# taz.de -- Regierungskrise in Libyen: Premier droht mit Rücktritt | |
> Die vom Westen anerkannte Regierung ist hilflos gegenüber den Nöten der | |
> libyschen Bevölkerung. In Genf versucht die UNO zu vermitteln. | |
Bild: Libyens Premier in Nöten: Abdullah Thinni. | |
BERLIN taz | Abdullah Thinni rutsche entnervt auf seinem Stuhl hin und her. | |
Das stoische Nachhaken des Moderators Mohamed Seidan vom TV-Sender Libyen | |
Kanal machte dem Premier sichtbar zu schaffen. Täglichen Stromausfälle, | |
nicht ausgezahlten Löhne, aber dafür immens gestiegene Lebenshaltungskosten | |
– auf all diese Nöte der Bevölkerung hatte der Regierungschef der | |
international anerkannten libyschen Regierung keine rechten Antworten. | |
Als Seidan das Szenario eines Bürgerprotests gegen das Missmanagement der | |
Regierung entwarf, brach es aus Thinni heraus: „Wenn mein Rücktritt die | |
Lösung ist, tue ich das hiermit, kein Problem.“ Sollte der als | |
führungsschwach geltende liberale Premier am Sonntag tatsächlich seinen | |
Rücktritt einreichen, hätte das politische Chaos in Libyen einen neuen | |
Höhepunkt erreicht. | |
Das im vergangenen Jahr landesweit gewählte Parlament und die | |
Thinni-Regierung hatten sich im Ostlibyen vor der Willkür der Milizen in | |
Tripolis in Sicherheit gebracht. In den Ministerien der libyschen | |
Hauptstadt regieren nun die verbliebenen Abgeordneten des | |
Nationalkongresses und eine von ihnen eigenmächtig eingesetzte Regierung. | |
Thinnis Minister in der Kleinstadt Beida müssen sich mit einer Handvoll | |
Mitarbeitern begnügen. Während beide Regierungen nach Zusammenbruch des | |
Ölexports nur über ein klägliches Notbudget verfügen, haben sich die | |
Milizen dank des Schmuggels zu den wahren Machthabern entwickelt. Ihre | |
Kommandeure importieren immer mehr Waffen mithilfe der mit ihnen | |
verbündeten Golfstaaten, die so ihren Zugriff auf die Bodenschätze wahren | |
wollen. | |
## Kompromissbereite Politiker leben gefährlich | |
Was viele Milizen von Friedensgesprächen halten, die seit Dienstag wieder | |
bei den Vereinten Nationen in Genf stattfinden, machen die zahlreichen | |
Übergriffe auf Politiker klar. Thinni überlebte im Mai einen Mordanschlag | |
nur knapp, als sein gepanzerter Wagen beschossen wurde. Kurz danach musste | |
er sich mit einem Boot vor unbezahlten Milizionären in Sicherheit bringen. | |
Auch in Tripolis leben kompromissbereite Politiker gefährlich. Kämpfer der | |
sogenannten Präsidentengarde stürmten am Wochenende den von Mauern | |
geschützten Kongress, und verletzten Abgeordnete, denen sie Nachgiebigkeit | |
gegenüber der Armee in Ostlibyen, „Karama“ (Würde) vorwarfen. | |
UN-Vermittler Bernadino Leon kann immerhin eine Absichtserklärung | |
vorweisen, die von fast allen einflussreichen Gruppen im marokkanischen | |
Tagungsort Skhirat unterschrieben wurde. Doch die Hardliner in Tripolis, | |
die in Bengasi gegen Islamisten kämpfende Armee und Milizen wehren sich | |
gegen eine mögliche Regierung der Nationalen Einheit, die sie wohl um ihre | |
einflussreichen Positionen bringen würde. | |
## Bürger machen mobil gegen Islamisten | |
Wer eine neue Regierung vor dem „Islamischen Staat“ („IS“) und den Mili… | |
schützen wird, ist aber unklar. Der ehemalige libysche Botschafter in | |
Deutschland, Aly Masednah Kotany, fordert daher ein stärkeres europäisches | |
Engagement. „Kompromisse mit den Milizen werden ein Bumerang für die | |
Sicherheit Europas sei“, sagte er. | |
Die prekäre Sicherheits- und Versorgungslage mobilisiert mittlerweile immer | |
mehr Bürger gegen die Extremisten. Wie in Derna im Osten kam es nun auch in | |
Gaddafis ehemaligen Hochburg Sirte zu Kämpfen mit dem Islamischen Staat. | |
Wie ohnmächtig die libyschen Politiker in diesem Chaos erscheinen, | |
demonstrierte der Sprecher von Premier Thinni, als er von Journalisten auf | |
den Rücktritt seines Chefs angesprochen wurde. Davon sei ihm nichts | |
bekannt, sagte er. | |
12 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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