Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- „Angekommen – Flüchtlinge erzählen“: Staub und Blut
> Der Himmel ist klar, die Flugzeuge werfen ihre Raketen auf Duma. Der
> Staub weicht. Die Teile der Toten sind jetzt deutlicher zu sehen.
Bild: Duma im Januar 2014
Auf einem Markt gibt es Frauen und Kinder, die das kaufen wollen, was man
in einer belagerten Stadt kaufen kann, sie laufen im Schatten, wegen der
Hitze, und die Hitze sieht aus, als könne sie alles verderben.
Die Flugzeuge fliegen erneut ab. Wer sie hört, wer unten ihnen steht, kann
nicht fliehen. Er plant es auch nicht, Fliehen ist gefährlich. Der, der
überlebt, denkt, es sei nichts passiert, er glaubt an etwas, das ihn in
Schutz nimmt. Später weiß er, dass das, was ihn schützt, nichts weiter ist
als Zufall, und dann nimmt er wahr, wie verlassen, vergessen und
verzweifelt man ist, wenn man nichts zum Schutz hat außer den Zufall.
Der Himmel ist klar, die Flugzeuge werfen ihre Raketen, dann kommt der
Rauch, dann kommt der Staub, die Gebäude fallen, die Frauen und Kinder
verschwinden. Die schönen Kinder. Die schönen Kinder sind jetzt nicht mehr
schön, sie sind jetzt überall verteilt.
Staub legt sich auf ihr Blut, wie er sich auf alte Spielzeuge sauberer
Kinder legt – der Kinder, die woanders spielen. An den Stränden glücklicher
Länder. Es dauert nicht mal einen Augenblick, niemand kann schreien.
Hunderte Tote, ein paar Hundert Verletzte: Das ist die Stadt Duma.
Die Vereinten Nationen seien besorgt!, heißt es. Amerika verurteilt „die
tödlichen Luftangriffe“, als ob es „untödliche“ Luftangriffe gäbe,
europäische Länder bezeichnen sie als traurig. Die Bewohner der Stadt sind
noch nicht traurig, sie rennen unter Schock, sie rennen zum Markt. Sie
schreien Gebete. Sie kommen von allen Seiten, sie treten in den Staub,
verlieren sich dort, jeder sucht nach seinen Toten. Sie treten auf den Tod
und atmen ihn.
## Eine Frau unter Trümmern
Dann weicht der Staub. Die Teile der Toten sind jetzt deutlicher zu sehen,
sie sind zerfetzt. Ein paar Jungs retten die Verletzten. Ein Vater findet
seinen Sohn. Er nimmt ihn, der Sohn blutet, er sieht nicht mehr aus wie
sein Sohn, er ist zerrissen, Fleisch. Er ist nur noch ein halber Sohn.
Aus einer Ecke hören die Bewohner Gejammer, Winseln und Weinen. Es ist eine
Frau unter den Trümmern. Die Bewohner versuchen, die Steine abzutragen. Es
kommen andere zu Hilfe, das Abtragen geht weiter, die Steine werden unter
Schweiß geräumt.
Die Bewohner hören das Jammern der Frau lauter werden. Manche bleiben
stehen, sie sind machtlos. Diese Steine gehören nun zu ihrer Welt, genau
wie das Gefühl, die Luft könne schmerzen; alle leiden, weinen und
schwitzen. Ein Junge wirft sich zu Boden, er ist traurig, sehr traurig –
„traurig“, so wird man das doch später in den europäischen Ländern sagen.
Die Flugzeuge des Diktators kommen schnell zurück. Die amerikanischen
Flugzeuge aber fliegen, um Isis-Stützpunkte zu bombardieren. Dabei treffen
sie die anderen Flugzeuge nicht, weil der Himmel so weit reicht wie ihre
Interessen. Die USA nehmen die Kämpfer des „Islamischen Staats“ als
Verbrecher wahr, das Assad-Regime jedoch nicht.
Jedes Land hat die Pflicht, die Interessen des eigenen Volkes zu
verteidigen, doch steht es Interessen nicht zu, verbrecherisch zu sein.
Verbrecherisch ist es, die Identität eines Mörders zu verwischen.
Verbrecherisch ist es, ein Ende des Krieges nicht zu würdigen.
In Duma verlassen die Leute mit ihren Toten den Markt, der Markt wird
still. Oppositionelle Rebellen fahren durch die Stadt und wollen Rache
nehmen, aber die traurigen Mütter hören die Kämpfer nicht, sie sind mit
Weinen beschäftigt. Die Sonne geht unter und der Tag endet für nichts.
6 Oct 2015
## AUTOREN
Raman Khalaf
## TAGS
Duma
Flüchtlinge
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Dagestan
Flüchtlinge
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Syrien
## ARTIKEL ZUM THEMA
„Angekommen – Flüchtlinge erzählen“: Verlorene Kinder gibt es auch hier
Aus Syrien in Berlin angekommen begann ich, der ich Deutsch gerade erst
lernte, den negativen Beigeschmack des Wortes „Gutmensch“ zu verstehen.
Russlands Intervention in Syrien: Die Angst vor dem IS
Moskaus Luftschläge könnten den Terror im Kaukasus wieder anheizen. Dort
sind es wirtschaftliche Probleme, die die Jugend radikalisieren.
„Angekommen – Flüchtlinge erzählen“: Die meisten wissen nichts über Sy…
Ich kam mit dem Flugzeug von Syrien nach Deutschland, nicht illegal über
das Meer. Bin ich Auswanderer oder Flüchtling? Was wisst ihr über mich?
Gründe für die Flucht aus Afghanistan: Schlange stehen für eine Zukunft
Afghanen machen nach den Syrern die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe aus. Die
erste Hürde vor der Ausreise ist für viele schon der Passantrag.
Diplomatie im Syrien-Konflikt: Türkei fängt russische Kampfjets ab
Die Türkei beklagt sich über die Verletzung ihres Luftraums durch russische
Kampfflugzeuge. Der Botschafter wurde einbestellt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.