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# taz.de -- Wem das Watt gehört: Noch reichlich Baustellen übrig​
> Das Wattenmeer ist ein Nationalpark vor der Küste eines Industrie- und
> Agrarlandes in einem der am stärksten genutzten Meere der Welt. Ein
> 30-Jahre-Fazit.
Bild: Erschüttert die Glaubwürdigkeit des Nationalparks: die Bohrinsel „Mit…
HAMBURG taz | Der Knutt ist eine Schnepfe, die Muscheln als Ganze
verdrückt. Vor einigen Jahren bekam er ein Problem damit: Die
Muschelschalen wurden immer dicker, sodass der Knutt-Magen immer größere
Probleme hatte, die Muscheln zu zermalmen. Das Verdauen wurde anstrengend,
die rundlichen Vögel bekamen Mühe, sich genügend Speck für den Weiterflug
nach Afrika anzufressen. Der Bestand schwand.
Für Gregor Scheiffahrt von der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches
Wattenmeer zeigt der Knutt, wie komplex die ökologischen Zusammenhänge im
Wattenmeer sind, und wie schwierig es deshalb ist, zu erforschen, wie sich
dieser einzigartige Lebensraum entwickelt und ob der Schutz gefruchtet hat.
„Wir können begründet stolz sein auf das, was man im Wattenmeer als
Gesellschaft erreicht hat“, findet Hans-Ulrich Rösner von der Schutzstation
Wattenmeer des WWF in Husum. Das Etikett Nationalpark sei zusammen mit dem
Welterbestatus „ein hervorragendes Werbeinstrument“, sagt dagegen Manfred
Knake vom Wattenrat, einem lockeren Zusammenschluss verbandsunabhängiger
Naturschützer. „Die Nationalparkverwaltung ist mehr dem Tourismus
verpflichtet als dem Naturschutz“, lautet sein zentraler Vorwurf. Dabei
sollte doch im Nationalpark die Natur im Grundsatz sich selbst überlassen
bleiben.
## Scheinheililge Zugvogeltage
Knake findet es unmöglich, dass die Anrainer-Gemeinden ihre Gäste mit
öffentlichem Feuerwerk bespaßen. Ihn ärgert, dass die Verwaltung das
Kite-Surfen im Nationalpark erlaubt hat. Er betrachtet es als scheinheilig,
dass die Nationalparkverwaltung mit „Zugvogeltagen“ wirbt, zugleich aber
die Vogeljagd erlaubt. Trotz der Floskel „Man kann nur schützen, was man
kennt“ habe der Tourismus zur Verbesserung der desolaten Lage der Zugvögel
nichts beigetragen, sagt Knake.
Wenn schon geschossen werden müsse im Wattenmeer, sagt er, dann bitte auf
die verwilderten Katzen, die Touristen und Anwohner auf die Inseln gebracht
haben. Sie räumen die Nester der Bodenbrüter aus – als seien die anderen
Räuber wie Füchse oder Marderhunde nicht genug. „Mit dem Bau des Dammes
nach Sylt vor 90 Jahren ist Sylt vogelleer geworden“, bestätigt Rösner vom
WWF.
Eine Langzeitstudie, die das Internationale Wattenmeersekretariat im Sommer
vorgelegt hat – „Trends of Migratory and Wintering Waterbirds in the Wadden
Sea 1987/1988–2011/2012“ –, kommt für die Vogelwelt unterm Strich zu ein…
negativen Ergebnis. Die Bestandszahlen von 14 Rastvogelarten haben demnach
abgenommen, etwa der Austernfischer, die Ringelgans und die Silbermöwe; 13
Arten zeigten keine Veränderung und sechs Arten nahmen zu.
## Intensive Ursachenforschung
„Es ist intensiv an den Ursachen geforscht worden“, sagt Scheiffahrt von
der Nationalparkverwaltung. Sie seien aber sehr komplex. „Es handelt sich
vielfach um Vögel, die nur einen Teil ihres Lebens bei uns verbringen“,
sagt er. Außerdem lebten die Vögel unterschiedlich.
Der gut erforschte Mechanismus, warum der Knutt gelitten hat, wirft ein
Licht auf gleich mehrere Problemfelder. In den Niederlanden, erzählt
Scheiffahrt, habe es sich gezeigt, dass die Sterblichkeit des Knutts im
Winter dort höher sei, wo Herzmuschelfischerei betrieben werde. „Wir
konnten einen direkten Effekt auf die Überlebenswahrscheinlichkeit sehen“,
sagt er.
Der Knutt fresse zwar auch Herzmuscheln, die ihm durch die industrielle
Fischerei weggenommen wurden, lieber aber noch eine andere Art. Deren
Schale sei dicker geworden, weil sich durch das Umpflügen des Meeresbodens
bei der Herzmuschelfischerei die Zusammensetzung des Sediments verändert
habe.
Bei der Miesmuschelfischerei haben sich in Schleswig-Holstein Fischer,
Umweltschützer und der zuständige Minister Robert Habeck (Grüne) im Sommer
auf eine Einschränkung geeinigt. Der Kompromiss sei mit den
Nationalparkzielen vereinbar, sagt Rösner vom WWF als Sprecher der
beteiligten Umweltverbände. „An dem Punkt sind wir bei der Kutterfischerei
überhaupt nicht.“
## Bestandsschutz für die Bohrinsel
Ein weiteres Problem ist aus Sicht Rösners die Ölbohrinsel „Mittelplate“.
Diese genieße leider Bestandsschutz, sagt Rösner, „aber es gibt nicht mehr
davon“. Die Bohrplattform ist eine dauernde Störung und ein Risiko für den
Lebensraum. „Sie erschüttert die Glaubwürdigkeit des Nationalparks.“
Erholt haben sich die Seegraswiesen vor Nordfriesland – ein Zeichen dafür,
dass die Düngereinträge abgenommen haben. Laut Alfred-Wegener-Institut sind
sie inzwischen wieder so groß wie in den 30er-Jahren.
Auf lange Sicht sei der Klimawandel das größte Problem und der damit
verbundene Anstieg des Meeresspiegels. „Selbst bei optimalem Klimaschutz
wäre der Nachklapp so groß, dass wir das Wattenmeer in 100 Jahren verlieren
würden“, sagt Rösner. Deshalb gelte es schon heute, Maßnahmen zum Schutz
der Küste zu erforschen.
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26 Sep 2015
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## AUTOREN
Gernot Knödler
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