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# taz.de -- Europa in der Krise: I fear Slovenia
> Mit einem neoliberalen Sparkurs will Slowenien allein aus der Krise
> kommen. Nun verlassen gut ausgebildete junge Leute in Scharen das Land.
Bild: Auf den Straßen flanieren Bürgerinnen und Bürger mit Schirmen in der H…
Ljubljana taz | Es könnte alles so schön sein in der „schönsten Stadt der
Welt“ – so bezeichnet Bürgermeister Zoran Jankovic sein Ljubljana, die
Hauptstadt von Slowenien. Wenn nur die Krise nicht wäre.
Aus dem Slowenischen übersetzt bedeutet der Name der Stadt „die Geliebte“,
zu K. & K. -Zeiten hieß die Ortschaft Laibach, und die Deutsche Botschaft
vor Ort ist bisher anscheinend noch nicht dazu gekommen, diesen
Namenswechsel nachzuvollziehen. Sie nennt sich „Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland Laibach“. Und sitzt man am Marktplatz im Café
Zvedza bei einer Kremsnita, einer dieser köstlichen Cremeschnitten, ist man
fast bereit, dem Bürgermeister Glauben zu schenken.
Hoch oben auf dem Berg thront die herrlich restaurierte Burg über der
Barockstadt mit ihren schnörkeligen Häusern. Auf den Straßen flanieren
Bürgerinnen und Bürger mit Schirmen in der Hand. Ljubljana liegt im Herzen
der „Schweiz des Balkans“, durchflossen von der Ljublijanica, an deren
Ufern sich Café an Restaurant reiht. Ein Disneyland für Touristen,
geschaffen von Bürgermeister Jankovic, in dem weder Nachtbars noch
Cevapcici-Buden Platz haben.
Doch das himmlische Stück Kuchen, das just von einer Koreanerin abgelichtet
wurde, kostet vier Euro. Viele Slowenen müssen sich einen solchen Luxus
derzeit verkneifen. Derweil der Bürgermeister Geld auf seinem Konto hat,
dessen Herkunft er der Korruptionsbehörde bislang nicht erklären konnte. Er
gilt als Gschaftlhuber und hat eine frappierende Ähnlichkeit mit dem
ehemaligen Berliner CDU-Finanzsenator Klaus Landowsky. Von seinen Bürgern
wird Jankovic weiterhin geschätzt, weil er die Stadt am Laufen hält.
## Rücktritt auf Rücktritt
Slowenien, das kleine Land mit zwei Millionen Einwohnern, in dem beinahe
jeder jeden kennt, hat ein Korruptionsproblem. Und Ministerpräsident Miro
Cerar hat Mühe, sein Mitte-links-Kabinett zusammenzuhalten - ein Rücktritt
folgt derzeit dem anderen. Es geht um Korruption, um Plagiatsvorwürfe. Das
einstige EU-Musterland ringt mit den Folgen seiner schwersten Krise seit
der Unabhängigkeit im Jahr 1991. Bankenkrise, Immobilienkrise,
Schuldenkrise - Slowenien hatte es vor zwei Jahren heftig erwischt.
Doch anders als Spanien oder Griechenland wartete das Land nicht darauf,
von der internationalen Troika an die Kandare gelegt zu werden. Stattdessen
legte man sich selbst jenen Kurs auf, der einem sonst aufgezwungen worden
wäre. Ganz der Musterschüler: Staatliche Betriebe wurden verkauft, die
Mehrwersteuer erhöht, und ansonsten hieß es: sparen, sparen, sparen. Die
öffentlichen Gehälter wurden eingefroren, Neueinstellungen ausgesetzt.
Gespart wird seither auch an der Wohlfahrt, am Gesundheitssystem. Das ganze
neoliberale Programm.
Ein Land, auf das Wolfgang Schäuble, der deutsche Bundesfinanzminister, mit
Wohlwollen blicken müsste. Und auch „Anschela“, so nennt man hier halb
spöttisch die deutsche Kanzlerin beim Vornamen. Unlängst war in der
Innenstadt von Ljubljana eine Statue von Angela Merkel zu sehen: in der
Hocke, ihre Notdurft verrichtend.
## Unklare Umstände
Der Flughafen von Ljubljana ist schon verkauft - an die Fraport AG aus
Frankfurt am Main. Und gerade hat die Deutsche Telekom versucht, unter
unklaren Umständen das nationale Telekommunikationsunternehmen zu
schlucken.
Nicht alle Slowenen sind mit dieser Politik einverstanden. So kursiert
derzeit ein You-Tube-Video, das zeigt, wie der EU-Kommissionspräsident
Jean-Claude Juncker den slowenischen Ministerpräsidenten Miro Cerar von
hinten die Augen zuhält, bevor er ihn kumpelhaft in den Arm nimmt. Oder
doch eher väterlich?
Der Ausverkauf des Tafelsilbers, die Sparpolitik und die Unterordnung unter
die europäische Austeritätspolitik rufen sowohl die politisch linken als
auch die rechten Kräfte auf den Plan. Links träumt man von einer Rückkehr
zum jugoslawischen Kollektivismus, rechts von einem Beharren auf nationaler
Unabhängigkeit.
## Kronleuchter, edles Holz
Miro Cerar, der Ministerpräsident, empfängt in seinem Amtssitz. Schwere
Teppiche, Kronleuchter und vor allem edles Holz - Slowenien ist zu sechzig
Prozent von Wald bedeckt. Doch eine florierende Holzindustrie gibt es schon
lange nicht mehr - stattdessen exportiert man Rundholz nach Österreich. Für
viele Slowenen ein Symbol für die Unfähigkeit ihrer Eliten, die den Wald
vor lauter Bäumen nicht sehen.
„Es ist schwierig, eine Koalitionsregierung in Zeiten der Krise zu führen“
sagt Cerar. Er ist Professor für Rechtswissenschaften, ein politischer
Quereinsteiger, so wie sein Finanzminister Dusan Mramor, der Professor für
Wirtschaftswissenschaften ist. An den Professoren ist es derzeit, den
Karren aus dem Dreck zu ziehen, und Miro Cerar erklärt, dass er wisse, wie
das geht: „Die letzten Jahre waren von Chaos geprägt, aber jetzt gibt es
eine Kernstrategie“. Sie lautet: Verkauf der staatlichen Unternehmen,
Reform des Gesundheitswesens und der Pensionskassen.
Cerar spricht darüber, als ob er lieber gar nicht an all das Hauen und
Stechen und Geschrei denken möchte, das da auf ihn zukommen könnte. Von dem
er teils schon umgeben ist. „Es ist nicht leicht, Leute zu finden. Die
Gehälter für Minister sind nicht hoch“, sagt er lakonisch. Und er weiß
auch, dass auf einem schwierigen Posten steht: „Die Erfolge unserer Politik
sind in den Portemonnaies der Menschen noch nicht spürbar.“
## Politische Quereinsteiger
Die Wirtschaft hat sich erholt, es gibt sogar ein kleines Wachstum zu
verzeichnen. Doch die Slowenen stehen unter Schock. Egal, mit wem man
spricht, die Stimmung ist düster. Es scheint, als hätten die Slowenen das
Vertrauen in ihr kleines Land verloren. Eine Regierungsangestellte gibt
unter der Hand zu, dass sie ihre Kinder bereits darauf vorbereitet, das
Land zu verlassen. Sie sollen in den USA oder in Deutschland studieren,
denn in Slowenien, so die Befürchtung, hätten sie keine Zukunft.
Sieht man sich im Land um, erscheint das übertrieben. Die Häuser und
Straßen sind in gutem Zustand, auf ihnen rollen auf Hochglanz polierte
Neuwagen. Der Slowene braucht ein Haus und einen Neuwagen, so scherzt man
abends bei einem Glas Bier, derweil die größte staatliche Brauerei soeben
an Heineken verkauft wurde, und genau das hat der Slowene in der Regel
auch.
In Slowenien gibt es eine pharmazeutische Industrie, moderne und
florierende Automobilzulieferer wie das Hightech-Unternehmen Hidria, das
unter anderem Porsche und Mercedes beliefert. Die Tourismusindustrie kann
Erfolge verzeichnen und wächst. Haupthandelspartner ist nach Österreich die
Bundesrepublik. Es könnte alles so schön sein. Doch das größte Exportgut
der Slowenen sind derzeit gut ausgebildete junge Leute, die in Scharen das
Land verlassen.
## Keine Perspektive
Am Abend trifft sich die alternative Intelligenzia-Szene im Kino Siska,
einem ehemaligen Kino, das jetzt Veranstaltungsort ist. Unlängst gab es
hier eine Performance mit dem Titel „I fear Slovenia“, eine Verballhornung
des offiziellen Tourismusmarketing-Slogans „I feel Slovenia“. Einer von
ihnen ist Mihar B., der mit seinem wirklichen Namen nicht in der Zeitung
stehen möchte.
Er ist nur zu Besuch in Ljubljana, er lebt längst in Berlin. Der ehemalige
Hochschullehrer arbeitet dort in einem Start-Up für 800 Euro. „In Slowenien
habe ich für mich keine Perspektive mehr gesehen. Die Korruption, die
Unfähigkeit der Politiker. Die Universität zahlt nicht nur schlecht - man
muss auch zum Teil monatelang auf sein Gehalt warten“.
Mihar B. erzählt, dass er alles versucht hat. Demonstrieren, politische
Projekte anschieben, sich engagieren im Rahmen von Kunst- und
Kulturprojekten. Doch irgendwann hatte er keinen Nerv mehr und ging - mit
drei Koffern hatte er sich in den Nachtzug nach Berlin gesetzt.
## Reservat für Alternativkultur
Sein Bruder verkaufte derweil seine Eigentumswohnung - er muss die
Studiengebühren für seinen Sohn bezahlen, Harvard.Egal, wen Mihar B. an
diesem Abend trifft, jeder ist schlecht drauf. Und will weg. Nach Berlin
oder gleich in die USA. Mihar B. raucht noch einen Joint, zusammen mit
seinen traurigen Freunden will er später noch in die Metelkova, ein
ehemaliges Kasernenareal, das nun als eine Art Reservat für die
Alternativkultur Ljubljanas fungiert, ein Underground-Disneyland im
Schatten des Museums für Zeitgenössische Kunst.
Dort, in der „Moderna Galerija“ in Ljubljana, ist derzeit eine große
Ausstellung über „Neue Slowenische Kunst“ zu sehen. Sie heißt „From Kap…
To Capital“ – jenes Kunstkollektiv aus dem letzen jugoslawischen Jahrzehnt,
dessen prominentester Teil die Musikergruppe „Laibach“ ist. Gemäß der
Aufassung von NSK sind Nazifaschismus, Kommunismus, Kapital und Konsum
alles dasselbe, nämlich nichts anderes als Totalitarismen.
NSK ist nun im Museum. Doch vielen Slowenen erscheinen die Thesen des
Künstlerkollektivs derzeit sehr aktuell. Schließlich wurde ihr Land gerade
brachial vom Kapitalismus überrollt, angeführt von einem „Key Player“
namens Deutschland. Mihar B. drückt den Joint aus und blickt in die
Abendsonne. „Ich steige ab jetzt aus dem Kapitalismus aus“, sagt er. Und
lacht. Er kann gar nicht mehr aufhören zu lachen.
21 Jul 2015
## AUTOREN
Martin Reichert
## TAGS
Slowenien
Eurokrise
Italien
Haus der Kulturen der Welt
Nordkorea
Deutsche Telekom
Gender
Staat
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