| # taz.de -- Die Wirtschaft entdeckt Jungforscher: Mit Neugierde gegen die Maulw… | |
| > Schülerlabore entwickeln sich zu Talentschmieden für Hochbegabte – und | |
| > zur Rekrutierungsplattform von Unternehmen. | |
| Bild: In Schülerlaboren legen Jugendliche selbst Hand an. | |
| Maulwürfe in der Region Kassel, aufgepasst! Zwei 14-Jährige haben euch den | |
| Kampf angesagt. Ihre „Maulwurfscheuche“ ist ein kleiner Apparat, der | |
| wechselnde Töne und Vibrationen ins Erdreich schickt. Mit Erfolg. Die | |
| Liegewiese im Schwimmbad Harleshausen war bald wieder ohne die störenden | |
| Erdhügel. | |
| Die Erfindung zur Vertreibung von Maulwürfen hat den beiden Kasseler | |
| Schülern dieses Jahr beim regionalen Wettbewerb „Jugend forscht“ den | |
| dritten Platz im Bereich Technik beschert. Dafür verbrachten sie viel | |
| Freizeit im Schülerforschungszentrum Nordhessen, einem riesigen | |
| Schülerlabor für besonders Engagierte. Derzeit tüfteln 280 Jugendliche an | |
| ihren Projekten, auch samstags. Die Messlatte hängt hoch: Auf Bundesebene | |
| haben dieses Jahr gleich zwei nordhessische Jungforscher gewonnen – mit | |
| einem einbeinigen Roboter und einem Melamim-Schnelltest für den | |
| Hausgebrauch. Mit wenigen Handgriffen lässt sich der für Säuglinge | |
| gefährliche Giftstoff in Milch nachweisen. | |
| Mehr als 700.000 Schülerinnen und Schüler tüfteln an bundesweit 311 | |
| Schülerlaboren. Die begabtesten von ihnen werden an | |
| Schülerforschungszentren wie dem in Nordhessen betreut. Sie sind heute | |
| wahre Talentschmieden für Nachwuchskräfte in naturwissenschaftlichen und | |
| technischen Bereichen. Und somit interessant für Unternehmen. Am | |
| Kepler-Seminar für Naturwissenschaften beispielsweise werden jährlich rund | |
| 100 Schülerinnen und Schüler aus dem Stuttgarter Raum an High-Tech-Themen | |
| herangeführt – bezahlt über eine Stiftung der Familie des Konzerngründers | |
| Robert Bosch. Die Arbeitsgruppen reichen von Robotik/Informatik bis Chemie. | |
| „Schülerlabore bieten etwas, was Schulen niemals leisten können“, behaupt… | |
| Bernd Horlacher und meint damit eine Alternative zur | |
| „Wissenschaftsisolation“. Der pensionierte Lehrer leitet das | |
| Kepler-Seminar, einer der ersten außerschulischen Lernorte, die das | |
| unternehmerische Potenzial der Jungforscher schon früh mitdachten. | |
| ## Gekapertes Bildungskonzept | |
| Als die ersten Schülerlabore Ende der 90er Jahre eröffnet wurden, stand | |
| noch ein pädagogisches Anliegen im Vordergrund: Vielen Schülern ist der | |
| Unterricht zu abstrakt. Die Gefahr: Sie schalten innerlich ab. In | |
| Schülerlaboren hingegen legen die Schüler selber Hand an. Dadurch, so die | |
| Überlegung, erschließen sie sich den Stoff selbst – und lassen dabei der | |
| Kreativität freien Lauf. | |
| „Es ist eine Graswurzelbewegung“, sagt Olaf Haupt, Geschäftsführer des | |
| Bundesverbandes der Schülerlabore „Lernort Labor e. V.“. Wenn man sich | |
| jedoch die Finanziers ansieht, müsste man sagen: eine gekaperte. Heute | |
| werden die Schülerlabore zum größten Teil von Universitäten, öffentlichen | |
| Forschungszentren sowie Vereinen getragen. Die Universität Kassel | |
| beispielsweise hat 5 Millionen Euro für den Bau des Forschungszentrums | |
| Nordhessen ausgegeben. 15 Personen werden dort hauptberuflich beschäftigt. | |
| Und auch die Wirtschaft mischt mit. Jedes zehnte Schülerlabor finanziert | |
| die Industrie. Der Chemieriese Bayer allein vier. In einem üben sich | |
| Schüler an der Entwicklung pharmazeutischer Produkte. Unternehmen haben ein | |
| langfristiges Interesse an dieser Form der Bildungsförderung. Es herrscht | |
| Mangel an Fachkräften mit einer Ausbildung in den Mint-Fächern Mathematik, | |
| Informatik, Natur- und Technikwissenschaften. Allein bei den Ingenieuren | |
| fehlen in Deutschland nach Angaben der Wirtschaft zwischen 30.000 und | |
| 50.000 Fachkräfte. Die deutsche Industrie rekrutiert in den Laboren | |
| potenzielles Personal für die Zeit nach dem Schulabschluss. | |
| Die Verzahnung mit der Industrie hat inzwischen zu rund 16.000 | |
| Veranstaltungen, sogenannten Mint-Lernorten, geführt. Dazu zählen Tage der | |
| offenen Tür, Berufsorientierungstage speziell für Mädchen oder Kinderunis. | |
| „Alle außerschulisch, das ist wichtig“, sagt Schülerlabor-Geschäftsführ… | |
| Haupt. „Die Schüler sollen die Scheu vor Wissenschaft und Technik | |
| verlieren. Es sitzt kein Lehrer daneben.“ Das selbständige Arbeiten an | |
| wissenschaftlichen Fragen und technischen Problemen sei Motivation genug. | |
| ## Run auf die Labore | |
| Nimmt man die steigende Zahl an Schülerlaboren und das Interesse der | |
| Industrie zum Maßstab außerschulischen Lernens, muss man die Schülerlabore | |
| als Erfolg bezeichnen. So wie das „Gläserne Labor“ am Biotechnologiepark in | |
| Berlin-Buch. War es zuerst als allgemeines Informationszentrum für den | |
| Wissenschaftsstandort gedacht, liefen bald die Schülergruppen allen anderen | |
| Besuchern den Rang ab. Mit seinem Angebot an praktischen Experimenten in | |
| der Zellbiologie, Genforschung und molekularen Medizin zieht das Gläserne | |
| Labor jährlich über 12.000 Schüler an den Nordrand Berlins. Ein Beispiel | |
| unter vielen. „Die Schülerlabor-Szene, wie wir sie in Deutschland haben, | |
| ist einmalig in Europa“, freut sich Haupt. Nur ihr Fortbestand sei nicht | |
| gesichert. | |
| Zwar gibt es verschiedene Förderprogramme für Schülerlabore – von der | |
| Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), der Deutschen Telekom-Stiftung und | |
| vom Bundesforschungsministerium. Beim Blick auf die Gesamtlandschaft jedoch | |
| räumt Haupt ein: „Viele Lernorte kämpfen ums Überleben“. Es hänge „vi… | |
| einzelnen Personen ab“. Wenn ein Bildungs-Initiator etwa in Rente geht, | |
| kann schnell Schluss sein. Manche Schülerlabore haben in den letzten Jahren | |
| auch wieder dichtgemacht. | |
| Der Bundesverband will deshalb vor allem die Universitäten für eine | |
| dauerhafte Unterstützung gewinnen. Geschäftsführer Haupt will | |
| außerschulische Bildungsorte vernetzen und gemeinsame Qualitätsstandards | |
| sichern. Noch sind nicht alle dabei: „Wir haben 70 bis 80 neue | |
| Schülerlabore recherchiert, die wir vorher noch nicht kannten“, sagt Haupt. | |
| „Eine Sättigung ist noch nicht abzusehen.“ | |
| 29 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Ronzheimer | |
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