# taz.de -- Ebony Bones beim „Pop-Kultur“-Festival: Punk pour le punk | |
> Disco als Ästhetik und Punk als Selbstermächtigung: Die 33-jährige | |
> Londoner Künstlerin Ebony Bones tritt im Berliner Berghain auf. | |
Bild: Kämpft für starke weibliche Vorbilder: Ebony Bones. | |
Discomusik der 70er Jahre ist der Einfluss, den Ebony Bones zuletzt | |
begierig aufgesogen hat – hätte sie es nicht im Interview gleich zu Beginn | |
verraten, spätestens mit der aktuellen Single klingt es so, als habe die | |
Musikerin nie etwas anderes gehört. | |
Dominante Synthie-Melodien, eine im Viervierteltakt zügig durchlaufende | |
Bassdrum, viel Groove, Claps – lediglich der Gesang der britischen | |
Musikerin und die einsetzenden tieferen Bässe verraten, dass man es bei ihr | |
mit Musik aus dem Jahr 2015 zu tun hat. Und mit einer Künstlerin, die das | |
Discoelement ganz neu in ihre Musik integriert: Ihre Version von Disco | |
klingt rau. Liquid Liquid, James Chance und ESG habe Ebony Bones bei der | |
Produktion der neuen Songs gehört, erzählt sie. | |
Aufgewachsen ist Ebony Thomas, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, aber | |
mit ganz anderem Sound, in den 80ern im Südlondoner Stadtteil Brixton: | |
„Brixton ist wie London überhaupt ziemlich multikulturell. Worum es damals | |
in der Gegend ging, spielt definitiv in meiner Musik heute eine Rolle.“ | |
Bones treibt sich als Kind auf Vinylflohmärkten herum, auch ihr Vater, der | |
aus der Karibik zuerst nach Westberlin auswanderte und von dort nach | |
London, hatte einen Plattenstand. | |
Es sind Punkalben von Bands, in denen es laute Frauenfiguren gab, die es | |
Bones besonders angetun, X-Ray Spex und deren Sängerin Poly Styrene etwa. | |
Der punkige, bellende, verzerrte Gesang von Ebony Bones war bisher die | |
größte Konstante ihrer Musik, während sich die Instrumentierung in jedem | |
Song um 180 Grad zwischen R & B und House, Jungle und HipHop, Gitarren und | |
Kuhglocken wenden kann. | |
## Faszination des DiY | |
Mehr als nur der Sound hat sie die Selbstermächtigung des Do-it-Yourself | |
(DiY) fasziniert, die damals nicht nur für weibliche Punks befreiend war: | |
„Die künstlerischen Aspekte von Punk sind immens wichtig, aber genauso | |
wichtig ist, dass ich Musik selbstständig produzieren kann, weil es weit | |
weniger Produzentinnen als Produzenten gibt. Deshalb haben mich vor allem | |
Künstlerinnen aus der Punk-Ära inspiriert, wie The Slits, mit denen ich | |
meine erste Tour spielen konnte.“ | |
Neben den erwähnten X-Ray Spex nennt sie auch Siouxsie And The Banshees, | |
Grace Jones. Und Bands der Riot Grrrl-Bewegung wie Bikini Kill. Für Bones | |
wichtige Vorbilder, da sie etwas zeigten, das sonst kaum zu hören war: „Das | |
waren Künstlerinnen, denen Konventionen einfach egal waren. Ihre Musik war | |
nicht für Männer bestimmt. Es ging um Themen, die ihnen am Herzen lagen, | |
Themen, die die Gesellschaft verändern sollten. Dies prägte mich als junges | |
Mädchen. Besonders, weil wir in einer Welt leben, in der andere | |
Künstlerinnen exakt das Gegenteil machen.“ | |
Ebony Bones spricht im Interview elaboriert, jedes Wort ist sorgsam | |
gewählt. Sie korrigiert sich, wenn etwas ungenau wirkt, benutzt | |
Neologismen, die in aktuellen Debatten geprägt wurden. Wörter, die nicht im | |
Wörterbuch stehen, dort aber hingehören: „Oversexualization“ zum Beispiel… | |
die Übersexualisierung von vor allem Frauen in den Medien. So wie sie ihre | |
Idole anzitiert, versucht auch sie Vorbild zu sein, denn die Welt brauche | |
starke weibliche Vorbilder, meint sie. Das müssen nicht unbedingt | |
Künstlerinnen sein – junge Mädchen sollen sehen, dass sie machen können, | |
was Jungs auch tun. | |
## Der Wert von Musik | |
Für die Künstlerin war das eine Erfahrung, die sie ausgerechnet durch die | |
Begegnung mit einem dieser Jungs machte: Rat Scabies, Drummer der | |
Punk-Goth-Band The Damned. Damals war Bones Schaupielerin. Bei ihrer Musik | |
wollte sie nicht, dass ihr jemand ins Handwerk pfuscht, also macht sie es | |
allein, learning by doing – und gießt damit die Attitüde ihrer Idole in die | |
Form eines modernen R & B-Punk, der alles will, außer sich festzulegen: | |
Genres, Styles, Themen. | |
In der eigenständigen Produktion kulminiert Bones’ DiY-Ethos, bringt ihr | |
die Unabhängigkeit, die sie unbedingt will. In einer Zeit, in der für | |
KünstlerInnen immer weniger bleibt, stellt Ebony Bones die Frage nach dem | |
Wert von Musik. „Viele KünstlerInnen stehen vor der Entscheidung, ob sie | |
dieses kleine Stück vom Kuchen, das sie abbekommen, mit einem Label teilen | |
wollen.“ Es geht dabei auch um die Besitzrechte an der eigenen Musik. Sie | |
behält die Fäden in der Hand und damit ganz wörtlich auch ihr eigenes | |
Schaffen. Das ist es, was „independent“ für Ebony Bones bedeutet. | |
Als ihre eigene Labelchefin entscheidet Bones, ihre kommende EP auf nur | |
einem einzigen Tonträger herauszubringen. Dabei geht es nicht um die Frage | |
nach dem Original, sondern tatsächlich nach dem Wert von Musik. Auch in | |
Zahlen – was kann der Preis des einzigen physischen Exemplars sein? | |
## Die Kreuzbestäubung | |
2009 [1][war in der taz zu lesen], die „Ebony-Bones-Blockbuster-Maschine“ | |
lanciere die treffenden Begriffe zur Zeit. Sechs Jahre später tut sie das | |
immer noch: Feminismus, Selbstermächtigung, Streamingdienste. Doch hat sie | |
das nicht in einen Superstarmodus wie ihre Kolleginnen M.I.A. oder | |
Santigold katapultiert, Ebony Bones blieb in der Nische. Allerdings: Sie | |
macht es sich weder in einer Schublade bequem, noch fände sie mit ihren | |
großen Ideen darin genug Platz. | |
Ebony Bones verschmilzt alles, was sie hört, zu einer spirituellen Sprache, | |
so nennt sie Musik. Sie entlehnt dafür einen Begriff aus der Biologie: | |
Kreuzbestäubung. Das Aufnehmen von Tradition, vom Anderen ist für Ebony | |
Bones essenziell und enorm fruchtbar, auch wenn die Gefahr besteht, zu viel | |
zu wollen, dass Buntheit in Beliebigkeit abzurutschen droht. Einzig Punk | |
als Haltung bleibt bei Ebony Bones konstant: punk pour le punk. | |
Zu ihren enorm vollen Arrangements, die sie bisher auf zwei Alben | |
präsentiert hat, auf denen jeder Song wie von einer anderen Künstlerin | |
klingt, inszeniert sie auch ihren eigenen Körper als Kunst. So wie sie ihre | |
diversen musikalischen und kulturellen Inspirationsquellen | |
zusammenschneidert, näht sie auch die farbenvollen Kostüme selbst. | |
## Kritik an einer blinde Gesellschaft | |
Im Video zur aktuellen Single „Promised Land“ treten Menschen auf, die alle | |
von einer Norm abweichen, Outlaws einer Künstlerszene. „One day we’re gonna | |
shine“, singen sie auf den Discobeat und rufen zur doppelt queeren | |
Emanzipation auf. Das gelobte Land ist nicht die erste Referenz auf antike | |
oder biblische Mythen. Zuletzt kündigte der Titel ihres 2013 erschienenen | |
Albums den vierten apokalyptischen Reiter an (“Behold, A Pale Horse“) und | |
brachte sie ganz nah ans Ende der Welt. | |
Auch auf ihrer im Oktober erscheinenden dritten Veröffentlichung, einer EP | |
mit vier Tracks, verspricht sie nichts weniger als „Milk & Honey“ und | |
erinnert an eine Kelis unter einer Discokugel. Die Streichersynthies und | |
treibenden Beats, werden durch dunkle Bässe und Gitarren ergänzt und reihen | |
sie in eine Dance-Punk-Tradition. Der bellende Gesang, der ihre | |
Punk-Sozialisation verriet, geht zunehmend Richtung Chor, suggeriert eine | |
Mehrheit. Die Lyrics kritisieren eine blinde Gesellschaft (“Eat your | |
bread/Enjoy the circus“), aber nicht ohne ein besseres Morgen zu | |
versprechen. | |
28 Aug 2015 | |
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## AUTOREN | |
Diviam Hoffmann | |
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