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# taz.de -- Die Wahrheit: Grusel und Etiquette
> Tagebuch einer Kritiksammlerin: Über Türenersatz, den Verlust
> zivilisatorischer Errungenschaften und hart gesottene Omas.
Neulich in Friedenau: An einen Baum geheftet einträchtig nebeneinander zwei
Suchaufrufe. In dem einen wird nach einem verschollenen Kater gefahndet,
der andere ist ein Schrei der Empörung, verbunden mit der Bitte um Hinweise
auf eine Diebestruppe, die dabei beobachtet wurde, wie sie am helllichten
Tag zwei Altbau-Haustüren klaute und in einem Transporter entführte.
Daneben Fotos des Diebesgutes. Die ungläubige Passantin geht zu besagter
Adresse und trifft auf Türenersatz. Man hofft für den Kater.
Nun ist in diesem Sommer aber nicht nur das Abhandenkommen von Türen und
Haustieren zu beklagen, sondern auch der Verlust zivilisatorischer
Errungenschaften, was den nicht wenigen, vor Flüchtlingsheimen
herumrandalierenden und mit dem Sprachschatz von Steinzeitmenschen
ausgestatteten Mitbürgern und – seufz! – Mitbürgerinnen zu verdanken ist.
Sollte jemand, allen Terroristinnen, NSU-Extremistinnen und IS-Bräuten zum
Trotz, immer noch daran festhalten, Frauen seien das friedliebendere
Geschlecht, dem sei geraten, sich mit dem inzwischen hinlänglich
verbreiteten hysterischen Gequieke im „Votze-Votze-Votze-
Kanzlerinnen-Schmähvideo bekanntzumachen.
Manchmal reicht aber auch ein auf dem eigenen Balkon verbrachter
Nachmittag, denn dabei kann man Zeuge der Gesellschaftskritik einer
vorbeistampfenden Dame werden, gebrüllt natürlich: „Nicht er-o-bert!
Niedertracht! Lumpenproletariat! Stasi! Sie sind eine Schande für
Deutschland!“
Alles klar. Schande. Nur, wer denn jetzt? Das Lumpenproletariat, das
Stasi-Pack, die Niederträchtigen oder alle auf einmal? Auch wäre
interessant zu wissen, welches Lumpenproletariat überhaupt gemeint ist. Das
der dumpfdeutschen Lumpen, die anderen ans Leben wollen? Oder geht es um
jene, die in Lumpen zu uns kommen, häufig aber da, wo sie zu Hause waren,
gar nicht zum Proletariat gehörten? Tja, in diesem heißen Sommer geht so
einiges verloren: Türen, Kater, Definitionen.
Auch das Anger-Management älterer, vermeintlich weiserer Jahrgänge gibt
wenig Grund zur Hoffnung: Die etwa 60-jährige, mit allerlei buntem Tand
behängte und von einer Blindenbrille verdunkelte Dame in der U-Bahn hätte
selbst Wes Craven, den Schöpfer großer Horrorfilme, erzittern lassen, wäre
er nicht just am selben Tag gestorben. Während sie ihren Krückstock knetet,
keift sie ihre wirre Grusel-Botschaft ins Handy: „Ist doch jut, det der den
Hund erschossen hat! Hätt er die mal jleisch mit erschießen sollen! Scheiß
Türkin, die Schnepfe! … Wat? … Nee! Aber dem hamse die Augen ausjestochen!
Direkt rin in die Pupillen! Wat? … Nee! Und stell dir vor, da sacht der zu
mir: Oma, ick will mit dir ficken!“
An dieser Stelle weist offenbar der Telefonpartner darauf hin, dass Madame
sich im öffentlichen Raum befindet, sie greift sich an die dunkle Brille.
„Ach so ja, ick bin ja nich alleene hier … aber jetz mal ehrlich: Det is
doch total respektlos! Da hätt er doch Jeschlechtsverkehr sagen können!“
Man hat eben Sinn für Etiquette.
3 Sep 2015
## AUTOREN
Pia Frankenberg
## TAGS
Schwerpunkt Pegida
Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)
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