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# taz.de -- Flüchtlingspolitik in Deutschland: War nicht so gemeint
> Die Bundesregierung will Deutschland nicht zum Paradies für syrische
> Flüchtlinge machen. Auch andere EU-Staaten sollen ihre Pflicht erfüllen.
Bild: Flüchtlinge in Budapest protestieren gegen die Schließung einer Bahnhof…
Berlin taz | Die Bundesregierung bemüht sich um Schadensbegrenzung. „Dublin
gilt für alle“, betonte der Sprecher des Bundesinnenministeriums, Johannes
Dimroth, am Mittwoch in Berlin. Die Regel, dass derjenige EU-Mitgliedstaat,
in dem ein Asylbewerber erstmals den Boden der Europäischen Union betritt,
auch für dessen Asylverfahren verantwortlich ist, gelte weiterhin. „Wir
werden nicht müde, alle anderen daran zu erinnern“, machte sich der
Ministeriumssprecher Mut.
Zugleich hat Italien am Mittwoch auf Bitten Deutschlands an seinen
Grenzübergängen zu Österreich vorübergehend wieder Grenzkontrollen am
Brenner eingeführt. Die CSU begrüßte diesen Schritt: Dies sei „der
ausdrückliche Wunsch der Bayerischen Staatsregierung“ gewesen, hieß es aus
München. Seit Anfang der Woche sind Tausende syrische und afghanische
Flüchtlinge, aus Ungarn kommend, in Südbayern eingetroffen. Auch in Italien
wollen viele Flüchtlinge weiter nach Deutschland reisen.
In den vergangenen Tagen hatten sich die Ereignisse überstürzt. Am Freitag
hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seine Mitarbeiter
angewiesen, syrische Flüchtlinge nicht mehr in andere EU-Staaten
zurückzuschicken, auch wenn diese nach den Dublin-Regeln eigentlich für sie
verantwortlich wären. Schon seit 2011 schickt Deutschland syrische
Flüchtlinge nicht mehr nach Griechenland zurück, weil das Land damit
überfordert ist; in Italien sieht es ähnlich aus. Doch mit seiner
Dienstanweisung, syrische Flüchtlinge nicht abzuschieben, hat Deutschland
die Dublin-Regeln faktisch außer Kraft gesetzt.
In den sozialen Netzwerken verbreitete sich diese Nachricht übers
Wochenende wie ein Lauffeuer. Merkel wurde von manchen Syrern daraufhin mit
Lob überschüttet. Blumige Liebeserklärungen an die deutsche Kanzlerin
machten auf Twitter die Runde, und am Montag skandierten auf dem Bahnhof in
Budapest die Menschen, die einen Zug nach Deutschland besteigen wollten,
„Merkel, Merkel“ und „Deutschland“. Ungarn ließ daraufhin Hunderte
Flüchtlinge in überfüllten Zügen ungehindert in Richtung Wien und München
passieren.
Österreich und Ungarn gaben Deutschland eine Mitschuld daran, dass die
Situation außer Kontrolle geraten sei. Die Ankündigung des Bundesamts für
Migration und Flüchtlinge, Syrer würden von Deutschland nicht mehr in
andere EU-Staaten zurückgeschickt, habe bei den Flüchtlingen in ihren
Ländern einen enormen Reisedruck ausgelöst, Chaos bewirkt und eine
Sogwirkung entfaltet, sagte ein Sprecher des österreichischen
Innenministeriums am Dienstag. Dadurch sei der Eindruck entstanden,
Deutschland sei eine Art gelobtes Land für Syrien-Flüchtlinge.
Andere sprachen davon, Deutschland mache sich zum Magneten, oder sie
bemühten das Bild vom „Staubsauger“. Der tschechische Innenminister Milan
Chovanec schlug sogar vor, für Syrer einen humanitären Flüchtlingskorridor
direkt nach Deutschland zu schaffen.
## Krisentreffen in Brüssel
In Deutschland weist man diese Vorwürfe zurück: Die Anweisung sei aus rein
„praktischen Erwägungen“ erfolgt, sagte der Sprecher des Innenministeriums
am Mittwoch. Es gebe keinen monokausalen Zusammenhang mit dem Ansturm auf
den Bahnhof in Budapest, die Menschen hätten schon vorher nach Deutschland
gewollt. Gleichwohl müsse man vorsichtig sein, welche Botschaften man wie
kommuniziere, räumte er ein. „Das entbindet unsere europäischen Partner
aber nicht von ihren Pflichten“, sagte Dimroth.
Das sieht auch die EU-Kommission so: Ihr Präsident Jean-Claude Juncker soll
bereits Warnbriefe an mehrere Mitgliedsländer verschickt haben, in denen er
sie drängt, sich an die geltenden Aufnahmeregeln zu halten, wonach
Asylsuchende Unterkunft und Verpflegung erhalten und per Fingerabdruck
erkennungsdienstlich erfasst werden. Nur so könnten die Dublin-Regeln
umgesetzt werden. Am Donnerstag reist der ungarische Regierungschef Viktor
Orbán zu einem Krisentreffen nach Brüssel.
Indem es die Dublin-Regeln für syrische Flüchtlinge ausgesetzt hat, hilft
Deutschland, den Druck von anderen EU-Staaten zu nehmen. Mittelfristig
strebt man in Berlin und Brüssel aber neue Regelungen an, um Flüchtlinge in
der EU in Zukunft gerechter zu verteilen. Es gebe in der Flüchtlingsfrage
derzeit „einige Dynamik“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am
Mittwoch in Berlin und verwies auf Spaniens Ministerpräsidenten Mariano
Rajoy, der kooperativ sei. Man setze weiter „auf die Kraft der Argumente“,
werbe überall in Europa für eine gemeinsame Lösung und sei „optimistisch,
dass wir vorankommen werden“.
Das stößt aber bei vielen Staaten auf Widerstand. Am Freitag wollen die
östlichen EU-Länder Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn auf einem
Gipfeltreffen in Prag ihre Positionen abstimmen. Sie alle wollen nicht mehr
Flüchtlinge aufnehmen. Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico meint,
feste Quoten zur Umverteilung von Flüchtlingen innerhalb der EU würden „nur
die organisierte Kriminalität“ fördern.
2 Sep 2015
## AUTOREN
Daniel Bax
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Europa
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