# taz.de -- Nachruf auf Henning Mankell: Wer war der Mörder? | |
> Der Krimi-Autor Henning Mankell war einer, der sagte: Nein, die | |
> Oberfläche täuscht. Nun ist er in Göteborg im Alter von 67 Jahren | |
> gestorben. | |
Bild: War er ein Prophet? Wenn, dann einer mit Geschmack für Gewaltorgien. | |
Ob er sich vorstellen könne, mit seinen Romanen die Leser, die Schweden ja | |
gar nicht kennen, zu verwirren? Inwiefern?, fragte er zurück. Nun, Ystad am | |
äußerten südlichen Zipfel seines Landes, sei ein ausgesprochen friedliches | |
Nest mit freundlich und akkurat angestrichenen Häusern in warmen Tönen, mit | |
Menschen, die gewogen morgens um sechs Uhr schon grüßen – und doch liegt es | |
nahe, liest man die Geschichten von Henning Mankell mit dem von ihm | |
erfundenen Kommissar Kurt Wallander, diesen Flecken friedliche Welt für ein | |
Horrornest zu halten. | |
Henning Mankell schmunzelte bei dieser Skizze und sagte, nein, natürlich | |
habe er Ystad nicht in ein falsches Licht tauchen wollen, aber irgendwo in | |
Schweden hätte eben der brummelige, immer leicht schwermütige Kommissar ja | |
leben müssen. So eben Ystad, und außerdem finde er auch, dass es dort schön | |
sei. Die Leser und Leserinnen dieses Autors aber glauben, reisen sie durch | |
Smaland, durch Blekinge und Skane, wo die meisten der schlimmen Morde, die | |
Henning Mankell schriftstellernd anzettelte, dass dort hinter dem puren | |
Schein blutrünstigste Albträume lauern. | |
Zu Literatur gebrachte Morde gab es schon vor Henning Mankell, man denke | |
nur an Autor*innen Maj Sjöwall und Per Wahlöö. Aber niemand hat solch | |
grauenhafte, teils sadistische Szenarien in seine Plots eingewoben. Ja, | |
vielleicht lebten die Storys Mankells gerade von jenem Inhalt, aus dem alle | |
linken Ängste sind: dass die Welt einem schlimmen Schicksal entgegenlebt, | |
eines voller Apokalypsen, Abgründe und Strafen, und dass diese Schrecken | |
nicht irgendwo in der Dritten Welt spielen, sondern in unseren | |
Nachbarschaften, ganz nah bei einem selbst. | |
Mankell, 1948 in Stockholm als Kind kulturinteressierter und in der Kultur | |
tätiger Eltern geboren, wollte schon immer Schriftsteller werden, Autor und | |
Bühnenmann, eine Figur werden, die der Welt etwas mitzuteilen hat. Und wie | |
er das hatte! Ganz Kind seiner Zeit, politisch natürlich links, in den | |
Siebzigern gar Mitglied einer maoistischen Gruppe in Schweden, lag ihm | |
besonders am Herzen, „die Gesellschaft zu demaskieren“. So wie er wollten | |
das ja in den reichen Ländern der Welt viele Millionen Menschen, die | |
politische Aufmerksamkeit als junge Menschen für sich reklamierten. | |
Mankell war einer, der sagt: Nein, die Oberfläche täuscht, es sieht nicht | |
alles ordentlich aus, in Wirklichkeit ist die Welt verderbt und voller | |
Opfer, die man zur Stimme bringen muss. Noch bei unserem Gespräch vor zwölf | |
Jahren sagte er, für die Schönheit der Welt habe er erst in späteren Jahren | |
einen Sinn entwickeln können, so stark sei sein Zorn auf die Enge und | |
Engherzigkeit der schwedischen Wohlhabenheit gewesen. | |
Insofern war Mankell, wie die linksradikale Boheme in seinem Land ja | |
überhaupt, so scharf im Zeitgeist, wie es irgend ging. Mit dem steten | |
Bohren dicker Bretter, wie es Sozialdemokraten gern haben, ginge es nicht | |
weiter. Dieser Schwede, den man sich als außergewöhnlich zugewandten, | |
zuhörenden und sanft antwortenden Mann vorstellen muss, wollte lieber | |
anderes. Mahnen, aufklären, das Verhängnis verhindern. „Ja, das gebe ich | |
zu, ich habe starke melancholische Züge – aber ist Traurigkeit nicht in | |
jedem Menschen?“, antwortete er auf die Frage, ob seine Schwermut ein oft | |
anzutreffender bei schwedischen Menschen sei. Ja, er hatte natürlich recht: | |
Mankell konnte traurig sein, und das wirkt sympathisch in einer Welt, die | |
so oft auf den Modus des Optimismus und des Frohsinns eingestellt scheint. | |
Mankell war ein Grübler, aber deshalb ja nicht stumm. | |
## Mahner und Prophet | |
Anfang der neunziger Jahre wurde er, der in Schweden ein bekannter Autor | |
war, (nicht nur) in Deutschland berühmt. Kein Schriftsteller hat mehr | |
Lesende gewinnen können, kein Autor hatte bis zum hochsiebenstelligen | |
Bereich Auflage machen können. Was damals fehlte, hatte er zu bieten: | |
Kriminalromane, die von echten Ängsten und der mit ihnen imaginierten Welt | |
handeln. Kurt Wallander, vielleicht mehr als ein nur ein Stück Alter Ego | |
seines Schöpfers, hieß der Kommissar, der von Ystad Fälle zu lösen hatte, | |
die immer weit über das regionale Maß hinausreichten. | |
Am Ende waren alle Geschichten global angelegt, ohne dass sie ins | |
James-Bond-Hafte ausuferten. „Mörder ohne Gesicht“, „Die Hunde von Riga�… | |
„Der Mann, der lächelte“, „Mittsommermord“, auch „Die fünfte Frau“ | |
handelten von einer Gesellschaft, der schwedischen, die an der eigenen | |
Beliebigkeit zu ersticken scheint, sediert durch Gleichgültigkeit den | |
Nächsten gegenüber, beruhigt durch die Sicherheit der wohlfahrtssaatlichen | |
Umstände. Mankell war quasi über Nacht der Lieferant von Erklärungsmustern | |
geworden, ein Stichwortgeber freilich der seriös anmutenden Sorte, ein | |
Robin Hood der literarischen Welterzeugnisse. | |
Mankell, der doch demaskieren wollte und in Schweden eine Größe unter | |
vielen war, kam so zur Rolle des Mahners, des Propheten, des Gerechten. Er, | |
der viele Monate im Jahr in Mozambique lebte und dort ein Theater | |
ermöglichte und auch leitete, war der Star einer Szene, die mit ihm die | |
Erläuterungen bekam, welche sie brauchte: die Welt, die sich auf Abgründe | |
zubewegt – und die, die das nicht sehen, als Lemminge, ohnmächtig und | |
träge. | |
In der Literaturkritik wurde mit den Jahren bemäkelt, Mankell liefere | |
antipolitischen Stoff, der nichts zu den wirklichen Verhältnisse zu sagen | |
habe, weil er sie so überzeichnet, dass nur ein Grusel übrig bliebe, | |
moralisch ein folgenloses Weltbeschreiben, dem Schauerroman näher als | |
realistischen Figuren- und Umweltskizzen: Märchen für | |
Globalisierierungskritiker*innen. | |
Gleichwohl: Das sind immer noch spannende Geschichten. Mankell hat, neben | |
den innerschwedischen Welten, viel afrikanischen Stoff zu Büchern | |
verarbeitet. Das jüngste aber handelt vom Sterben. Der Titel lautet: | |
„Treibsand. Was es heißt, ein Mensch zu sein“. Ein Nachwort, so wusste er | |
seit einigen Monaten, für sein Publikum für das, was in Bälde passieren | |
würde – sein Nicht-mehr-auf-der-Welt-Sein. Henning Mankell ist in Göteborg | |
gestern im Alter von 67 Jahren an den Folgen seiner Krebserkrankung | |
gestorben. | |
5 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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