# taz.de -- Adoptionsrecht für Homo-Paare: Wut und Sehnsucht | |
> Ehemann, Haus, Garten – diese Idylle hat sich Patrick Pronk gewünscht. | |
> „Es hat sich alles erfüllt“, sagt der Schwule. Alles, bis auf die Kinder. | |
Bild: Patrick Pronk daheim in Worpswede: ein Leben, wie es sich Konservative w�… | |
Worpswede taz | Patrick Pronk führt ein Leben, wie es sich Konservative mit | |
Hang zum Klischee wünschen. Er wohnt im Einfamilienhaus in Worpswede in | |
einer festen Partnerschaft, geht täglich mit Hund Rocco spazieren, arbeitet | |
als Regionalleiter für eine Personalmanagement-Firma und fährt einen | |
Dienstwagen. | |
Im Esszimmer liegen neben dem Werder-Bremen-Fanheft Magazine über | |
Architektur und Inneneinrichtung. An der Wand hängt eine Kuckucksuhr, | |
gegenüber hängen Familienbilder, eine Autogrammkarte von Christine | |
Westermann und Götz Alsmann – und ein Setzkasten mit allerlei Nippes. | |
Tierfiguren und zwei Herzen aus Ton. „Patrick“ steht auf dem einen, „Kai�… | |
auf dem anderen – der Name seines Partners. | |
Der 38-Jährige ist schwul und lebt mit Kai Pronk zusammen, 2013 haben sie | |
sich verpartnert. „Ich finde spießig nicht so negativ. Ich führe das Leben, | |
das ich immer führen wollte. Es hat sich alles erfüllt. Bis auf die | |
Kinder“, sagt Patrick Pronk. Seit Jahren hat er den Wunsch, ein Kind zu | |
adoptieren, doch das ist in Deutschland für schwule Paare nicht erlaubt. | |
Deshalb hat er Ende Juni 630 Briefe geschrieben. An jeden | |
Bundestagsabgeordneten einen. Er bittet sie, „für Gleichheit einzutreten, | |
indem Sie die Gleichberechtigung homosexueller Partnerschaften aktiv | |
unterstützen“. Er schreibt vom „Grundrecht der Gleichheit aller | |
Bundesbürger“. Er stellt keine Frage, keine direkte Forderung und bittet | |
nicht um Antwort. | |
Haus, Garten, Hund, feste Partnerschaft, guter Job. Er ist nicht schrill, | |
ist kein Szene-Schwuler. Er bietet keine Angriffsfläche und macht es den | |
Gegnern der Gleichstellung damit schwer. Das weiß er. | |
## Der Abend mit Merkel | |
Vor zwei Jahren hat er es Kanzlerin Angela Merkel schwer gemacht, an einem | |
Abend in Mönchengladbach, 13 Tage vor der Bundestagswahl. Vermutlich | |
erinnert sich Merkel an die Begegnung noch ebenso gut wie Patrick Pronk. | |
Selten erlebte man sie so hilflos, so überfordert. In der ARD-Wahlarena | |
treffen Bürger auf die Kanzlerin. Mit dabei Patrick Pronk. Er hat sich | |
akribisch vorbereitet. Er erzählt von sich, vom Kinderwunsch und fragt, ob | |
Merkel für ein Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare sei. Der | |
Kanzlerin scheint unwohl. Sie sei „gegen Diskriminierung“, aber tue sich | |
„schwer mit der kompletten Gleichstellung“. Pronk hakt nach. Sie stottert. | |
Nach der Sendung kommt Merkel zu ihm und entschuldigt sich, dass sie ihm | |
nichts anderes sagen könne. | |
Dabei passt alles. Da sitzt ein Mann, mit gutem Job und ordentlichem Leben | |
und wünscht sich ein Kind. Aber die Kanzlerin erlaubt es nicht. Sie hat | |
keine Argumente, nur ungute Gefühle. | |
Am Tag nach der Wahlarena ist die Hölle los. Mails, Anrufe zu Hause, im | |
Büro: Spiegel, Jauch, Bild, Lanz, Focus. Alle fragen an, alle berichten | |
über den „Mann, der die Kanzlerin in die Enge trieb“, sie „ins Schwitzen | |
brachte“. „Ich war zuerst erschrocken und habe überlegt, ob ich das | |
wirklich will.“ Nie hatte Pronk zuvor mit Medien und Öffentlichkeit zu tun. | |
Freunde bestärkten ihn. Nutze die Aufmerksamkeit. Er gibt Interviews, tritt | |
im Fernsehen auf. | |
## Ein Brief von der Unionsfraktion | |
Ein weiterer Brief ist angekommen. Es ist der sechzigste. Dieses Mal von | |
Michael Grosse-Brömer, parlamentarischer Geschäftsführer der | |
Unionsfraktion. Pronk setzt sich an den Esstisch, schiebt das | |
Fußballmagazin zur Seite, nippt an der Cola und liest: “… viel erreicht in | |
Sachen Gleichstellung […] im Koalitionsvertrag vereinbart […] keine | |
Diskriminierung“. Aber der Absender hat keine Haltung zum Adoptionsrecht | |
für homosexuelle Paare. | |
Auf der Terrasse vor dem Haus kann man die Kiefern riechen. Am Morgen hat | |
es geregnet. Der Rasen frisch gemäht, neben der Garage liegt Feuerholz. | |
Pronk trägt Jeans, weiß-blau gestreiftes Shirt und Sneakers von Lacoste. Er | |
hat seine blonden Haare zur Seite gegelt, trägt einen Dreitagebart. | |
Seit drei Jahren lebt er hier in Worpswede mit seinem Partner, der | |
Gymnasiallehrer ist und ein paar Jahre älter als er. 30 Minuten sind es mit | |
dem Auto bis nach Bremen. 2012 haben sie hier das Haus gekauft, über dessen | |
Eingang man ein Schild hängen könnte: „Idylle“. | |
## Zu einer richtigen Familie gehören Kinder | |
Er wurde in Holland geboren, die Mutter aus Bremen, der Vater aus der Nähe | |
von Arnheim. Nach der Grundschule trennten sich die Eltern, er zog mit | |
Mutter und kleinem Bruder nach Bremen. Seinen Vater hat er 20 Jahre nicht | |
gesehen, erst seit 2010 haben sie wieder Kontakt. Keine Idylle. | |
Er wünscht es sich anders. Zu einer richtigen Familie gehören für ihn | |
Kinder. Schon immer. | |
Pronk hatte zwei Beziehungen mit Frauen, aber er wusste, dass etwas nicht | |
stimmte. Erst mit Mitte 20 outete er sich. Nicht ohne Sorgen. „Ich hatte | |
Angst, dass meine Mutter enttäuscht ist, weil sie keine Enkelkinder von mir | |
bekommen wird.“ Auch für ihn war das der schwierigste Teil des Coming-outs. | |
Eigene Kinder? Das war für ihn damals erledigt. Es war noch nicht die Zeit, | |
in der schwule Männer die Möglichkeit sahen, jemals Kinder zu haben. | |
Wenn Pronk über seinen Kinderwunsch spricht, beginnt er fast zu weinen. Er | |
fasst sich nervös ins Gesicht. Erzählt, wie sehr er es genießt, von Kindern | |
umgeben zu sein. Im Urlaub kürzlich, früher als Zivildienstleistender im | |
Kinderheim oder jetzt, wenn die Nachbarskinder vorbeischauen. | |
## Kinderlosigkeit belastet | |
„Manchmal fühle ich mich beinahe minderwertig ohne Kind. Als ob ich nicht | |
komplett wäre, nicht dazugehöre.“ Es kann für Schwule ebenso schlimm sein, | |
ohne Kinder leben zu müssen, wie für Frauen, die keine bekommen können. | |
Eine Zeit lang hat ihn das richtig belastet. | |
Wenn er ehrlich ist, weiß er, dass es für ihn zu spät ist. Selbst wenn das | |
Adoptionsrecht für homosexuelle Paare in den nächsten Jahren kommen sollte, | |
er und sein Partner hätten kaum mehr eine Chance, weil sie zu alt sind. Die | |
Sehnsucht nach einem Kind mischt sich deshalb mittlerweile mit Wut auf den | |
Staat. Auf die Borniertheit der Union vor allem, die so stark in seine | |
Lebensführung eingreift. | |
Tatsächlich sind Homosexuelle, die eine eingetragene Lebenspartnerschaft | |
haben, in Deutschland fast komplett mit Ehepaaren gleichgestellt. Steuern, | |
Rente, Erbschaft. Meist vom Bundesverfassungsgericht durchgesetzt. Aber | |
eins fehlt. Das Adoptionsrecht. Und es scheitert am Widerstand der Union. | |
Alle anderen Parteien im Bundestag sind für die völlige Gleichstellung, bis | |
auf die Union. Ihr fällt es schwer, eine der letzten konservativen | |
Bastionen aufzugeben. Stattdessen hält sie am traditionellen Familienbild | |
fest, unabhängig davon, wie die Gesellschaft tickt. | |
## Realistisch betrachtet ist es zu spät | |
Beim Spaziergang mit Hund Rocco, vorbei am Niedersachsenstein, an der | |
Freilichtbühne und Maisfeldern erzählt Pronk von Senta Berger, Ina Müller, | |
Sabine Postel. Starke Frauen, die er verehrt. Ein bisschen Homo-Klischee | |
gönnt er sich doch. Rocco rennt voran, er kennt den Weg. | |
Pronk wird nachdenklich. „Mittlerweile geht es tatsächlich gar nicht mehr | |
um mich. Wenn man das realistisch betrachtet sind wir zu alt.“ Sagte er vor | |
ein, zwei Jahren noch, „die Zeit läuft“, ist die Zeit jetzt abgelaufen. Er | |
wird sehr wahrscheinlich kein Kind mehr adoptieren können. Es fällt ihm | |
schwer, sich das einzugestehen. Seinen Kampfgeist hat er dennoch nicht | |
verloren. Es ist zur Mission geworden, zu einer Aufgabe, die ihn in seiner | |
freien Zeit ständig beschäftigt. | |
Er schreibt Texte – einen hat die Süddeutsche gedruckt – steht bereit für | |
Interviews, wenn etwa ein Fußballer sein Coming-out hat oder als Irland per | |
Volksentscheid die Homo-Ehe einführte. Er schreibt an TV-Talkshows und | |
wirbt darum, dass sie das Thema Gleichstellung behandeln. | |
## Familie, Freunde, Partnerschaft | |
Seine beste Freundin Claudia kennt Pronk seit 13 Jahren. „Patrick hat ein | |
großes Gerechtigkeitsempfinden, so schnell lässt er nicht locker“, sagt sie | |
am Telefon. Warmherzig, ehrlich und liebevoll sei er. „Er hat Grundwerte, | |
die er gerne lebt. Familie, Freunde, Partnerschaft und sein Lebensstil sind | |
ihm wichtig.“ Sie haben schon gescherzt, dass sie ja gemeinsam ein Kind | |
bekommen könnten. Aber irgendwie ist das auch zu kompliziert – und zu | |
verrückt für Pronk, wie er selbst sagt. Er will ein Kind adoptieren, mit | |
seinem Mann. Und wenn es für ihn zu spät ist, will er eben, dass andere, | |
jüngere schwule Paare das dürfen. | |
„Ich sehe es jetzt als meine demokratische Pflicht an, dafür zu kämpfen“, | |
sagt Pronk. Er lächelt. Er weiß, es klingt hochtrabend. | |
Warum ist ihm die Adoption so wichtig? Bei einer Pflegeelternschaft könnte | |
er den möglichen Abschied vom Kind nicht ertragen, sagt Pronk. Leihmutter? | |
Auslandsadoption? „Da ist mein Moralempfinden stärker als mein | |
Kinderwunsch.“ Mit einem Beutel voll Geld zu einer Frau gehen und ein Kind | |
„kaufen“? Das geht für ihn nicht. Und es nervt ihn, dass er danach gefragt | |
wird. „Ein Hetero-Paar, das adoptieren will, fragt auch niemand, warum sie | |
kein Pflegekind nehmen oder keine Leihmutter suchen.“ | |
Von den 630 Abgeordneten, an die er geschrieben hat, haben sich 70 | |
gemeldet. Manche riefen auch an. Von den 15 Antworten aus der Union | |
unterstützen immerhin acht Pronks Forderung. Er führt Liste, Spalten mit | |
„plus“, „minus“ und „unentschieden“, unterteilt nach Parteien. Einz… | |
Union füllt die „minus“-Spalte bisher mit sechs Strichen. Die Antwort von | |
Michael Grosse-Brömer wird unter „unentschieden“ einsortiert. | |
Ihn interessiert das Gesamtbild. Was wäre bei einer Abstimmung im Bundestag | |
ohne Fraktionszwang? „Da sitzen 630 Abgeordnete und es sind vielleicht nur | |
30, 40 von der Union gegen die Gleichstellung von Homosexuellen. Das ist | |
doch nicht demokratisch.“ Er hofft auf noch mehr Antwortet. | |
19 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Paul Wrusch | |
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