| # taz.de -- Wahlen in Russland: Je weniger abstimmen, desto besser | |
| > Am Sonntag bestimmen die Russen in einigen Regionen über Gouverneure, | |
| > Stadtparlamente und Bürgermeister. Kandidaten der Opposition fehlen. | |
| Bild: Alles im Griff: Präsident Wladimir Putin (l.) und Regierungschef Dmitri … | |
| Moskau taz | Ab diesem Jahr wählt Russland nur noch im September. Der | |
| landesweit „vereinheitlichte Wahltag“ wurde endgültig auf das zweite | |
| Septemberwochenende festgesetzt. Vorher ging Russland meist im trüben | |
| Dezember an die Urnen. Die Vorverlegung und Koordination der verschiedenen | |
| Wahlen soll Kräfte bündeln und Kosten sparen, lautete die offizielle | |
| Begründung. Auch die bessere Wählerlaune nach der Urlaubszeit und das | |
| freundlichere Wetter im Altweibersommer mögen noch zusätzliche Motive | |
| gewesen sein, spekulieren Beobachter. | |
| Vor allem verkürzt das Datum aber die Wahlkampfzeit. Viele Stimmberechtigte | |
| haben die Rückreise aus der Sommerfrische noch nicht angetreten. Und wer | |
| zurückkommt, kümmert sich nicht sofort um Politik. Der massenhafte Protest | |
| nach den gefälschten Dumawahlen 2011 sitzt der politischen Führung noch | |
| immer in den Knochen. Seither fürchtet sie jede Wahl. Je weniger Bürger | |
| sich beteiligen, desto einfacher lässt sich das Wahlziel erreichen, so das | |
| Kalkül. | |
| Am Sonntag werden elf Regionalparlamente, mehr als 1.300 Bürgermeister, 25 | |
| Stadtvertretungen und 21 Gouverneure gewählt. Darunter auch das | |
| Stadtparlament und der Gouverneur von Sankt Petersburg. | |
| Diese Wahl gilt jedoch auch noch als Testlauf für die russischen Dumawahlen | |
| im nächsten Jahr. Deswegen nimmt die Kremladministration auch kleinste | |
| Abweichungen und Unregelmäßigkeiten noch ins Visier. Sollte es bei den | |
| tausenden Wahlgängen auch nur in 15 Fällen zu Problemen kommen, würde das | |
| die Dumawahlen 2016 schon in Misskredit bringen, meinte der Vizeleiter des | |
| Präsidialamtes Wjatscheslaw Wolodin. Ohne auszuführen, was das für Probleme | |
| sein könnten. | |
| ## Handverlesene Kandidaten | |
| Zu Überraschungen wird es kaum kommen. Die Kandidaten für die | |
| Gouverneursposten werden vom Kreml handverlesen. Die Wahl ist dann nur noch | |
| ein Akt der Akklamation. Bewerben sich Gegenkandidaten, gehören sie der | |
| systemkonformen Opposition in der Duma an. | |
| Wladimir Schirinowskis ultranationalistische Partei LDPR etwa, die die | |
| Rolle eines Steigbügelhalters der Kremlpartei Einiges Russland ausfüllt. | |
| Auch den Kommunisten fehlt es an Eigenständigkeit. Die würde auch nicht | |
| geduldet. Die demokratische Opposition wird nur bei den Wahlen zum | |
| Regionalparlament in Kostroma antreten können. Verschiedene Gruppen | |
| schlossen sich zur Demokratischen Koalition (DK) zusammen. Darunter die | |
| Partei Parnas des im Februar ermordeten Politikers Boris Nemzow und die | |
| Fortschrittspartei Alexei Nawalnys. | |
| Der Oppositionelle und Antikorruptionskämpfer war die charismatische | |
| Leitfigur der Proteste gegen den Wahlbetrug 2012. Da er wegen | |
| vermeintlichen Betrugs vorbestraft ist, darf er persönlich an Wahlen nicht | |
| mehr teilnehmen. | |
| Ohnehin ist der politische Einfluss der Opposition seit der Krim-Annexion | |
| kaum noch nennenswert. Nach Schätzungen wird die DK in Kostroma bestenfalls | |
| ein Prozent erhalten. Die Koalition wollte auch in Nowosibirsk, Kaluga und | |
| Magadan an den Wahlen teilnehmen, wurde aber von den lokalen | |
| Wahlkommissionen nicht zugelassen. Angeblich waren die für eine | |
| Registrierung erforderlichen Unterschriftenlisten gefälscht. Stattdessen | |
| werden die Antragssteller jetzt strafrechtlich belangt oder anderweitig | |
| verfolgt. | |
| ## Vermeintlicher Datenraub | |
| In Nowosibirsk droht dem Aktivisten Leonid Wolkow eine sechsjährige | |
| Haftstrafe, da er das Mikrophon eines Reporters zerstört haben soll. In | |
| Kostroma wird einem Oppositionellen wegen vermeintlichen Datenraubs der | |
| Prozess gemacht. In Magadan kümmerten sich unbekannte Schläger um den | |
| Kandidaten. | |
| Die Ausschaltung der Opposition aufgrund fehlerhafter Unterschriftenlisten | |
| erwiese sich inzwischen als das effektivste Mittel, Konkurrenz | |
| auszuschalten, meint Andrej Busin von der NGO „Golos“, die sich mit | |
| Wahlbeobachtung befasst. Dadurch könne der Betrug mit Stimmzetteln | |
| vermindert und die unerfreulichen Reaktionen in den Medien umgangen werden. | |
| Golos war dem Kreml seit langem ein Dorn im Auge. Da die NGO aus dem | |
| Ausland Geld erhielt, muss sie sich nach der neuen Gesetzeslage als | |
| „ausländischer Agent“ bezeichnen. Ausgerechnet Golos wies nun aber nach, | |
| dass auch Kandidaten der Kremlpartei vom Ausland finanziert werden. Die | |
| Gelder stammten von Unternehmen auf Zypern und den Virgin Islands. | |
| Das Komitee für staatsbürgerliche Initiativen (KSI) stellte unterdessen | |
| fest: die Konkurrenz nimmt weiter ab und das Niveau der Diskussionen | |
| ebenfalls. KSi wird vom Ex-Finanzminister und langjährigen Putin-Vertrauten | |
| Alexei Kudrin unterstützt. So beißend kann Kritik sein. | |
| 12 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
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