# taz.de -- Massive Open Online Courses in der Krise: „Ernüchterung ist eing… | |
> Die ersten Unis kehren Moocs den Rücken. Zu Recht, meint der Präsident | |
> der University of Southern California. Dennoch gibt er Moocs eine zweite | |
> Chance. | |
Bild: Von überall auf der Welt in die Uni – so funktionieren Moocs. | |
taz: Mr. Nikias, vor zwei Jahren sprach alle Welt von Massive Open Online | |
Courses, kurz Moocs. Es hieß sogar, die kostenlosen Universitätskurse | |
würden die klassische Uni umkrempeln. Das glaubt heute niemand mehr, oder? | |
Max Nikias: Es gab einen großen Hype um Moocs. Wenn man sich die | |
Statistiken aber anschaut, dann beenden bis zu 98 Prozent der Teilnehmer, | |
die sich für einen Mooc einschreiben, diesen nicht. Viele brechen schon | |
nach wenigen Wochen ab. In Bezug auf Moocs ist in den Vereinigten Staaten | |
Ernüchterung eingekehrt. | |
Haben Sie diese Entwicklung vorhergesehen. Ihre Hochschule, die University | |
of Southern California, hat nie Moocs angeboten. | |
Niemand konnte vorhersehen, wann die Mooc-Blase platzen würde. Aber sie | |
hatte Ähnlichkeiten mit der Blase der Dot-Com-Ära in den 90ern. Auch damals | |
war jeder begeistert und legte sich eine eigene Webseite zu. Aber die | |
Anzahl der Klicks auf diesen Seiten ließ sich nicht unmittelbar in | |
geschäftlichen Erfolg ummünzen. Genauso ist es mit Moocs. Mir war von | |
Anfang an unklar, welchen zusätzlichen geschäftlichen Nutzen sie haben. | |
Warum sollte die Universität von Southern California mit ihrer guten | |
akademischen Qualität ein Start-up wie Coursera beauftragen, unsere Kurse | |
mit unseren Professoren online anzubieten? | |
Der Präsident der Stanford Universität John Hennessy meinte damals, mittels | |
Moocs könnten mehr Leute an Hochschulbildung partizipieren und höhere | |
Abschlüsse erlangen. Warum erfüllte sich diese Hoffnung nicht? | |
Ja, die Moocs-Bewegung wollte breitere Bevölkerungsschichten erreichen. | |
Aber universitäre Bildung heißt ja nicht nur Informationen zu bekommen. Es | |
geht um den Austausch mit Professoren und anderen Studenten, darum sich zu | |
respektieren und zu interagieren. Der Bildungsprozess ist also ein viel | |
umfassenderer. Wenn man sich das Internet anschaut: Seit über einer Dekade | |
können die Menschen sich über nahezu jedes Thema jederzeit informieren. | |
Doch ist die Bevölkerung deshalb gebildeter? | |
Was denken Sie? | |
Ich denke nicht. Eine Online-Vorlesung anzubieten heißt also noch nicht, | |
Bildung anzubieten. | |
Dennoch bietet auch Ihre Universität Onlinevorlesungen an. Was ist der | |
Unterschied? | |
Wir bieten kostenpflichtige Onlinevorlesungen für Master-Studierende und im | |
Bereich Weiterbildung an. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt; wer sich | |
einschreiben will, muss unsere Zulassungsvoraussetzungen erfüllen. | |
Welche sind das? | |
Man muss bereits einen akademischen Abschluss nachweisen und braucht einen | |
Notendurchschnitt von mindestens 3,3. | |
Wie viel kostet ein Kurs? | |
Ein Master über eineinhalb Jahre kostet ungefähr 30.000 Dollar. | |
Also etwa die Hälfte dessen, was man zahlt, wenn man ein Jahr regulär an | |
der University of Southern California studiert. | |
Ja. Die Lebenshaltungskosten entfallen. Aber wir legen an unsere | |
Onlinekurse die gleichen akademischen Standards an. Wir sind nicht bereit, | |
da Abstriche zu machen. Und wer die Vorlesung online live verfolgt, kann | |
Fragen stellen wie jeder andere Student in der Klasse. | |
Das funktioniert also wie eine normale Vorlesung. Weil man die Zahl der | |
Teilnehmer begrenzt? | |
Genau. Man könnte 1.000 Zuschauer haben. Aber in unseren virtuellen | |
Klassenzimmern sitzen 30 bis 50 Studenten – aus allen Teilen der Welt. | |
Wie hoch ist die Abbrecherquote? | |
Nahezu alle unserer Teilnehmer machen einen Abschluss. Das ist doch leicht | |
erklärbar. Die Studierenden sind sehr motiviert, sie müssen für den | |
Abschluss bezahlen. Wenn jemand abbricht, dann auch gesundheitlichen | |
Gründen. | |
Nahezu jede Sekunde bricht ein Student in den USA sein Studium aus | |
finanziellen Gründen ab, schreibt der Economist. An Ihrer Universität | |
nicht? | |
In den USA gibt es 4.000 Colleges und Universitäten. Hinzu kommen noch die | |
Onlineuniversitäten. Meine Universität ist eine der führenden privaten | |
Forschungsuniversitäten, wir wählen unsere Studenten gezielt aus. Sie sind | |
sehr qualifiziert und sehr ehrgeizig. Deshalb sind unsere Abbrecherquoten | |
gering. | |
Der Republikaner Paul Ryan sprach von einer College-Krise, weil Millionen | |
nach dem Studium hoch verschuldet sind. Sind die Gebühren zu hoch? | |
Es stimmt, dass Gebühren und die Studiendarlehen steigen. Ein Grund ist: | |
Die Kosten für Informationstechnologie steigen. Ich gebe pro Jahr 200 | |
Millionen für den IT-Bereich aus. Auch die Infrastruktur kostet. Und | |
natürlich stehen wir im Wettbewerb mit anderen Unis und müssen in die | |
Fakultäten investieren. Aber die durchschnittliche Verschuldung pro Student | |
beträgt in den USA 23.000 Dollar. Das geht. | |
Sie sehen das nicht als Problem? | |
Nicht für unsere Studenten. Die Zahlungsausfallrate ist äußerst gering. An | |
den profitorientierten Colleges ist das anders. Dort beträgt die | |
Ausfallrate 50 Prozent. Man kann also nichts verallgemeinern. | |
Die kostenlosen Moocs sollten vor allem unterprivilegierten Schichten den | |
Zugang zu höherer Bildung ermöglichen. Warum ist das nicht passiert? | |
Um Moocs effektiv zu nutzen, braucht man Zugang zu schnellem Internet und | |
zu guter Technologie. Etwas, worüber gerade Menschen aus wenig | |
privilegierten Schichten nicht verfügen. Wer also nimmt tatsächlich an den | |
Moocs teil? Die Statistiken sagen, dass es meist Menschen in | |
Führungspositionen sind, die die Kurse abschließen. Also gut ausgebildete | |
und wohlhabende Menschen. | |
Also profitierten jene, die ohnehin priveligiert sind? | |
Ja, so ist es. | |
Wie sehen Sie die Zunkunft von Online-Bildung? | |
Ich denke, in fünf bis zehn Jahren wird sie einen großen Einfluss in | |
unserer Gesellschaft haben. Es gibt eine große Nachfrage nach Bildung aus | |
allen Schichten der Gesellschaft. Wichtig ist, dass Familien möglichst | |
viele Wahlmöglichkeiten haben. Es mag Familien geben, die entscheiden, dass | |
ihr Kind für seinen College-Abschluss nur online studiert. Oder Familien, | |
die ihre Kinder auf einen Campus schicken. Es ist ihre Wahl. | |
Läuft das nicht auf eine Zwei-Klassen-Bildung hinaus? Wer es sich leisten | |
kann, bezahlt 60.000 Dollar pro Jahr inklusive Studentenleben, die anderen | |
studieren online. | |
Weil Onlinestudierende nicht den teuren physischen Campus nutzen, ist das | |
Studium für sie billiger. Aber derzeit gibt es keine glaubwürdigen | |
Online-Colleges für Bachelor-Studierende. | |
Und die Moocs – werden die aussterben? | |
Die Moocs waren ein Experiment. 80 Prozent aller Experiment gehen schief, | |
aber man kann etwas daraus lernen. Wenn die Technologie besser wird, wenn | |
die vituellen Klassenräume mit den echten verschmelzen, wenn die | |
Interaktion noch besser wird, wird es wahrscheinlich eine zweite Welle | |
geben. | |
Die Zeit war noch nicht reif? | |
Ja, aber in fünf Jahren kann das ganz anders aussehen. Den größten Einfluss | |
wird das lebenslange Lernen haben. Während wir Familien gründen und | |
Karriere machen, werden wir immer wieder zur Schule gehen. Online-Education | |
wird das ermöglichen. | |
1 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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