# taz.de -- Neuer Comic „Hexe total“: „Überall Spinnen und Satan“ | |
> Im Comic „Hexe total“ spielt Simon Hanselmann eine von Homophobie und | |
> Drogen geprägte Jugend in Tasmanien nach: mit einer Hexe, einer Katze und | |
> einer Eule. | |
Bild: Bild vom schönen Tod im Wasser. | |
taz: Simon Hanselmann, die Figuren Ihrer Comicserie „Hexe total“ gehen | |
äußerst destruktiv miteinander um. | |
Simon Hanselmann: Oh ja, es sind furchtbar destruktive Charaktere, allesamt | |
Schurken und Mistkerle. Aber so war’s nun mal in Launceston, Tasmanien, wo | |
ich aufgewachsen bin. Um die dortige Noise-Musikszene tummelten sich viele | |
verwahrloste, geisteskranke Menschen, die sich gegenseitig üble Streiche | |
spielten. | |
Megg und Mogg sind besonders gemein zu ihrem Mitbewohner Eule. | |
Ja, und gleichzeitig lieben sie ihn. Er ist Teil der Gruppe, wie alle | |
Figuren Facetten von mir, meiner Persönlichkeit sind, die sich stets | |
gegenseitig bekämpfen. Eule ist der Teil von mir, der versucht, sich in die | |
Gesellschaft einzufügen, während Megg meine depressive und Mogg meine | |
gemeine Seiten darstellen – und sie setzen alle Hebel in Bewegung, um Eule | |
auf ihr Niveau herunterzuziehen. | |
In einer Episode tritt Eule als Musiker auf. Als Megg und Mogg seine Show | |
absichtlich ruinieren, dachte ich, sie bereiten ihn einfach aufs Leben vor. | |
Eule ist ein erbärmlicher Musiker. So gesehen taten sie ihm einen Gefallen, | |
seinen Traum einer Musikerkarriere im Keim zu ersticken. Aber ich glaube, | |
er muss definitiv auf Distanz gehen, und zwar so bald wie möglich, die | |
Stadt verlassen und sein Ding machen. Aber wahrscheinlich wird ihn die | |
Gruppe in ihren destruktiven Trott zurückzerren. Immer wieder. | |
Eule ist aber auch nicht der Hellste. Als er zum Beispiel eine Affäre mit | |
einer Dreizehnjährigen hat und so tut, als hätte er nicht bemerkt, wie jung | |
sie ist, musste ich an Roman Polanski denken. | |
Der Vergleich passt, aber in Wirklichkeit habe ich nur nacherzählt, was | |
einem Freund von mir passiert ist – der damals immerhin selbst achtzehn | |
war. Generell vermeide ich, meine Arbeit zu überanalysieren. Ich schreibe | |
drauflos, ohne zu reflektieren, und später, manchmal, fallen mir Sachen | |
auf. | |
Heißt das, Sie haben sich Eules Vergewaltigung als Geburtstagsgeschenk | |
nicht ausgedacht? | |
Nein. Auch das ist tatsächlich einem Freund passiert. Genau diese Szene | |
wurde im Netz heftig diskutiert, worüber ich mich gefreut habe: Das | |
Tabuthema Männervergewaltigung wird an sich nur selten angesprochen. Viele | |
Leser und auch Kritiker meinten jedoch, ich hätte die Episode nur für | |
billige Lacher erzählt. | |
Die Episode ist null lustig. | |
Furchtbar unlustig. | |
Generell herrscht in der Serie eine unheimliche, ziemlich klaustrophobe | |
Stimmung: Die Außenwelt, die WG voller Drogen und Meggs innere Welt aus | |
Depressionen scheinen sich untereinander komplett hermetisch zu verhalten. | |
Megg leidet unter Depressionen, so wie ich auch übrigens immer noch. Wenn | |
es zu diesem Seelenzustand kommt, ist es wirklich schwer und beängstigend, | |
mit anderen Menschen zu interagieren oder einfach nur durch den Tag zu | |
kommen. Wie sie sich abschirmt, die Konfrontation mit der Außenwelt scheut, | |
ist aber vielleicht auch symptomatisch für meine Generation: Wir haben | |
keine Kriege erlebt, können den ganzen Tag Comics lesen – alles schön | |
bequem. Es ist einfach, sich in einem kleinen, egoistischen Loch zu | |
verstecken. | |
Meggs Umwelt ist zwar nicht vom Krieg gezeichnet, erweist sich dennoch als | |
äußerst feindselig. Eule wird auch mal als „Scheißeule“ beschimpft. Sie … | |
ihre Freunde werden oft aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen | |
Orientierung Opfer von Diskriminierung. | |
So war einfach mein Alltag in Launceston, wo eine überwiegend weiße, | |
alternde und sehr homophobe Bevölkerung lebt. In Tasmanien war | |
Homosexualität bis 1994 illegal. Melbourne, wo ich jetzt wohne, ist als | |
Kunsthauptstadt Australiens ein wenig liberaler, aber wenn ich | |
Frauenklamotten trage, werde ich angepöbelt. | |
Um 2013 hatten Sie Ihr Coming-out als Crossdresser. Beim diesjährigen | |
Comicfestival von Angoulême trugen Sie noch Kleider und langes, rotes | |
Haar. Heute nicht. | |
Ich will das jetzt lieber privat halten. Ich ertrage es einfach nicht mehr, | |
auf der Straße angestarrt, angeschrien, ja sogar bedroht zu werden. Es ist | |
wirklich gefährlich. So verstecke ich mich gerade hinter meinem weißen, | |
männlichen Privileg. Es tut mir leid, wenn die Leute dann enttäuscht sind, | |
weil sie ein Foto mit mir machen wollten … Und das kotzt mich auch total | |
an! Mir geht es dabei nicht um den performativen Aspekt. Ich fühle mich | |
einfach unwohl als Mann. Ich glaube, ich fühle mich generell unwohl im | |
Leben. | |
Das ist hart. | |
So ist es. | |
Und Zeichnen ist das, was Sie am Leben hält? | |
Ja, darauf muss ich mich konzentrieren. Ich wüsste nicht, was ich sonst tun | |
würde. Ich habe immer nur das getan. Ich glaube genau so ein Ventil hat | |
meiner Mutter gefehlt, wenn man mal von ihrem Drogenkonsum absieht, der | |
aber sehr destruktiv gewesen ist. Mir wird manchmal unterstellt, ich würde | |
mit „Hexe total“ Drogen verherrlichen. Die Serie macht aber genau das | |
Gegenteil: Sie zeigt, wie gefangen die Figuren sind. Sie ist der Versuch, | |
diese eingelaufenen Muster und Teufelskreise zu brechen. Gerade habe ich | |
eine weitere Geschichte im Kopf, im Zentrum derer die Beziehung zwischen | |
Megg und ihrer drogenabhängigen Mutter steht. | |
Wie läuft die Arbeit daran? | |
Oh, ich warte noch, bis ich bereit bin. | |
Was heißt bereit sein? | |
Zeichnen ist für mich eine Art Therapie. Was mich beschäftigt, bringe ich | |
zu Papier, um es aus einer anderen Perspektive, aus einer gewissen Distanz | |
betrachten zu können, und um schließlich damit fertigzuwerden. Aber meiner | |
Mutter geht es momentan wirklich nicht gut. Da muss ich fit sein. | |
Kennt Ihre Mutter Ihre Comics? | |
Sie hat mal versucht sie zu lesen, aber sie meint, sie würde nichts | |
verstehen. Ich habe ihr erklärt, es sei ein wenig wie die Simpsons, nur | |
düsterer … Aber es interessiert sie einfach nicht. | |
Matt Groening und weitere prominente Comic-KollegInnen hingegen sollen | |
große Fans Ihrer Arbeit sein. Was schätzen sie Ihrer Meinung nach an „Hexe | |
total“? | |
Ich bleibe bei den immer gleichen Figuren. Sie wachsen, wie im Leben, | |
während ich etwas lerne, mich ändere, besser werde – hoffentlich. Und das | |
will ich mit Megg und Mogg, dass sie aus ihren Fehlern lernen, dass sie | |
wachsen. Dieser eigentlich klassischen Form der Erzählung widmen sich, | |
scheint mir, gerade nur wenige Zeichner. Und ja, die Leser können der | |
Entwicklung der Figuren folgen, sie kennen und lieben lernen, sich damit | |
wohlfühlen. | |
Könnte man sich „Hexe total“ als TV-Serie vorstellen? | |
Über eine Pilotsendung wird tatsächlich gerade verhandelt. Mal schauen, ob | |
das wirklich klappt. Das Geld, das man im Fernsehen verdienen kann, ist | |
natürlich verlockend. Ich träume davon, meiner Mutter ein Grundstück zu | |
kaufen, wo sie sich sicher fühlt und ausruhen kann. Aber ich wäre nicht | |
bereit, allein wegen des Geldes die Serie zu verwässern. Als Comiczeichner | |
brauchst du nur einen guten Verleger, der sich auf deine Vision einlässt. | |
Aber fürs Fernsehen müsste man zensieren und entschärfen, weil sich alles | |
letztlich um Werbung dreht. | |
Als Hausfreund Werwolf Jones mit LSD-Pillen in der WG aufkreuzt, will Eule | |
keine nehmen, weil Satan darauf abgebildet ist. Mit ein paar Strichen lässt | |
Jones Satan wie Spiderman aussehen – und Eule ist dabei. Eine Art Zensur, | |
die den Effekt nicht mildert, oder? | |
Überall Spinnen und Satan, jep! | |
29 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Elise Graton | |
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