# taz.de -- Geheimdienste in Großbritannien: Zwei Jahrzehnte lang bespitzelt | |
> Die Literatur-Nobelpreisträgerin Doris Lessing wurde lückenlos überwacht | |
> – wegen ihrer kommunistischen Ansichten. Sie war nicht die Einzige. | |
Bild: Lückenlose Überwachung durch den britischen Geheimdienst. Die Schriftst… | |
Dublin taz | Der britische Geheimdienst MI5 hat die | |
Literatur-Nobelpreisträgerin Doris Lessing 21 Jahre lang lückenlos | |
überwacht. Das geht aus Akten hervor, die am Freitag vom Nationalarchiv | |
veröffentlicht wurden. „Ihre kommunistischen Sympathien, die an Fanatismus | |
grenzen, sind durch ihre Erziehung in Rhodesien entfacht worden“, heißt es | |
in einem Eintrag von 1952. | |
Lessing wurde 1919 im Iran geboren und wuchs in Südrhodesien, dem heutigen | |
Simbabwe, auf. Dort traf sie Anfang der vierziger Jahre den deutschen | |
Kommunisten Gottfried Lessing. Die beiden heirateten 1944. Die Hochzeit sei | |
ihre „revolutionäre Pflicht“ gewesen, sagte sie. | |
Die Ehe wurde fünf Jahre später geschieden, aber Doris Lessing, geborene | |
Tayler, behielt den Nachnamen ihres Ex-Mannes bei. Der zog 1949 nach | |
Großbritannien, ließ sich aber ein Jahr später in Ost-Berlin nieder und | |
trat der SED bei. Lessing, ein Onkel Gregor Gysis, starb 1979 bei den | |
Aufständen gegen Idi Amin in Uganda, wo er als Botschafter der DDR tätig | |
war. | |
Doris Lessing zog 1949 ebenfalls nach Großbritannien. Der MI5 hatte damals | |
das Büro der Kommunistischen Partei Großbritanniens im Covent Garden | |
verwanzt. Dabei kam den Spitzeln der Name Lacey zu Ohren. Es dauerte eine | |
Weile, bis sie merkten, dass sie sich verhört hatten: Gemeint war Doris | |
Lessing. Von diesem Zeitpunkt ab wurde ihr Telefon abgehört, ihre Post | |
geöffnet, ihre öffentlichen Auftritte und Reden protokolliert. | |
## Überwachung in Moskau | |
Der Auslandsgeheimdienst MI6 sprang den Kollegen vom Inlandsdienst zur | |
Seite und überwachte Lessing sowie andere Schriftsteller 1952 bei einem | |
Besuch in Moskau. „Koloniale Ausbeutung ist ihr Lieblingsthema“, schrieb | |
der MI6, „und sie ist in ihren Äußerungen fast so verantwortungslos wie | |
(Name geschwärzt), denn sie sagt, alles Schwarze sei wundervoll, während | |
alle weißen Menschen und Dinge bösartig seien.“ | |
Der Verfassungsschutz unterrichtete den MI5 1956, dass Lessing, „eine Frau | |
von rundlicher Figur“, in die Warwick Street umgezogen sei. „Die Wohnung | |
wird oft von Personen unterschiedlichster Nationalität besucht, darunter | |
Amerikaner, Inder, Chinesen und Neger“, steht in dem Bericht. „Es ist | |
möglich, dass die Wohnung für unmoralische Zwecke benutzt wird.“ | |
Die britischen Schnüffler teilten ihre Erkenntnisse mit den Kollegen in | |
Südafrika und Rhodesien, so dass Lessing 1956 in beiden Ländern | |
Einreiseverbot erhielt. Im selben Jahr trat sie aus Protest gegen die | |
Niederschlagung des ungarischen Aufstands aus der Kommunistischen Partei | |
aus. | |
Die Überwachung aber ging weiter. So notierten die Agenten 1960 besorgt, | |
dass Lessing an der Gründungsversammlung der ersten britischen | |
Friedensbewegung, dem Committee of 100 des Literatur-Nobelpreisträgers | |
Bertrand Russell, teilgenommen habe. | |
## Gesetz für Informationsfreiheit gilt nicht | |
Neben Lessing bespitzelten die Geheimdienstler auch den Schriftsteller JB | |
Priestley, den Musiker Benjamin Britten und den Schauspieler Michael | |
Redgrave, der gemeinsam mit den späteren KGB-Spionen Guy Burgess und | |
Anthony Blunt in Cambridge studiert hatte. Die Agenten waren hellhörig | |
geworden, als sich Redgrave nach einer Hamlet-Aufführung in Moskau mit | |
Burgess getroffen hatte, wie aus den jetzt veröffentlichten Papieren | |
hervorgeht. | |
Die Akten wurden zuvor vom MI5 durchkämmt, manche Passagen wurden entfernt | |
oder geschwärzt. Es gibt keine Richtlinien, wie lange Geheimakten unter | |
Verschluss bleiben müssen. MI5 und MI6 unterliegen nicht dem Gesetz für | |
Informationsfreiheit. Der MI5 überstellt hin und wieder Papiere ans | |
Nationalarchiv, der MI6 hat seit seiner Gründung 1909 keine einzige Akte | |
freigegeben. | |
Im November 1962 heißt es in Doris Lessings Akte: „Man weiß, dass sie ihre | |
linksextremen Ansichten beibehalten hat und dass sie als ausgesprochene | |
Gegnerin rassischer Diskriminierung an afrikanischen Angelegenheiten | |
interessiert ist. In jüngster Zeit hat sie sich der Kampagne für | |
Atomabrüstung angeschlossen.“ | |
Das war der letzte Eintrag in ihrer Akte. Bis zu ihrem Tod 51 Jahre später | |
wurde sie vom MI5 nicht mehr behelligt. 2007 erhielt sie den | |
Literaturnobelpreis. Doris Lessing starb 2013 im Alter von 94 Jahren in | |
London. | |
21 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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