch der Tatsache geschuldet, dass die
Millionenstadt als einzige in Deutschland einen ehrenamtlich arbeitenden
Rat hat. Neunzig Freizeitpolitiker beraten und kontrollieren eine 17.000
Mann starke Verwaltung. Das kann nicht gutgehen, sagt Zimmermann:
„Kontrolle funktioniert nicht über Ehrenamt.“ Ob eine minimale
Aufwandsentschädigung noch zeitgemäß ist für die Kölner Ratsmitglieder,
steht immer wieder auf der Tagesordnung im Landtag, geändert hat sich aber
bislang nichts.
Momentan schauen ohnehin alle auf die Oberbürgermeisterwahl am Sonntag.
Bloß keine Stichwahl, die würde die Hängepartie unnötig verlängern. Zur
Wahlbeteiligung will sich auch Thor Zimmermann nicht äußern, quer durch die
Parteien geht die Angst um, dass sie niedriger ausfallen könnte als je
zuvor.
Just in dieser Zeit tagt an einem Donnerstagnachmittag der
Stadtentwicklungsausschuss. Zimmermann muss kurzfristig seine kleine
Tochter mitnehmen. Er erringt einen Etappensieg: Die Vorlage zum
Heliosgelände wird wieder zurück in die Verwaltung gespielt – zur erneuten
Überarbeitung. Es ist noch immer nicht ausgestanden? Thor Zimmermann lacht,
in seiner Stimme schwingt Sarkasmus mit: „Ich traue in dieser Stadt
niemandem, bevor nicht bezugsfertig gebaut ist.“
19 Oct 2015
## AUTOREN
Claudia Hennen
## TAGS
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Henriette Reker
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Kommunalwahl
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