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# taz.de -- Debatte Rechte Gewalt: Das falsche Wort
> Übergriffe auf Flüchtlingsheime werden Terror genannt. Gut gemeint, aber
> daneben. So wird der institutionelle Rassismus abgestritten.
Bild: Seit Wochen brennt gefühlt jede Nacht eine geplante oder genutzte Flüch…
Jetzt, nach den Attacken von Heidenau, warnt auch Bundeskanzlerin Angela
Merkel vor einer Gefahr des rechten Terrors, und der Kölner
Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen stellt in einem Interview
rassistische Hetze und konkrete Übergriffe in einen direkten Zusammenhang.
Plötzlich wird reagiert, werden scharfe Worte gesprochen, kündigt Merkel
den Hetzern eine Null-Toleranz-Politik an, „mit allen Mitteln des
Rechtsstaates“.
Eine Schande wie die Mordserie der rechtsextremen Terrorgruppe
„Nationalsozialistischer Untergrund“ dürfe sich nicht wiederholen, sagt sie
im Pressegespräch. Lobbygruppen wie Pro Asyl sprechen schon länger von
rechtem Terror, und viele Kommentatoren folgten. Dahinter stehen die
Forderungen nach härteren Maßnahmen. Aber welchen Handlungsspielraum
eröffnet die Benennung als Terrorismus wirklich?
Was gegenwärtig in Deutschland passiert, ist hässlich, aber eben kein
Ausnahmezustand, sondern ein deutsches Kontinuum, das gerade mal wieder
eskaliert und an die Oberfläche tritt. Das einzugestehen tut weh. Auf einer
zweiten Ebene wünscht man sich also auch, dass man die Täter und ihre Taten
außerhalb des moralischen Konsenses unserer Gesellschaft stellt. Denn
Terroristen, das sind immer die „anderen“.
Das letzte Jahrzehnt war dominiert von einem Angstdiskurs um islamistischen
Terrorismus, der so weit ging, ganze Bevölkerungsschichten unter
Generalverdacht zu stellen, und der den etablierten antimuslimischen
Rassismus salonfähig machte.
## Gewalt muss verurteilt, verhindert werden
Auch bei der Mordserie des NSU wurde erst einmal auf einen irgendwie
ethnisch definierten Kriminalitätsverdacht gesetzt; die Opferfamilien
wurden in Verhören belästigt und retraumatisiert, die Opfer über ihren Tod
hinaus stigmatisiert. Ist es da nicht ein Korrektiv, wenn nun von weißen
deutschen Brandstiftern endlich mal als Terroristen gesprochen wird, und
zwar nicht erst Jahre nach ihren Taten? Die aktuelle Gewalt muss
verurteilt, verhindert und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen
werden.
Schon im Juli stellte Pro Asyl einige Forderungen auf: polizeiliche
Präventionsarbeit, konsequente Strafverfolgung, Ausschluss von
rassistischem Sicherheitspersonal und nicht zuletzt die Unterbindung
bedrohlicher Kundgebungen. Diese Forderungen bedürfen keines
Terrorismusbegriffs, den Handlungsspielraum hat der Sicherheitsapparat
jetzt schon. Wer das Grundrecht auf Asyl angreift, verstößt gegen das
Strafgesetz.
Im Zweifel eröffnen wir den Sicherheitsbehörden mit dem Terrorismusbegriff
weitere Spielräume, um Freiheiten einzuschränken. In der Vergangenheit
haben insbesondere linke und migrantische Gruppierungen diese
Einschränkungen in der Folge zu spüren bekommen. Einmal von der Leine
gelassen, wer kontrolliert dann den Staatsschutz? Seit 9/11 sitzen Polizei
und Verfassungsschutz, wie schon zu RAF-Zeiten, erneut an einem Tisch. Das
war seit der Nazizeit eigentlich nicht mehr denkbar.
Setzen wir auf Terrorismusbekämpfung, dann setzen wir auf
Sicherheitsbehörden, denen besonders nach der Selbstenttarnung des NSU
nicht vertraut werden kann. Sicherheitsbehörden, die sich weigern, in ihren
eigenen Reihen mit individuellem, aber noch viel wichtiger: mit
institutionellem Rassismus aufzuräumen. Polizisten machen sich auch immer
wieder mit kriminellen Neonazis gemein.
## Kein Frühwarnsystem
Noch ist unklar, inwiefern die derzeitigen Brandstifter dem organisierten
Spektrum zuzuordnen sind. Rechte Gewalttäter hinterlassen nur selten
Bekennerschreiben oder Mitgliedsausweise. Vieles, was nicht parteipolitisch
organisiert ist, bleibt also unter dem Radar. Die Rechte in Deutschland
stellt sich bereits seit Jahren neu auf, und spätestens seit dem NSU ist
das bedrohliche Ausmaß dessen klar.
Ob der Verfassungsschutz hier Abhilfe schaffen kann, ist zu bezweifeln. Im
Gegenteil profitieren die rechtsextremen Netzwerke davon, wenn aus der
Szene angeworbene V-Männer wie Tino Brandt das Gehalt für ihre
geheimdienstlichen Tätigkeiten in die Strukturen zurückfließen lassen. Es
gab Reformen, die sehen hier aber lediglich eine Gehaltsgrenze vor.
Auch als Frühwarnsystem funktioniert der Verfassungsschutz nicht, warnen
Experten aus dem kritischen Spektrum, zum Beispiel das Bündnis NSU Watch.
Dass sich die Rechte wieder auf plumpe Einpunktprogramme, also
Ausländer-raus-Kampagnen, zurückbesinnt, hat man dort bereits vor Jahren
angemahnt.
Aber: Die Rechte ist in der bequemen Situation, sich in ihren Diskursen aus
der sarrazinischen Mitte bedienen zu können. Auch das ist nicht neu. Dass
Rassismus in der deutschen Gesellschaft fest verankert ist, belegte zuletzt
eine Studie der Universität Leipzig. Während dort nur knapp 6 Prozent der
Befragten ein geschlossen rechtsextremes Weltbild aufwiesen, so waren es
weit über die Hälfte in der Kategorie „Abwertung von Flüchtlingen“.
## Verankerter Rassismus
Man mag es kaum glauben angesichts der Welle der Barmherzigkeit, auf der
das Land gerade taumelt, aber das war vor gerade mal drei Jahren. Dass man
aus den Reihen der Politik zunächst Verständnis für die rassistischen
Sorgen der „Asylkritiker“ anmahnte, war somit zwar nicht überraschend, aber
deshalb nicht minder verantwortungslos.
Wenn nun nach einer Benennung der Gewalt als terroristisch gerufen wird,
dann ist das auch der Versuch, das Problem des Rassismus zu
externalisieren. Dann wollen wir uns vielleicht auch der kritischen Selbst-
und Ursachenprüfung – als Mehrheitsgesellschaft, Politiker, Medienmacher –
entledigen, indem wir die Täter außerhalb der moralischen Gemeinschaft
verorten.
Rassismus terrorisiert und traumatisiert. Um das zu verstehen, muss man
bloß ein wenig zuhören, wenn Betroffene von ihren Erfahrungen sprechen.
Solange deren Forderungen aber nicht ernst genommen oder diese gar
kriminalisiert werden; solange wir Themen wie die leidige N-Wort-Debatte,
Racial Profiling, institutioneller Rassismus, um nur einige Beispiele zu
nennen, weiter wegdiskutieren, wird auch der Terrorismusbegriff deutsche
Zustände nicht ändern können.
17 Sep 2015
## AUTOREN
Sybille Biermann
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Flucht
Terrorismus
Rechtsradikalismus
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Rechtsextremismus
Flüchtlinge in Niedersachsen
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