| # taz.de -- Straßentheaterstück „Wir waren nie weg“: Pokern mit enttarnte… | |
| > Zwischen NSU und Oktoberfest-Attentat: Die Regisseurin Christiane Mudra | |
| > erkundet in München Orte rechtsextremer Gewalt. | |
| Bild: Mit Ku-Klux-Klan-Hauben: Szene aus dem Straßentheaterstück „Wir waren… | |
| Was will der Mann in Springerstiefeln? Einen schwarzen Hut tief ins Gesicht | |
| gezogen und im wehender Mantel, streift er wie ein Cowboy die Straße | |
| entlang, studiert einen Stadtplan von München, befragt Passanten. Ich stehe | |
| vor der Trappentreustraße 4, München-Westend. Hier wurde Theodor | |
| Boulgarides erschossen, das siebte Opfer des NSU. Und vorher ausspioniert. | |
| „Es gibt keine Netzwerke und es gibt ihn nicht, er ist eine Fata Morgana. | |
| Kapiert?“, schreit mich der Verfolger des ersten Mannes an, mit Hut und | |
| Reitstiefeln auffallend gekleidet. Das hier ist Straßentheater und | |
| politische Erinnerung. | |
| Der Schauspieler wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht und winkt mich um | |
| die Ecke. 50er-Jahre Bau, Landsberger Straße 103, links Dirndlladen, rechts | |
| Asiaimbiss, vorbeirasende Autos, Asphaltwüste. „Hier lebte 2003 die WG des | |
| Rechtsterroristen Martin Wiese, Nazigröße, Freies Netz Süd, kürzlich erst | |
| verboten. Sagt Ihnen das was?“ Meine Antwort wartet er nicht ab. | |
| „Einzeltäter, Einzeltäter, Einzeltäter“, brüllt er und marschiert davon… | |
| einem Zeitungskasten bleibt er stehen, zieht eine Akte heraus. „Es gab | |
| Videoaufzeichnungen“. Er hält mir ein körniges Bild von Mundlos und | |
| Böhnhardt hin: „Hätten die das Video 2004 mal richtig ausgewertet.“ | |
| Wir müssen weiter und springen in die Straßenbahn, zwei Stationen. Vor uns | |
| liegt die Wiesn. Bierzelte werden aufgebaut, Marstall, Schottenhammel, | |
| Bräurosl. Heile Münchner Gemütlichkeit. Bis es 1980 damit vorbei war. Neben | |
| dem Eingang rostet seitdem ein Denkmal für die Opfer des | |
| Oktoberfestattentats vor sich hin. Platzer, Schiele, Vestner, zwölf Namen. | |
| Das beachtet sonst niemand, aber heute ist es anders. | |
| Denn genau das ist das Verdienst des Stücks „Wir waren nie weg“ der | |
| Regisseurin Christiane Mudra: Zeitgeschichte an realen Orten zum Leben zu | |
| erwecken und den Zuschauer so tiefer zu berühren, als es ein Medienbericht | |
| oder ein Buch können. Mudra hat für den Text aufwändig recherchiert. Das | |
| Ergebnis ist eine Collage aus Zitaten aus dem NSU-Prozess und | |
| Untersuchungsausschüssen, Veröffentlichungen von Staats- und | |
| Verfassungsschützern und Auszügen aus rechtsextremen Propagandaschriften | |
| und Fanzines. | |
| ## Bavarian Law and Order | |
| Ein Bote drückt mir eine Zeitung in die Hand. „Gundolf Köhler, Anhänger der | |
| Wehrsportgruppe Hoffmann: Einzeltäter oder Massenmörder?“ Schon | |
| beschwichtigt der Sheriff. Dickes Grinsen, Stoppelbart, Sonnenbrille, | |
| Cowboystiefel – Bavarian Law and Order. „Die Darstellung, der bayerische | |
| Innenminister habe ein Verbot der Wehrsportgruppe Hoffmann nicht gewollt, | |
| ist völlig unzutreffend“, parodiert er Strippenzieher Langemann, zentrale | |
| Figur im bayerischen Machtzentrum zur Zeit des Anschlags. | |
| Ein Flugblatt wird mir in die Hand gedrückt: Die Bundesanwaltschaft hat im | |
| Dezember 2014 die Ermittlungen wieder aufgenommen. Da war Langemann schon | |
| zehn Jahre tot.Ich habe keine Zeit zum Lesen, sondern muss den schwarzen | |
| Männern hinterher, die sich auf dunkle Fahrräder schwingen. Zwei Radfahrer, | |
| wie sie eine Zeugin nach dem Mord an Ismail Yașar 2005 in Nürnberg in der | |
| Nähe seines Dönerladens sah. Lange glaubte ihr keiner. Und wieder schwäbelt | |
| der Sheriff alle Untersuchungspannen weg: allenfalls | |
| „Verschwörungstheorien, Hirngespinste.“ Und schiebt die fatale | |
| Fehleinschätzung des Verfassungsschutzes von 2004 hinterher: | |
| Feierabendterorristen allenfalls, aber keine rechtsterroristischen | |
| Strukturen. | |
| ## Sheriff schwadroniert sich in Rage | |
| Weiter geht die Tour zu Fuß. Eintritt in eine Ladenwohnung in der | |
| Herzog-Heinrich-Straße. „Hereinspaziert“, kreischt eine dekolletierte | |
| Wirtin im breiten Bayerisch. Eine Holztheke und ein Tisch mit vier Stühlen. | |
| Die Thekenfrau ledert los: „Der Ewald hat mich manchmal mit ins P1 | |
| genommen.“ Wir sitzen in dem Raum, in dem Ewald Althans, berüchtigter | |
| Rechtsextremist, Anfang der 1990er-Jahre zwei Jahre lang mit der | |
| neonazistischen AVÖ, Amt für Volksaufklärung und Öffentlichkeitsarbeit, | |
| hetzte und Personen wie den Nazi Ernst Zündel und den Holocaust-Leugner | |
| David Irving um sich scharte. | |
| Eine Frau legt am Tisch ein Pokerspiel. Auf jeder Karte ein enttarnter | |
| NSU-V-Mann: Treppe, Tobago, Tassilo, Küche, Tristan. „Staatsmacht, | |
| Staatssicherheit, Sssstswohl ...“, schwadroniert sich der Sheriff in | |
| Strauß-Stoiber’scher Manier in Rage: „Dieser Staatswohlgedanke führt dazu, | |
| dass die Preisgabe von Namen verweigert wird.“ Die Kartenspielfrau beginnt | |
| zu singen, auf türkisch. Es ist die Melodie der deutschen Nationalhymne. | |
| 23 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Annette Walter | |
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