# taz.de -- Seltene Fächer an Hochschulen: Immer auf die Kleinen | |
> Wenn Unis sparen wollen, trifft es oft seltene Lehrstühle. Eine | |
> Arbeitsgruppe wacht darüber, dass bedrohte Hochschulfächer nicht | |
> aussterben. | |
Bild: Für weitere fünf Jahre finden sich in den Unibibliotheken in Halle und … | |
Wer regelmäßig Nachrichten verfolgt, muss den Orient zwangsläufig mit | |
religiösen Konflikten verbinden: Muslime jagen Kopten, armenische Christen | |
und Türken streiten sich über den Begriff Genozid, von konfessionellen | |
Überwerfungen ganz zu schweigen. Über die Wurzeln religiöser Konflikte wird | |
an der Universität Halle-Wittenberg seit Jahrzehnten gelehrt. Am Seminar | |
für Christlichen Orient und Byzanz lernen die StudentInnen die Literatur, | |
Kultur und Religion der sechs christlich-orientalischen Völker kennen – und | |
die historischen Gründe für die Grenzen des friedlichen Nebeneinanders. | |
Heute ist das Institut bundesweit einzigartig. Seit 1997 wurden drei | |
Hochschul-Standorte geschlossen, zuletzt in Tübingen. Für das Fach | |
„Christlicher Orient“ gibt es an deutschen Universitäten nur mehr eine | |
ordentliche Professur. Das zeigt eine Langzeitstudie der Arbeitsstelle | |
Kleine Fächer an der Universität Mainz, die heute vorgestellt wird. | |
119 Fächer stehen unter Beobachtung, 14 sind wie das Fach Christlicher | |
Orient mit nur einer Professur akut vom Aussterben bedroht. Beobachtet | |
werden jene Fächer, die höchstens drei Professuren haben, aber einen | |
eigenständigen Studiengang bilden. „Die Professuren- und Standortzahlen | |
sind insgesamt weitgehend stabil geblieben“, erklärt Projektleiterin | |
Mechthild Dreyer der taz. | |
Dass einzelne Fächer stark geschrumpft oder wie die Niederdeutsche | |
Philologie für immer von der deutschen Hochschullandschaft verschwunden | |
sind, konnten jedoch weder die Mainzer Artenwächter noch ihre Vorgänger in | |
Potsdam verhindern. Die Arbeitsstelle dokumentiert lediglich die | |
Entwicklung bedrohter Fächer. | |
## Kampf um zusätzliche Mittel | |
Dass man das Fach Christlicher Orient in Deutschland heute noch studieren | |
kann, ist Udo Sträter zu verdanken. Der Rektor der Universität | |
Halle-Wittenberg weigerte sich im vergangenen Jahr, die ministeriellen | |
Sparvorgaben aus Magdeburg umzusetzen. Da die Schließung wichtiger | |
Institute für ihn ebenso wenig in Frage kam wie die Streichung kleiner | |
Fächer, musste er zusätzliche Gelder einwerben. | |
Für die Orient-Professur, die seit drei Jahren vakant ist, hat Sträter | |
soeben einen Finanzier gefunden. Ab kommendem Wintersemester wird die | |
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), und damit die öffentliche Hand, die | |
Kosten des Lehrstuhls für fünf Jahre tragen. „Ein Glücksfall“, freut sich | |
Rektor Sträter. | |
Das Ringen um Sparvorgaben und öffentliche Drittmittel in Halle bringt das | |
Kernproblem der kleinen Fächer auf den Punkt: Die Hochschulen brüsten sich | |
gerne mit dem Alleinstellungsmerkmal eines seltenen Fachs. Nur wollen sie | |
dafür keine Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen. In der Regel haben kleine | |
Fächer wenig Studierende und Absolventen und werben kaum Drittmittel ein. | |
Damit gelten sie als bilanzschwach. Da die Hochschulen für leistungsstarke | |
Fächer aber mehr Gelder von den Länderministerien überwiesen bekommen, sind | |
kleine Fächer bei Sparplänen schnell unter Rechtfertigungsdruck. | |
## Hoffnung auf den Bund | |
Für das Fach Christlicher Orient waren in den letzten Jahren nie mehr als | |
50 Studierende eingeschrieben. „Seit Jahren müssen wir dafür kämpfen, dass | |
unser Fach nicht geschlossen wird“, bestätigt Armenuhi Drost-Abgarjan, die | |
in Halle Armenische Sprache und Literatur lehrt. Seit 2011 ist sie | |
außerplanmäßige Professorin am Orient-Institut, davor hatte sie eine | |
Gastprofessur inne, bezahlt vom Deutschen Akademischen Austauschdienst | |
(DAAD). „Die Universität will kein Geld für den Lehrstuhl ausgeben“, ist | |
Drost-Abgarjan überzeugt. Tatsächlich schrieb die Hochschulleitung die | |
ordentliche Professur erst dann neu aus, als klar war, dass ihr Budget für | |
die nächsten fünf Jahre entlastet würde. | |
Ob Bund und Länder verpflichtet sind, exotische Fächer zu schützen, wird | |
kontrovers diskutiert. Die Hochschulen sehen den Bund in der Pflicht. Zwar | |
müssten sich kleine Fächer wie alle anderen auch dem Wettkampf um | |
öffentliche Forschungsprojekte stellen, erklärt die | |
Hochschulrektorenkonferenz (HRK) in einer Empfehlung für kleine Fächer. | |
Gleichzeitig spricht sich die HRK dafür aus, kleine Fächer von der | |
leistungsorientierten Mittelvergabe auszunehmen, und zusätzlich mit | |
Bundesmitteln zu fördern. | |
Davon will das Bildungsministerium jedoch nichts wissen: „Die Verantwortung | |
für die Fächer selbst und ihre Professuren liegt bei den Hochschulen und | |
den Ländern“, heißt es auf Anfrage der taz. Die Kartierung durch die | |
Mainzer Arbeitsstelle habe bereits dazu beigetragen, dass die kleinen | |
Fächer „mehr ins Bewusstsein“ gekommen seien. | |
Ob die Mainzer Arbeitsstelle auch in Zukunft noch alle 119 gefährdete | |
Fächer beobachten können wird, hängt von Fürsprechern wie Rektor Sträter ab | |
– und einer offenen Debatte über die leistungsorientierte | |
Hochschulfinanzierung. | |
14 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
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