# taz.de -- Bahnfahren in der Schweiz: Mit der Furkabahn zum Gletscher | |
> Mal ökologisch, mal nostalgisch: Der öffentliche und private Bahnverkehr | |
> in der Schweiz ist bequem, abwechslungsreich und gut vernetzt. Ein | |
> besonderes Erlebnis ist die Fahrt mit der alten Furkabahn. | |
Bild: Die historische Dampflok überquert die Furkapassstraße in der Schweiz. | |
Im Joggingtempo rollt der kurze, fast hundert Jahre alte Zug aus der 1.760 | |
Meter hoch gelegenen Ostwalliser Ortschaft Gletsch bergauf: Der Blick aus | |
dem restaurierten, holzvertäfelten Abteil gibt den Blick frei auf das | |
betonfarbene Wasser der Rhône, die hier dem gleichnamigen Gletscher | |
entspringt. Oberhalb der Zugstrecke flitzen Motorräder und Autos über den | |
Furkapass. | |
Als die Furkabahn 1913 das erste Mal auf derselben Strecke in diese wilde | |
hochalpine Region vordrang, dort, wo die europäische Nordsüdwasserscheide | |
verläuft, konnten die Passagiere noch direkt auf die eisige Zunge des | |
Rhône-Gletschers blicken. Seither hat sich das Eis auf dem Massiv des fast | |
3.600 Meter hohen Berges Dammastock um rund 1,5 Kilometer zurückgezogen - | |
und schmilzt immer schneller. | |
Auf dem Lokführerstand schippen Männer polnische Steinkohle in die | |
Brennkammer, damit sich der Zug mit der Kraft des Wasserdampfs knapp 13 | |
Kilometer über den 2.436 Meter hohen Scheitelpunkt des Furkapasses bis zur | |
Endstation Realp bewegen kann. Verbrauch pro Fahrt: rund zwei Zentner | |
Kohle. | |
Nicht frische Alpenluft, sondern der Kohlegeruch steigt in die Nase. Wirkt | |
das alles nicht wie ein Anachronismus? "Das ist authentisch", sagt Paul | |
Güdel, Marketingchef bei der Dampfbahn Furka-Bergstrecke AG. "Die | |
Emissionen der Bahn sind vergleichsweise geringfügig." | |
Eisenbahnnostalgiker wie ihn fasziniere es, die restaurierten Loks und | |
Waggons auf der historischen Strecke in Betrieb zu halten. Die Fahrt mit | |
der Furkabergbahn - ein durchaus spektakuläres, vornehmlich touristisches | |
Angebot - ist eine Reise in die Vergangenheit und Zukunft zugleich. | |
Anfang der Neunzigerjahre hatten einige Eisenbahnfreaks Jahrzehnte zuvor | |
nach Vietnam verkaufte Dampflokomotiven an ihren Ursprungsort, in die | |
Schweiz, zurückgebracht. Mittlerweile ist ein funktionierender Bahnbetrieb | |
mit hunderten von ehrenamtlichen Mitarbeitern und 7.500 Aktionären | |
entstanden. "Das Selbstverständnis unserer Arbeit ist eine gute | |
wirtschaftliche Entwicklung dieser strukturschwachen Region. Zudem wollen | |
wir das Ehrenamt und die Kulturpflege beleben", erklärt Paul Güdel. | |
Dafür gab es Mitte der Achtzigerjahre gute Gründe: Durch den einst | |
wichtigen Verkehrsknotenpunkt Gletsch südlich des Grimselpasses rollte der | |
berühmte Glacier-Express von 1930 bis 1981. Für Reisende war es | |
unverzichtbar, den Furkapass zu überwinden, wenn sie von Zermatt nach St. | |
Moritz gelangen wollten. | |
Doch mit dem Bau des Furkatunnels änderte sich die Strecke des Expresses - | |
Gletsch fiel in einen Dornröschenschlaf. Erst seit einigen Jahren zieht der | |
Ort dank der alten Eisenbahn immer mehr Touristen an. Das von der Walliser | |
Familie Seiler 1857 erbaute Hotel Glacier du Rhône wurde inzwischen | |
restauriert, im benachbarten Blauen Haus entstanden Ausstellungsräume. | |
Im Keller steht eine kleine Wasserturbine aus dem Jahr 1899. Damals trieb | |
sie Scheinwerfer an, die den Gletscher nachts anstrahlten, damit er blau | |
schimmerte. Das lockte Urlauber an. | |
Da der Gletscher nicht mehr zu sehen ist, kommen heute die meisten | |
Touristen nach Gletsch, um zwischen Juni und Oktober mit der Bahn über den | |
etwa 2.400 Meter hohen Furkapass zu fahren. Im Jahr 2008 zählte das | |
Bahnunternehmen mehr als 25.000 Fahrgäste, die für eine Hin- und Rückfahrt | |
nach Realp 93 Schweizer Franken hinblättern müssen. | |
Ab August 2010 wird der Bahnbetrieb in Gletsch höchstwahrscheinlich wieder | |
an das öffentliche Bahnnetz angebunden: Dann können Zugreisende im | |
Nachbarort Oberwald aus dem neuen Glacier-Express in die Furkabahn | |
umsteigen. Alpentouristen des 21. Jahrhunderts erleben dann, wie | |
ihresgleichen vor 100 Jahren das Furkabergmassiv überwanden, um in die | |
Ostschweiz zu gelangen. | |
Liegt damit die Zukunft der Schweizer Bahn in der Wiederbelebung eher wenig | |
ökologischer Verkehrskonzepte aus der Gründerzeit? Im Gegenteil: Die 15.000 | |
Kilometer Bahnnetz der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) sind zu 100 | |
Prozent elektrifiziert. Zum Vergleich: Die Deutsche Bahn kommt noch nicht | |
mal auf eine Quote von 58 Prozent. | |
Nach Angaben des Heidelberger Instituts für Umwelt- und | |
Wirtschaftsforschung lief der Bahnbetrieb der SBB im Jahr 2005 zu 100 | |
Prozent mit nichtfossilen Brennstoffen. Für Umweltschützer nicht hinnehmbar | |
ist jedoch, dass immerhin ein Viertel des Bahnstroms mittels Atomenergie | |
hergestellt wird. | |
In Österreich oder gar Norwegen fällt die Ökobilanz für die Bahn noch | |
besser aus: In Österreich stammen etwa 85 Prozent der Bahnelektrizität aus | |
erneuerbaren Energien, in Norwegen sind es 100 Prozent. | |
Auf einer Bahnfahrt von Basel nach Luzern belastet ein Reisender die | |
Atmosphäre beispielsweise mit 0,04 Kilogramm Kohlendioxid. So berechnet es | |
der SBB-eigene CO2-Rechner. Viel weniger im Vergleich zu einem mit Benzin | |
betriebenen Auto der Abgasklasse Euro 4, das die Strecke mit vier Personen | |
zurücklegt. Das Auto emittiert 5,4 Kilogramm CO2 pro Person. Der große | |
Unterschied der Klimabilanz beider Verkehrsträger lässt sich unter anderem | |
damit erklären, dass die Bahnen in der Schweiz besonders gut ausgelastet | |
sind. | |
"Etwa 30 Prozent der Schweizer fahren regelmäßig mit der Bahn, in | |
Deutschland sind es circa 15 bis 16 Prozent", sagt Thomas Hoffmann von Rail | |
Away, der Marketingorganisation der SBB. | |
Urlauber aus dem Ausland müssen abwägen, ob sie mit dem Auto oder der Bahn | |
reisen: Diejenigen, die wenige Orte in der Schweiz besuchen wollen und viel | |
Gepäck mitnehmen, werden ein Auto präferieren, nicht nur, weil es | |
praktischer ist, sondern weil auch die Kraftstoffpreise erschwinglicher | |
sind als etwa in Deutschland. Andererseits bietet die SBB den Service an, | |
Gepäck vorab an den Bahnhof des Urlaubsziels zu schicken. | |
Wer allein durch die Schweiz reist und überlegt, ein Auto zu mieten, könnte | |
mit der Bahn entspannter und preiswerter reisen. Denn anstatt sich auf den | |
Straßenverkehr konzentrieren zu müssen, kann man die Natur durch die | |
riesigen Waggonfenster genießen. Selbst die entlegensten Täler erreichen | |
Urlauber mit den gelben Postbussen, die grundsätzlich immer vor dem Postamt | |
in der Nähe des Bahnhofs halten. | |
"Ein Reisender in der Schweiz wird nicht die Erfahrung machen, dass er aus | |
einem Zug steigt und findet keinen Anschluss an den öffentlichen Nah- und | |
Fernverkehr", sagt Thomas Hoffmann. Die Anreize, in der Schweiz Bahn zu | |
fahren, sind also groß: Die Züge vor allem im Städteviereck | |
Basel-Zürich-Luzern-Bern fahren sehr oft. Insgesamt müssen Bahnfahrer | |
höchstens eine halbe Stunde auf Anschlusszüge warten. | |
"Zu jeder vollen und halben Stunde treffen Züge auf den größeren Bahnhöfen | |
ein oder verlassen sie wieder", erklärt Thomas Hoffmann. Dieser | |
Taktfahrplan gilt für die ganze Schweiz. | |
Zudem sind die Umsteigemöglichkeiten komfortabel, die Bahnhöfe - ob nun in | |
den Städten oder in der Provinz - sind meistens neu gestaltet: Egal, ob man | |
im Flughafen in den Zug steigt, oder von der Bahn in den Bus, die Fußwege | |
sind kurz und hindernisarm, zugleich erhält man vom stets höflichen | |
Zugpersonal schnell Auskunft. Menschen mit Handicaps finden in der Regel an | |
jedem Bahnhof einen Aufzug und in jedem Zug zwei Rollstuhlplätze. | |
"Wenn zum Beispiel eine Gruppe von zehn Rollstuhlfahrern Bahn fahren will, | |
brauchen wir eine Anmeldung, damit entsprechende Plätze bereitgehalten | |
werden", sagt Thomas Hoffmann. Extrem breite Türen mit niedrigen Stufen | |
erleichtern das Ein- und Aussteigen. In jedem Zug stehen Fahrradstellplätze | |
bereit. Jedoch kostet die Tageskarte pro Fahrrad 15 Franken. | |
Einziger Nachteil der doppelstöckigen überregionalen Züge, auch in der | |
ersten Klasse: Der Stauraum für Gepäck ist knapp bemessen und es gibt keine | |
Steckdosen für Computer. | |
Der Eindruck, dass das Schweizer Verkehrssystem durchdacht ist, macht auch | |
vor dem Tarifsystem nicht halt: Wer einen Swiss-Pass zweiter Klasse kauft, | |
kann beispielsweise vier Tage lang für 260 Schweizer Franken (168 Euro) | |
oder auch vier Wochen für 578 Schweizer Franken (etwa 373 Euro) das | |
komplette Bahnnetz sowie sämtliche Schiffs- und Busverbindungen der Schweiz | |
so viel nutzen wie er oder sie will. Für die Fahrten mit den Bergbahnen | |
muss jedoch wiederum das Portemonnaie geöffnet werden, Swiss-Pass-Inhaber | |
erhalten aber in der Regel einen Rabatt von 50 Prozent. | |
Der Swiss-Pass bietet auch zahlreiche Ermäßigungen für Hotels und | |
Städteführungen, für 450 Schweizer Museen ist die Eintrittskarte im Preis | |
inbegriffen. Ein weiterer Vorteil: Wer zum Beispiel in Basel den | |
Zentralbahnhof verlässt und direkt mit der Straßenbahn in die Altstadt | |
fahren will, muss nicht hektisch nach Kleingeld suchen und Schweißausbrüche | |
fürchten, weil er am Automaten möglicherweise das falsche Ticket gezogen | |
hat und damit zum Schwarzfahrer wird. Der Swiss-Pass gilt nämlich in allen | |
Schweizer Städten auch für den öffentlichen Nahverkehr. | |
Kaufen Reisende allerdings SBB-Einzeltickets, müssen sie in den Schweizer | |
Städten sehr wohl ein Extraticket für Bus und Bahn am Automaten ziehen. Das | |
gilt ebenfalls für das zu einem Preis von 80 Rappen günstige Erlebnis, mit | |
einer der vier Altstadtfähren über den Rhein von Groß- nach Kleinbasel | |
überzusetzen: Das kleine Boot, geführt an einem an beiden Ufern befestigten | |
Stahlseil, wird ausschließlich von der starken Strömung des Flusses | |
angetrieben. | |
Das wahrscheinlich größte und preiswerteste Vergnügen, sich in der | |
Kulturmetropole Basel fortzubewegen: an heißen Sommertagen spontan ins | |
saubere Wasser des Rheins springen und sich mit der Strömung einige Brücken | |
weit treiben lassen - ein Volkssport unter den Einwohnern Basels. Eigens | |
dafür gibt es wasserdichte "Rheinschwimmsäcke", die in der Basler | |
Innenstadt erhältlich sind. | |
Darin lassen sich die Kleider verstauen und können mit ins Wasser genommen | |
werden. | |
Naturfreunde können das theoretisch auch an der Quelle der Rhône in Gletsch | |
versuchen. Sie sollten abgehärtet sein: Das Gletscherwasser übersteigt auch | |
im Sommer nicht die Temperatur von zehn Grad Celsius, selbst wenn die | |
Sommersonne die Lufttemperaturen durchaus deutlich über 20 Grad Celsius | |
erwärmt. | |
Diejenigen, die kühlen Wind lieben und einen warmen Kakao trinken wollen, | |
sollten den Postbus Richtung Grimselpass nehmen. Auf der Passhöhe auf mehr | |
als 2.100 Meter Höhe sitzen Reisende in den einfachen Gasthäusern und | |
trinken an Resopaltischen Warmgetränke oder genießen die kühle Luft und ein | |
schönes Panorama. | |
Hier oben liegen sogar im Hochsommer noch schmutzige Schneefelder, fünf | |
Grad Außentemperatur im Nebel sind keine Seltenheit. Die Post-Busse legen | |
dort immer eine etwa halbstündige Pause ein - ohne Verzögerung. "Bei kalter | |
Witterung kann man sicher sein, dass die Fahrgäste pünktlich wieder am Bus | |
sind", scherzt der Fahrer. | |
13 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Kai Schlichtermann | |
## TAGS | |
Reiseland Schweiz | |
Eisenbahn | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Bahnfahren in Indonesien: Fifty Shades of Green | |
Wer mit der „Kereta Api“ quer durch Java fährt, kommt in seltsame | |
Hafenstädte, sieht viel grüne Landschaft – und ist allein unter | |
Indonesiern. |