Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Chinas kleiner Freund im Norden
> Island ist zentral für den zunehmenden Schiffsverkehr in der Arktis.
> China will es als Trittbrett benutzen, um sich strategisch zu
> positionieren.
Bild: Island ist ganz schön begehrt – aber nicht wegen seiner Vulkanausbrüc…
Þorvaldur Lúðvík steht mit windzerzaustem Haar inmitten der gelblichen
Gräser, die am Ufer des längsten Fjords von Island wachsen. Er blickt auf
den Ort, an dem in Zukunft der Hafen von Dysnes liegen soll. Das
isländische Firmenkonsortium Arctic Services, dessen Direktor Lúðvík ist,
hofft auf die Entstehung eines neuen Seewegs durch die Eisschmelze. Der
neue Hafen an der Nordküste Islands könnte dann ein Tor zur Arktikroute
werden – ein vielversprechendes Geschäft. Auch wenn eine sichere und
reguläre Handelsroute noch lange nicht in Sicht ist, nimmt durch die
Klimaerwärmung der Verkehr auf dem Arktischen Ozean von Sommer zu Sommer zu
– 2014 überquerten 53 Schiffe das Nördliche Eismeer.
Zur großen Überraschung des Konsortiums wandte sich im April 2012 die China
Development Bank (die staatliche chinesische Bank für Entwicklung) an
Arctic Services und bekundete sein Interesse an dem Projekt. China hat die
Möglichkeiten des hohen Nordens im Blick und arbeitet seit einem Jahrzehnt
an einer Strategie, sich in der Arktis zu positionieren. Und Island spielt
dabei eine zentrale Rolle.
Da die Hälfte des chinesischen Bruttoinlandsprodukts vom Schiffsverkehr
abhängt, betrachtet die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt die
Nordostpassage entlang der russischen Küste und die Nordwestpassage als
brauchbare Alternativen zu den Routen durch den Suez- und den Panamakanal,
die überfüllt und vor allem viel länger sind. Durch die Nordostpassage wäre
die Strecke Rotterdam – Schanghai um ein Viertel kürzer, das heißt um circa
5.000 Kilometer.
Außerdem ist Peking an einem leichteren Zugang zu den lokalen natürlichen
Ressourcen interessiert. In der nördlichen Polarregion sollen 13 Prozent
der unerschlossenen globalen Reserven an Erdöl und 30 Prozent an Erdgas
lagern. Hinzu kommen riesige Mineral- und Fischvorkommen.
## Eisbrecher auf der Nordroute
China hat bereits begonnen, in diesem Gebiet zu investieren, vor allem in
mehrere Minen in Grönland und in die Ölforderung im isländischen Meer. 2010
und 2012 hat Peking unter Beweis gestellt, dass es in der Lage ist, mit
seinem einzigen Eisbrecher „Xue Long“ („Schneedrachen“) die Nordroute zu
befahren. Ein zweiter Eisbrecher soll 2016 hinzukommen, um dem wachsenden
chinesischen Schiffsverkehr in der Arktis Rechnung zu tragen. Huigen Yang,
Generaldirketor des chinesischen Polarforschungsinstituts, meint, bis 2020
könnten fünf bis 15 Prozent des chinesischen Außenhandels über die
Nordroute abgewickelt werden.
Wegen seiner wirtschaftlichen Interessen in der Region hat Peking einen
Beobachterstatus im Arktischen Rat beantragt (siehe Artikel auf Seite 20).
Im ersten Anlauf 2009 wurde das Gesuch abgelehnt. Kanada und Russland
befürchteten, dass die Internationalisierung der Arktis auf eine
„UNOisierung“ des Gebiets hinauslaufen könnte. Die anderen Länder blieben
skeptisch, weil China sich erst seit Kurzem in der Arktis engagiert. Seine
erste Forschungsstation eröffnete es 2004 auf Spitzbergen. Aber, so betont
Olga Alexeeva, Sinologin an der Universität von Québec, „der Sitz im
Arktischen Rat war für China essenziell, denn um ein Mitspracherecht bei
der Entwicklung der Region beanspruchen zu können, musste es als Großmacht
anerkannt werden, die Verantwortung übernimmt“.
Ab 2006 bemühte sich Peking um eine Annäherung mit dem kleinsten
Anrainerstaats der Arktis, Island, und begann, mit Reykjavík Verhandlungen
über ein Freihandelsabkommen zu führen. Bezeichnenderweise räumten im
selben Jahr die USA ihre isländische Militärbasis Keflavík. Das
chinesisch-isländische Finanzabkommen von 2010 half Island, seine
Finanzkrise zu bewältigen, und der Besuch des damaligen chinesischen
Ministerpräsidenten Wen Jiabao besiegelte 2012 die neuen Beziehungen
zwischen beiden Ländern. Ein Jahr später wurde dann auch das erste
Freihandelsabkommen zwischen China und einem europäischen Staat
unterzeichnet.
## Besuch vom „Schneedrachen“
Speziell Islands Präsident Ólafur Ragnar Grímsson mit seiner sehr
chinafreundlichen Paralleldiplomatie trug wesentlich zum erfolgreichen
Abschluss der Verhandlungen bei. So empfing er die Mannschaft des
Eisbrechers „Xue Long“ in seinem Amtssitz. Im Zuge dieser bilateralen
Annäherung unterstützte Reykjavík schon früh die chinesische Bewerbung für
die Aufnahme in den Arktischen Rat. Und Peking versuchte die bewährte
Strategie nun auch bei anderen Mitgliedstaaten des Rats: 2010 reiste
Staatspräsident Hu Jintao nach Kanada, 2012 nach Dänemark, um Forschungs-
und Handelsabkommen abzuschließen.
Noch 2009 hatten einige chinesische Funktionäre getönt, „keine Nation“
besitze die Hoheit über die Arktis. Später fand Peking jedoch „die richtige
Sprache gegenüber dem Arktischen Rat und der indigenen Bevölkerung und
beteuerte, die Souveränität der Staaten zu respektieren“, erklärt die
Juristin Rachael Lorna Johnstone von der isländischen Universität von
Akureyri. Dank seiner bilateralen Bemühungen erhielt China 2013 auf dem
Arktisgipfel im schwedischen Kiruna den begehrten Beobachterstatus im
Arktischen Rat (ebenso wie Japan, Südkorea, Singapur und Indien;
Frankreich, Deutschland, die Niederlande, Spanien, Polen und Großbritannien
besaßen ihn bereits).
China bezeichnet sich selbst als „arktisnaher“ Staat, und es ist
unwahrscheinlich, dass es sich langfristig mit dem Status eines Beobachters
zufrieden geben wird. Mit einem weiteren Vorstoß würde Peking jedoch eine
Konfrontation mit den USA riskieren. Bislang übte sich Washington in
Zurückhaltung. Doch in diesem Jahr werden die USA den Ratsvorsitz
übernehmen, und es steht zu erwarten, dass Washington sein eigenes
Engagement verstärkt, vor allem durch die Ernennung eines „Botschafters für
die Arktis“.
## Alle rüsten auf
Während eines dreitägigen Besuchs in Alaska kündigte Präsident Barack Obama
Anfang September zudem an, den Bau neuer Eisbrecher zu beschleunigen, die
das ganze Jahr über in der Polarregion aktiv sein können. Damit will
Washington auch den zunehmenden russischen Aktivitäten in der Arktis etwas
entgegensetzen. Moskau baut zehn neue Forschungsstationen entlang seiner
Polarmeerküste und hat alte Militärbasen reaktiviert, die nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion geschlossen worden waren.
Seit 2013 hat Moskau zudem seine Kooperation mit China verstärkt. Das
russische Mineralölunternehmen Rosneft hat mit chinesischen Firmen ein
Förderabkommen für die russische Arktis unterzeichnet. Weil Russland wegen
der westlichen Sanktionen das nötige Kapital fehlt, um seine Ressourcen zu
erschließen, hat sich diese Zusammenarbeit seitdem weiter intensiviert.
Die isländische Bevölkerung hat inzwischen begriffen, dass China ihr Land
als Trittbrett benutzt hat. Örn D. Jónsson, Professor an der Universität
von Island, drückte es 2013 so aus: „Island war für China das Übungsfeld
für seine Arktisdiplomatie und für Verhandlungen über Handelsabkommen. Aber
mit der Zeit hat unser Land an Bedeutung verloren.“ Durch das
Freihandelsabkommen ist Island immer noch der beste Freund Chinas in der
Arktis – aber es ist nicht mehr der einzige.
7 Oct 2015
## AUTOREN
Florent Detroy
## TAGS
USA
China
Russland
Schwerpunkt Klimawandel
Arktis
Island
Schwerpunkt Klimawandel
Island
Barack Obama
Barack Obama
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
2016 war bislang heißestes Jahr: Drittes Rekordjahr in Folge
2014 war das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1880.
Dann wurde es von 2015 abgelöst und nun von 2016. Grund dafür ist der
Klimawandel.
Islands Präsident will nicht mehr: Der einst extrem Linke
Ólafur Ragnar Grímsson ist eine schillernde Figur isländischer Politik.
Umstritten war er in seinen 20 Jahren als Präsident fast immer.
Umweltaktivist über Obamas Klimareise: „Das ist ein skurriler Trip“
Barack Obama reist in Sachen Klimaschutz nach Alaska. Bill McKibben hält
das für eine Inszenierung und setzt auf die Macht des Protests.
Der größte Berg der USA: Mount McKinley heißt wieder Denali
Kurz vor dem Alaska-Besuch Obamas erhält der Top-Gipfel der USA seinen
alten Namen zurück. Und Außenminister Kerry disst die Klimaschutz-Kritiker.
Fossile Brennstoffe und Klimawandel: Klimaschutz killt Kohle
Zum Erreichen des Zwei-Grad-Ziels müssen riesige Energie-vorkommen in der
Erde bleiben. Die EU, die Golfstaaten und Russland wären die Verlierer.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.