| # taz.de -- Proteste in Moldau: Zeltstadt für Europa | |
| > Das Zentrum der moldauischen Hauptstadt ist zum Mittelpunkt des Protests | |
| > gegen die Regierung geworden. Es erinnert an den Kiewer Maidan. | |
| Bild: Unter Rufen wie „Gebt uns unser Land zurück!“ und „Nieder mit der … | |
| Chisinau taz | Hunderte zelten seit vergangenem Sonntag auf dem Hauptplatz | |
| von Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau. „Das Städtchen der Würde | |
| und der Wahrheit“ wird mit jedem Tag größer. | |
| Aufgerufen zum Protest hat die erst Anfang des Jahres gegründete | |
| Bürgerplattform „Würde und Gerechtigkeit“. Die Gründer legen Wert darauf, | |
| dass es sich um keine politische Partei, sondern eine breite zivile | |
| Initiative handelt, deren Ziel es ist, den Mächtigen auf die Finger zu | |
| schauen. Dafür gibt es in der Exsowjetrepublik, die mit ihren 3,5 Millionen | |
| Einwohnern zu den ärmsten Ländern Europas zählt, gute Gründe. Seit der | |
| Parlamentswahl im November 2014 wird das Land von einer Koalition aus drei | |
| liberalen, proeuropäischen Parteien regiert. | |
| Hunderttausend Moldauer folgten am Sonntag dem Aufruf, an einer friedlichen | |
| Kundgebung teilzunehmen. Auslöser war der Verlust von umgerechnet 1,3 | |
| Milliarden Euro, die drei Banken des Landes gehörten. „Wir wollen die | |
| Milliarde zurück!“ skandierte die Menge auf ihrem Weg durch die Hauptstadt. | |
| Zu der Forderung nach einer restlosen Aufklärung des Bankskandals kamen | |
| bald weitere. Unter Rufen wie „Gebt uns unser Land zurück!“ und „Nieder … | |
| der Regierung!“ forderten die Menschen den Rücktritt der Regierung, | |
| vorgezogene Neuwahlen sowie eine direkte Präsidentenwahl. Die Demonstranten | |
| erklärten, dass sie so lange in der Zeltstadt bleiben würden, bis ihre | |
| Ziele erreicht seien. | |
| ## Warme Decken und Kleidung | |
| Am Dienstag stehen bereits zweihundert Zelte. Die Stadtverwaltung hat zwar | |
| erklärt, dass die Kundgebung nicht genehmigt sei, aber Biotoiletten zur | |
| Verfügung gestellt. Die Hauptstädter bringen warme Decken und Kleidung zum | |
| Platz, spenden Geld und Lebensmittel. In einer improvisierten Feldküche | |
| werden Essen und Tee zubereitet. Davon profitieren nicht nur Demonstranten, | |
| sondern auch Obdachlose. Aus den Lautsprechern erklingen patriotische | |
| Lieder. Die Menschen sehen müde und ausgezehrt aus. Es sind auffallend | |
| viele Betagte unter den Protestierenden. | |
| Die pensionierte Lehrerin Anna Rotaru erzählt, dass sie die erste Nacht im | |
| Zelt verbracht hat. Das habe ihr nicht gut getan, deswegen habe sie sich | |
| entschieden, nur tagsüber zu protestieren. „Der Premierminister soll vor | |
| die Menschen treten und die Wahrheit sagen. Wo ist das Geld und wer ist der | |
| Dieb? Wir haben diese Menschen gewählt, und sie verstecken sich vor uns. | |
| Unser Premierminister ist ein Feigling!“, sagt sie. | |
| ## Verzweifelte Bürger | |
| „Ich bin hergekommen, weil ich als Sanitäterin in einem Kinderheim einen | |
| miserablen Lohn bekomme“, sagt die 56-jährige Lidia Kaburdan. „Würde ich … | |
| Hause im Stillen meiner Wut Luft machen, würde keiner mitkriegen, dass ich | |
| verhungere.“ Ihr liegt daran, dass Premierminister Valeriu Strelez auf den | |
| Platz kommt und die Verzweiflung der Bürger mit eigenen Augen sieht. | |
| Immer wieder betreten Aktivisten der Bürgerplattform die Bühne. Die Musik | |
| wird leiser gestellt, die Menschen versammeln sich um den Redner. Sie | |
| schwenken Fahnen der Moldau und der EU und skandieren: „Rücktritt! | |
| Rücktritt!!“ oder „Sieg für Moldowa!“ | |
| ## Angst vor „ukrainischem Szenario“ | |
| Einer der Gründer der Bürgerplattform, der politische Analytiker und | |
| Aktivist Igor Bozan, beklagt in seinem Beitrag, dass Moldau sich aus einer | |
| „Erfolgsgeschichte der östlichen Partnerschaft mit der EU“ in ein „von | |
| Oligarchen okkupiertes Land vor dem Abgrund“ verwandelt habe. | |
| Die meisten der Befragten beteuern, dass sie eine Wiederholung des | |
| ukrainischen Szenarios auf jeden Fall vermeiden wollen. Der 78-jährige | |
| Fjodor Arapu erzählt, dass er zum Platz gekommen sei, weil seine Rente | |
| winzig sei, während die Preise rapide steigen. Er sei gebrechlich und | |
| krank, könnte aber an diesen wichtigen Tagen nicht zu Hause bleiben. Was | |
| hier geschieht, erinnert ihn an den Kiewer Maidan vor zwei Jahren. „Wir | |
| wollen aber keinen Krieg!“ | |
| Inzwischen teilte die Präsidialverwaltung in einer Presseerklärung mit, | |
| dass der Präsident nicht zurücktreten werde. | |
| Aus dem Russischen von Irina Serdyuk | |
| 9 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Mariana Galben | |
| ## TAGS | |
| Moldau | |
| Protest | |
| Banken | |
| Republik Moldau | |
| Republik Moldau | |
| Republik Moldau | |
| Banken | |
| Kunstbetrieb | |
| Russland | |
| Moldau | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kommentar Wahl in der Republik Moldau: Von Europa enttäuscht | |
| Wichtigste Frage bei der Wahl: Wohin soll sich die Republik Moldau | |
| außenpolitisch orientieren? Finster: Die Antwort weist klar in Richtung | |
| Moskau. | |
| Präsidentenwahl in der Republik Moldau: Stichwahl notwendig | |
| Bei der Abstimmung der Moldauer über den Präsidenten verfehlt der | |
| prorussische Kandidat Dodon knapp die Mehrheit. Nun muss eine Stichwahl | |
| entscheiden. | |
| Präsidentenwahl in der Republik Moldau: Aus dem Grab an die Urne | |
| Am Sonntag entscheiden die Moldauer auch über die Frage, wo die Reise | |
| außenpolitisch hingeht. Mit Wahlfälschungen ist zu rechnen. | |
| Misstrauensvotum im Moldau-Parlament: Proeuropäische Regierung geht | |
| Nach dem Korruptionsskandal stimmte das Parlament der Republik Moldau mit | |
| zwei Dritteln Mehrheit für den Rücktritt von Regierung und | |
| Ministerpräsident Strelet. | |
| Kunst in der Republik Moldau: Ein Hauch von Rebellion | |
| Die Kulturszene der Republik Moldau befindet sich im postsowjetischen | |
| Vakuum. Ein Besuch bei den wenigen Künstlern, die im Land geblieben sind. | |
| Kommentar Wahl in der Republik Moldau: Es kann ungemütlich werden | |
| Die Kreml-treuen Sozialisten haben in Moldau unerwartet gut abgeschnitten. | |
| Fragt sich, wie Moskau reagiert. | |
| Parlamentswahl in Moldau: Proeuropäische Kräfte vorn | |
| Bei der Wahl in Moldau liegt das prowestliche Lager vorn. Das ergeben erste | |
| Hochrechnungen. Die oppositionellen Sozialisten sind zweitstärkste Kraft. |