# taz.de -- Bahnfahren in Indonesien: Fifty Shades of Green | |
> Wer mit der „Kereta Api“ quer durch Java fährt, kommt in seltsame | |
> Hafenstädte, sieht viel grüne Landschaft – und ist allein unter | |
> Indonesiern. | |
Bild: Ein Blick in die Ekonomi-Klasse. Die Sitze sind natürlich auch grünlich… | |
Es dürfte kaum einen grüneren Ort auf der Welt geben als Java in der | |
Regenzeit. Laubfroschgrün leuchtende Reisfelder grundieren die gesamte | |
Insel, nur vereinzelt blitzen aus ihnen die Caping auf, die Kegelhüte der | |
Reisbauern. Darüber wuchert es, palmengrün, bambusgrün, bananenstaudengrün, | |
dschungelgrün und Grün ist auch die Farbe der meisten Moscheen. | |
Man hat viel Zeit, sich Indonesiens Hauptinsel anzuschauen, wenn man sie | |
einmal komplett mit dem Zug durchquert, von Jakarta im Nordwesten bis an | |
die Ostspitze, nach Banyuwangi, wo im Halbstundentakt die Fähren nach Bali | |
übersetzen. 27 Stunden Nettofahrtzeit und weit über 1.000 Gleiskilometer | |
sind das, verteilt auf vier Etappen. | |
Nun ist der Zug normalerweise nicht das Mittel der Wahl eines | |
Individualreisenden. Die Erzählung einer stundenlangen Tour im Kleinbus – | |
aus den Boxen laute Musik, auf dem Schoß ein Huhn – gehört zur | |
Backpackerromantik wie Kakerlakenjagden und Durchfall-Survival. Bahn fahren | |
hingegen ist etwas für Menschenscheue wie mich, man kann es machen, ohne | |
ein Wort zu sprechen. Es ist wie im Supermarkt einzukaufen, statt beim | |
Händler zu feilschen. Ein quantifizierbares System mit klaren Regeln und | |
Zeiten. | |
Nebenbei ist eine Bahnreise natürlich auch schneller, sicherer und man kann | |
dabei auch mal aufstehen und herumlaufen. Und was all das Gewese um die | |
„Locals“ angeht, an deren Leben jeder aufgeklärte westliche Reisende | |
unbedingt teilhaben muss: In allen vier Zügen war ich der einzige Weiße – | |
wurde in dieser Rolle aber einfach so zur Kenntnis genommen und nicht | |
bestaunt oder permanent angesprochen. | |
Mit anderen Worten: Zugfahren in Java ist großartig! Die wohl schönste | |
Strecke der „Kereta Api“ (“Wagen Feuer“) führt dabei von Jakarta, dem | |
logischen Einfalltor für alle europäischen Indonesienreisenden, nach | |
Yogyakarta, der entspanntesten Großstadt der Insel, die alles bietet, was | |
das Touristenherz begehrt: einen alten Sultanspalast, einen Vogelmarkt, | |
nette Cafés, alles fußläufig, außerdem in Tagesausflugnähe: das Meer, ein | |
Vulkan und zwei bedeutende Tempelanlagen. Auf dem Weg dorthin passiert die | |
Bahn den Sitz ihrer Hauptdirektion, Bandung, einer Millionenstadt im | |
Talkessel, und die Fahrt über die Bergketten drum herum bieten spektakuläre | |
Blicke. Es ist die wohl schönste Strecke. | |
## Die höchste Reiseklasse heißt „Eksekutif“ | |
Ich aber nehme dieses Mal die Nordroute, ohne zu wissen, was mich dort | |
erwartet – die Zwischenstopps richten sich nach dem Fortbewegungsmittel, | |
nicht umgekehrt. So führt mich meine erste Etappe nach Cirebon, sie dauert | |
nur drei Stunden, mit beinahe hundert Stundenkilometern rollen wir durch | |
die landschaftlich unspektakulären Ausläufer der | |
30-Millionen-Menschen-Metropolregion Jabodetabek. In den „Eksekutif“-Wägen, | |
der besten Reiseklasse, sind die Sitze bequem, die Fußstützen verstellbar, | |
die Klimaanlage ist moderat aufgedreht. Immer wieder kommt das Zugpersonal | |
vorbei und nimmt Bestellungen auf. Das Essen bringen sie direkt an den | |
Platz, auch wenn es einen Speisewagen gibt. Anschließend stellt man das | |
Tablett unter dem Sitz ab, dort wird es vom Personal eingesammelt. | |
Cirebon ist ein seltsamer Ort: eine Hafenstadt, die ihr Meer versteckt, ein | |
Zentrum der Batikindustrie. Das schneeweiße Rathaus zieren vier goldene | |
Garnelen, die einzige Sehenswürdigkeit sind verlassene Sultanspaläste, und | |
an jeder Ecke warten mehrere Fahrradrikscha-Fahrer auf nicht vorhandene | |
Kunden. | |
Am nächsten Vormittag geht die Reise weiter. Wieder drei Stunden, wieder | |
Eksekutif. Vorn im Wagen läuft ein Fernseher so leise, dass nur die ersten | |
Reihen mithören können. Erst gibt es eine Kinderserie mit niedergeschlagen | |
dreinschauenden Lokomotiven, danach die „X-Men“. Draußen ist die Landschaft | |
flach, manchmal fahren wir nur wenige Meter von der Küste der Javasee | |
entfernt. | |
Dann mache ich etwas Ungewöhnliches: Ich lese. Das habe ich auf allen | |
Fahrten sonst nur eine andere Person tun sehen: Ein älterer Mann las in | |
einem Gebetsbuch, als die Abenddämmerung einsetzte und es Zeit für das | |
Maghrib-Gebet war. Wesentlich beliebtere Aktivitäten sind schlafen – das | |
können alle Indonesier, jederzeit, in jeder erdenklichen Körperhaltung und | |
bei allen Licht- und Lärmverhältnissen – und auf dem Handy rumtippen. | |
## Mobiles Internet funktioniert besser als in Deutschland | |
Indonesien gehört zu den Ländern, wo die Stufe des Zuhause-Internets | |
einfach ausgelassen wurde. Inzwischen besitzt ein Viertel der Bewohner ein | |
Smartphone, unter den Menschen, die sich ein Zugticket leisten können, | |
dürfte die Quote deutlich höher sein. Die Infrastruktur trägt dem Rechnung. | |
An fast allen Bahnhöfen finden sich kostenlose Ladestationen, an jeder | |
Sitzbank im Zug, auch in den unteren Klassen, sind zwei Steckdosen | |
angebracht, und meine indonesische Sim-Karte zeigt mir auf der Zugstrecke | |
fast durchgehend gutes 3G-Netz an. Durch Funklöcher fahre ich genau | |
zweimal. | |
So beliebig, wie Semarang zu meinem zweiten Zwischenstopp wurde, sind auch | |
meine Aktivitäten in den anderthalb Tagen dort: In einem Gewerbegebiet am | |
Stadtrand besuche ich das Fabrikmuseum einer Naturheilkräuterfirma, wo mir | |
eine Verkäuferin erzählt, dass sie Scorpions-Fan sei. Ich schaue mir einen | |
Busbahnhof an, eine islamische Universität, die heruntergekommenen | |
Lagerhäuser im kolonial geprägten Bahnhofsviertel und eine große | |
chinesische Tempelanlage. Abends esse ich auf dem Nachtmarkt und höre einer | |
der vielen Exilchinesinnen beim Karaoke zu. Semarang ist eine von neun | |
Millionenstädten auf Java, der bevölkerungsreichsten Insel der Welt mit | |
über 140 Millionen Menschen. Sie drängt sich auf etwas mehr als einem | |
Drittel der Fläche von Deutschland. | |
Nach Malang geht es weiter mit einem Nachtzug der untersten | |
„Ekonomi“-Klasse („Bisnis“ habe ich ausgelassen). Das heißt natürlich | |
nicht, dass wir auf eine Klimaanlage verzichten müssten. Sie ist allerdings | |
auf unter 20 Grad eingestellt, zum Ausgleich ist das Neonlicht die ganze | |
Nacht an. | |
Am nächsten Morgen sieht die Welt ganz anders aus: Hügeliger ist die | |
Landschaft nun, irgendwie auch dschungeliger. Geschlafen habe ich kaum und | |
werde es auch in der kommenden Nacht nicht tun, denn von Malang erreicht | |
man das Hochplateau rund um den aktiven Vulkan Bromo, eine irre | |
Mondlandschaft umgeben von sattgrünen Hängen. Und auf Vulkane fährt man als | |
Indonesientourist grundsätzlich nachts, um den Sonnenaufgang zu sehen. | |
## Atemmasken und Gemüsereis direkt aus der Hand | |
Auch auf der letzten Etappe in die Fährhafenstadt Banyuwangi gibt es nur | |
noch „Ekonomi“-Plätze, und das bedeutet: Wir sitzen zu dritt nebeneinander | |
auf einer Sitzbank ohne Lehnen, ich in der Mitte, in knapp vierzig | |
Zentimetern Abstand ist die gegenüberliegende Bank angebracht. Nach einigen | |
Stunden entdecke ich neue Muskeln an meinem Körper. Vor mir sitzt ein fein | |
gekleidetes älteres Paar, das Enkelkind klopft ihnen alle halbe Stunde vom | |
Sitz dahinter auf den Kopf. Meine Sitznachbarn links und rechts ziehen | |
Atemmasken auf, der rechte holt später Essen aus seiner Tasche, Reis mit | |
Gemüse, das er mit einer Hand verspeist. | |
Als ich zum Speisewagen am anderen Ende des Zuges gehe, stelle ich fest, | |
dass nur die ersten zwei Waggons derart voll besetzt sind. Dahinter ist der | |
Zug praktisch leer. Ich überrasche ein Teenagerpärchen beim Knutschen, esse | |
ein laukaltes Nasi Goreng und hänge mich dann auf eine der leeren | |
Sitzbänke, so wie das alle hier tun. | |
Der Zug zuckelt unfassbar langsam durch die tropenheiße Dunkelheit, er hält | |
in jedem winzigen Ort. Für 200 Kilometer Luftlinie braucht er acht Stunden. | |
Draußen regnet es schon wieder. Ich döse ein wenig. Gleich bin ich am Ziel. | |
Ich möchte noch gar nicht ankommen. | |
22 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Michael Brake | |
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