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# taz.de -- Literaturnobelpreis für Doris Lessing: Krönung einer Rebellin
> Die britische Schriftstellerin Doris Lessing erhält in diesem Jahr den
> Literaturnobelpreis. "Das ist wie ein Royal Flush beim Pokerspiel", sagt
> die 87-jährige.
Bild: Wurde gegen ihren Willen zum Inbegriff des Feminismus: Doris Lessing.
Irgendwie ist es eine schöne Nachricht. Eine freundliche, eine gute
Entscheidung. Und das nicht nur für viele Frauen, die älter als 45 sind.
Sie sei eine "Epikerin weiblicher Erfahrung", heißt es in der Begründung
der Schwedischen Akademie, "die sich mit Skepsis, Leidenschaft und
visionärer Kraft eine zersplitterte Zivilisation zur Prüfung vorgenommen
hat". Das alles stimmt. Ob wir es tatsächlich mit einer meisterhaften
Schriftstellerin zu tun haben, darf bezweifelt werden.
Aber im Fall Doris Lessings ist das gar nicht wichtig. Wichtig ist, dass
sie da war und noch da ist. Und dass sie mit ganzem Herzen und aufmerksamen
Bewusstsein lebt.
"Das goldene Notizbuch" kam für mindestens zwei Frauengenerationen gleich
nach "Pippi Langstrumpf" und "Die rote Zora". Zusammen mit Simone de
Beauvoirs "Mandarins von Paris" und Marilyn Frenchs "Frauen" bildete es die
heilige Bibeldreifaltigkeit der Frauenbewegung.
Und wenn wir heute das Anfang der Sechzigerjahre geschriebene und auf
Deutsch erst 1978 erschienene Buch durchblättern, müssen wir uns
tatsächlich wundern, wie tapfer wir dereinst waren. Es ist furchtbar
kompliziert, umständlich, manchmal unerträglich kolportagehaft und
einigermaßen verwirrend geschrieben, weil es auf fünf Ebenen stattfindet
und nicht linear erzählt, aber genau das galt als modern, für manche
Kritiker gar als Durchbruch in eine neue Dimension.
"Das goldene Notizbuch" liest sich wie ein Dokument jener "zersplitterten
Zivilisation", und wie kaum eine andere Schriftstellerin des 20.
Jahrhunderts ist Doris Lessing ihre weibliche Verkörperung. Geboren 1919 im
persischen Kermansha, erlebt sie eine, wie sie später sagt, wunderbare
Kindheit im afrikanischen Rhodesien (heute Simbabwe). Sie lernte schießen
und jagen, und schrieb als junges Mädchen zwei Romane, die sie später nicht
mehr entziffern konnte - zum Glück für sie und für uns, wie sie selbst
einräumt.
Sie heiratete zum ersten Mal und bekam zwei Kinder, "die nach der Scheidung
bei dem Vater blieben", heißt es merkwürdig karg in den Biografien. Aus
zweiter Ehe mit dem deutschen Kommunisten Gottfried Lessing ( dessen
Schwester Irene die Mutter von Gregor Gysi ist) hat sie einen Sohn, mit dem
sie 1949 nach London ging. Sie selbst bezeichnet sich als eine "kritische
Kommunistin" in dieser Zeit, die sich mit Schreiben mehr schlecht als recht
über Wasser hielt. Aber gleich mit ihrem ersten Roman "Afrikanische
Tragödie", der 1950 erschien, hatte die Alleinerziehende Erfolg. Dies war
ein anderes Afrika als jenes von englischen Reisenden oder Kolonialherren,
die ironisch über ihresgleichen und mehr oder wenig abfällig über die Neger
schwadronierten.
Man muss sich Doris Lessing als eine kämpferische Idealistin vorstellen,
die den Rassismus des kolonialen Afrikas unerträglich fand, aber sich vor
allem auch sehr intensiv mit dem Zusammenleben von Mann und Frau
beschäftigt. Dies tat sie sehr ausführlich in ihren beiden Roman-Serien
"Children of Violence" (Kinder der Gewalt) - die das weibliche Leben im
individuellen Kampf zwischen Familie und Selbstverwirklichung inmitten von
drei (!) Weltkriegen beschreibt.
Auch wenn sie immer wieder das weibliche Leben thematisierte, widerstrebte
ihr doch die Vereinnahmung durch den Feminismus - vielleicht, weil sie
selbst zu dem Zeitpunkt, als die bewegten Frauen ihre Bücher lasen, schon
wieder ganz woanders war. Schon Mitte der Sechziger hatte sie angefangen,
sich mit dem Sufismus, einer mystischen, vorislamischen
Religionsphilosophie, zu beschäftigen. Der afghanisch-schottische Autor
Idries Shah wurde ihr Lehrer für einen sanften und liberalen Sufismus,
lange bevor er hier Mode wurde. Anfang der Achtzigerjahre war sie völlig
vereinnahmt von der Angst vor einem Atomkrieg und empfahl in Interviews
immer wieder jedem, sich einen atomsicheren Bunker zu bauen. Zu der Zeit
erschien ihre Science-Fiction-Serie "Canopus in Argos: Archive" - nahezu
unlesbare und sehr moralisierende fünf Romane, die C. G. Jung und Sufismus
miteinander vermengten und gleichzeitig das Einhalten kosmischer Gesetze
einklagten, die das ideale Zusammenleben der Geschlechter beschrieben.
Dieses Modell war allerdings so kompliziert, dass sich auch die
gutwilligste Lessing-Verehrerin nicht daran halten konnte.
In einem Spiegel-Interview von 2003 zeigt sich die heute 87-jährige
Kosmopolitin immer noch sehr wach und sehr kämpferisch. Sie berichtet
amüsiert davon, wie Henry Kissinger sie Ende der Fünfzigerjahre besucht
hatte und eine Realpolitik predigte, die George W. Bush heute praktizierte.
Von ihr sei er enttäuscht gewesen, er habe sie für eine naive Gutmenschin
gehalten. Seltsamerweise kritisiert die Irakkriegsgegnerin in diesem
Interview den damaligen englischen Premierminister Tony Blair ganz ähnlich:
Er sei ein Blumenkind aus den sechziger Jahren, einer von denen, die an
Mantras glaubten und einem gedankenlosen Optimismus anhingen. "Hirnloser
Idealismus", schimpft sie. Sie hat über fünfzig Bücher geschrieben.
Entsprechend der neuen Strategie der Jury bekommt sie den Nobelpreis für
ihr Lebenswerk.
11 Oct 2007
## AUTOREN
Renée Zucker
## TAGS
Großbritannien
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