# taz.de -- Neue „Agrippina“-Comics auf Deutsch: Jung und schlecht gelaunt | |
> Mit der „Agrippina“-Reihe setzt die französische Zeichnerin Claire | |
> Bretécher pubertierenden Mädchen ein schönes Denkmal. | |
Bild: Die jugendliche Heldin Agrippina kämpft sich in Claire Bretéchers Comic… | |
Sie hat eine dicke Nase, drapiert ihre Körperfülle mit den unmöglichsten | |
Klamotten und versprüht beständig schlechte Laune. Sie heißt Agrippina. Und | |
sie war viel zu lange weg. | |
Deutschen LeserInnen ist der comicgezeichnete Kampfteenager mit dem | |
klassischen Namen schon seit den Achtzigern bekannt. 1988 erschien bei | |
Rowohlt der erste „Agrippina“-Band. Darin motzte und zickte sich die | |
Heranwachsende durch eine großbürgerliche Familie. Der Vater ein | |
verträumter Literaturprofessor und heimliches Idol, die Mutter ein | |
Anti-Vorbild, der kleine Bruder: Nervensäge vom Dienst. | |
Liebevoll und unpeinlich in deutschen Jugend-Slang übersetzt, gaben sich | |
Agrippina und ihre beste Freundin Bergère dem pubertären Ennui hin (“voll | |
öde Insel“) oder trotzten selbstbewusst plumpen Annäherungsversuchen des | |
anderen Geschlechts (“Nimm die feuchte Futterluke weg“). Auf der anderen | |
Seite: Liebeskummer, miese Noten, Körperkomplexe. | |
Das Elend junger Mädchenblüte, minimalistisch skizziert, mit Gespür für | |
reale Gefühlslagen und überdrehte Situationskomik. Drei von fünf Bänden | |
erschienen bei Rowohlt auf Deutsch. Dann war Schluss. | |
Das Feld der feministisch geschulten Frauencomics dominierten hierzulande | |
Marie Marcks und die Emma-Hauszeichnerin Franziska Becker. Deren | |
Polit-Emanzen, Eso-Trullas und Vollwert-Muttis bildeten zwar | |
wahrheitsgetreu das Spektrum der bundesrepublikanischen Frauenbewegung ab. | |
Aber „Agrippina“ war immer mehr: böser, absurder, intellektueller als die | |
vergleichsweise braven deutschen Alternativen. | |
## Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Sexualprobleme | |
Jetzt ist „Gripp“, wie nur Freundinnen sie nennen dürfen, zurück: Der | |
Berliner Reprodukt-Verlag hat die letzten beiden Bände „Allergien“ und „… | |
und fertig“ herausgebracht. Agrippina, nur geringfügig gealtert, schlägt | |
sich darin mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Sexualproblemen, mit | |
ihrer zwanghaft jugendlich auftretenden Großmutter und der exzentrischen | |
Urgroßmutter Sumsi herum. | |
Als Oma ihr im Laden die ersehnten Gürteltier-Boots abjagt, sucht Agrippina | |
Trost bei den Eltern. Aber die lassen sich gerade scheiden – und haben so | |
viel Sex wie nie. | |
Der kleine Bruder durchlebt gerade eine transsexuelle Phase. Und als ihre | |
Urgroßmutter das Altersheim mit Graffiti vollsprüht, fehlt Agrippina dafür | |
jedes Verständnis. | |
## Eine der ganz wenigen Frauen im Comic-Business | |
Die Comics sind vor allem deswegen so komisch, weil die Zeichnerin | |
Bretécher so nah dran ist an dem Milieu, das sie beschreibt – auch wenn sie | |
selbst schon 75 Jahre alt ist. Bretécher, die als eine der ganz wenigen | |
Frauen im Comic-Business der 1970er Jahre reüssierte, entstammt selbst der | |
linksintellektuellen Bourgeoisie. Auf Wunsch ihrer Eltern absolvierte sie | |
zunächst eine Ausbildung als Zeichenlehrerin, zog dann nach Paris und | |
arbeitete für den Asterix-Schöpfer Goscinny. | |
1974 begann ihre Solokarriere mit der Serie „Les Frustrés“, (deutsch: „D… | |
Frustrierten“), die sie für die Wochenzeitschrift Nouvelle Observateur | |
zeichnete. Darin beschrieb Bretécher schonungslos die Neurosen und | |
Widersprüche von Wildlederstiefel tragenden Öko-Feministinnen, | |
antiautoritären Müttern und männlichen Salonkommunisten. Rhetorisch gab man | |
sich radikal und antiautoritär. In der Praxis aber ließ man sich die | |
Austern von der portugiesischen Zugehfrau zubereiten und aß sie, ganz | |
bürgerlich, im Kreise der Kleinfamilie. | |
Agrippina, diese rotzige, Hängehosen tragende, aber mit allen diskursiven | |
Wassern gewaschene Tochter des Hauses, ist die Ausgeburt dieses Milieus. | |
Sie pflegt ihre Allergien und Neurosen. Und scheitert mit ihrer | |
feministischen Furchtlosigkeit im Bett an den sensiblen Männern ihrer | |
Generation. | |
Bretécher selbst kündigte kürzlich an, dass es jetzt vorbei sei mit der | |
Jugendversteherei. Sie wolle jetzt nur noch malen. Agrippina wird wohl ewig | |
ein schlecht gelaunter Teenager bleiben. | |
4 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Nina Apin | |
## TAGS | |
Comic | |
Französischer Comic | |
Asterix | |
Comic | |
Comic | |
Pädophilie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Das Paris der Dreißigerjahre im Comic: Mord und Intrigen im Bordell | |
„Fräulein Rühr-mich-nicht-an“ ist authentisches Sittengemälde und | |
differenziertes Frauenporträt zugleich. Sein Humor ist bissig bis makaber. | |
Asterix-Comic ist Bestseller 2015: Sieg über Fifty Shades of Grey | |
Mit 1,6 Millionen Exemplaren ist der Asterix-Comic „Der Papyrus des Cäsar“ | |
das bestverkaufte „Buch“ Frankreichs im Jahr 2015. Aber – wie kommt das? | |
Neuer Comic „Hexe total“: „Überall Spinnen und Satan“ | |
Im Comic „Hexe total“ spielt Simon Hanselmann eine von Homophobie und | |
Drogen geprägte Jugend in Tasmanien nach: mit einer Hexe, einer Katze und | |
einer Eule. | |
Das Finale der „Donjon“-Comicreihe: Vor der Endschlacht noch aufs Klo | |
Drachen im Düsenanzug, Körpertausch mit einer Ente: Der letzte Band der | |
Fantasy-Comicparodie „Donjon“ ist mal wieder ein großes Durcheinander. | |
Pädophilie in Kreuzberg: Was keiner wissen durfte | |
Im Kreuzberg von heute sieht man es kaum. In den 80er Jahren wurden hier | |
Kinder missbraucht. Die Täter kamen oft aus dem alternativ-grünen Milieu. |