| # taz.de -- Krise in der Ukraine: Wut und Trauer in Kiew | |
| > Die Verfassungsreform spaltet das krisengeschüttelte Land. Nach den | |
| > Ausschreitungen am Montag in Kiew gab es drei Todesopfer. | |
| Bild: Bewohner Kiews legen vor dem Parlament in Kiew Blumen für die Opfer der … | |
| Kiew taz | Gruschewskastraße am Kreschtschatik, nur ein Katzensprung vom | |
| Maidan in der ukrainischen Hauptstadt Kiew entfernt. Bei hoch sommerlichen | |
| Temperaturen gehen Parlamentarier wie gewohnt in das Gebäude der Werchowna | |
| Rada. | |
| Seit dem frühen Morgen ist das Gebäude von Sicherheitskräften abgesperrt. | |
| Ungewöhnlich still ist es. Auf Bänken sitzen Menschen in kleinen Gruppen. | |
| Sie schweigen oder unterhalten sich leise. Auf den Eingangsstufen stehen | |
| Blumen, Kerzen und drei Fotos mit schwarzen Schleifen. Jemand hat ein | |
| ukrainisches Fähnchen mit der Aufschrift „Vergebt uns!“ hingestellt. | |
| Nichts deutet darauf hin, dass es hier am Montag zu den größten | |
| gewalttätigen Ausschreitungen in Kiew seit der Maidan-Revolution 2013/2014 | |
| gekommen war. Infolge mehrerer Explosionen wurden dabei mehr als 100 | |
| Sicherheitsleute verletzt und drei getötet. | |
| Auslöser war die Verabschiedung einer umstrittenen Verfassungsänderung | |
| durch das Parlament. Die von Separatisten kontrollierten Gebiete Donezk und | |
| Luhansk werden in der neuen Verfassung als temporär okkupierte Territorien | |
| definiert und erhalten weiterreichende Selbstverwaltungsrechte als andere | |
| Provinzen. Reformgegner, allen voran die mittlerweile aus der Regierung | |
| ausgetretene rechtspopulistische Radikale Partei, lehnen die Änderungen als | |
| „schleichende Aufgabe ukrainischen Territoriums“ ab. | |
| ## Eine Tragödie | |
| „Das, was passiert ist, ist eine Tragödie, ein gravierender Fehler der | |
| Politiker. So etwas darf sich nicht wiederholen!“, sagt eine junge Frau, | |
| die kurz vor den Fotos verharrt. „Ich bin fassungslos, dass nach so vielen | |
| schrecklichen Opfern, die wir Ukrainer, und nicht nur Ukrainer, während des | |
| Maidan und dann im Donbass zu beklagen hatten, nun auch diese jungen Männer | |
| vor dem Parlament sterben mussten!“, sagt eine Rentnerin, die mit den | |
| Tränen kämpft. Landesweit stellen die Menschen auf zentralen Plätzen ihrer | |
| Städte Kerzen und Kränze zum Andenken an die Gefallenen auf und versammeln | |
| sich zu spontanen Solidaritätskundgebungen mit deren Angehörigen. | |
| „Die Berkut-Söldner (ukrainische Sondereinheit unter Expräsident | |
| Janukowitsch) auszumerzen, bedeutete auf dem Maidan den Kampf des Guten | |
| gegen das Böse“, schreibt eine Moskauerin auf Facebook. „Aber anderthalb | |
| Jahre später eine Granate in die Reihen der Sicherheitsleute vor dem | |
| Parlament zu werfen ist Terrorismus“. | |
| Allein in den drei dramatischen Februartagen 2014 wurden auf dem Maidan 16 | |
| Milizionäre getötet. Nach ihren Namen sucht man vergeblich in der Straße | |
| zum Andenken an die Himmlischen Hundertschaft im Zentrum Kiews. Der Tod von | |
| drei jungen Nationalgardisten hingegen, die am Montag und den folgenden | |
| Tagen ihren Verletzungen erlegen waren, haben einen Sturm der Entrüstung | |
| und eine Welle an Mitleidsbekundungen ausgelöst. | |
| Die Empörung richtet sich gegen die ultranationalistische Partei Swoboda, | |
| eine der Initiatoren des blutigen Meetings von Montag. Auf den in | |
| ukrainischen Medien verbreiteten Video-Aufzeichnungen ist zu sehen, wie | |
| mehrere Swoboda-Angehörige, unter ihnen Exabgeordnete, die | |
| Nationalgardisten angreifen. | |
| „Die politischen Führer der Partei Swoboda sind moralische Missgeburten, | |
| weil sie statt ihre aggressiven Anhänger zu mäßigen, sich selbst an den | |
| Schlägereien mit den Ordnungskräften beteiligt haben“, schreibt die | |
| Chefredakteurin des ukrainischen Internetportals Ukrainska Prawda, Sewgil | |
| Musajewa. „Es ist unendlich schade um den 25-Jährigen, dessen Eltern | |
| glücklich waren, dass ihr Sohn nicht im umkämpften Donbass, sondern im | |
| friedlichen Kiew seinen Militärdienst leistete.“ | |
| Übersetzung aus dem Russischen von Irina Serdyuk | |
| 2 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Grigori Pyrlik | |
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