# taz.de -- Personalnot in den Kitas: Kein Spiel mehr | |
> Die Forderung von SPD-Fraktionschef Saleh nach der beitragsfreien Krippe | |
> stößt bei Eltern auf wenig Echo. Sie haben andere Sorgen: Zu wenige | |
> ErzieherInnen. | |
Bild: Muss man drauf aufpassen: Kita-Kind auf Bobbycar. | |
Eine Weile hielten die Eltern still. Doch als die ersten Kinder, die | |
eigentlich schon trocken gewesen waren, wieder Windeln brauchten, schlugen | |
sie Alarm. In einem Brief an Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) klagen | |
die Eltern der Kita Prenzlberger Schwalbennest in der Diesterwegstraße über | |
zu wenig und vor allem überlastetes Personal. | |
Mitunter müssten sich bis zu 15 Kinder – eine komplette Gruppe – die | |
Aufmerksamkeit einer einzigen ErzieherIn teilen. Pädagogische Arbeit? Kaum | |
mehr möglich, sagen die Eltern und schreiben von „Aufbewahrung“ statt | |
sinnstiftender Arbeit am Kind. Teilweise hätten Gruppen sogar zeitweise | |
aufgelöst und die Kinder anderweitig im Haus verteilt werden müssen: „Der | |
äußerste Notfall“, empören sich die Eltern, sei an ihrer Kita „längst d… | |
Regel“. | |
Das Prenzlberger Schwalbennest, ein Betrieb der landeseigenen Kindergärten | |
NordOst, ist mitnichten ein Negativbeispiel – vielmehr zeigt es, wie es um | |
die Betreuungssituation in den Berliner Kitas bestellt ist. | |
## Bundesweit Schlusslicht | |
Die Hauptstadt ist bundesweit Schlusslicht, was den Betreuungsschlüssel für | |
unter Dreijährige angeht: Knapp sieben Kinder kommen laut Statistischem | |
Bundesamt im Schnitt auf eine ErzieherIn, der Bundesdurchschnitt liegt bei | |
rund 4,5 Kindern. | |
Bei den Kindern, die drei Jahre und älter sind, liegt Berlin mit 9,5 | |
Kindern pro ErzieherIn immerhin im Mittelfeld. | |
Neuen Zündstoff in die Debatte über den Personalnotstand in den Kitas | |
bringt derzeit Raed Saleh. Der SPD-Fraktionschef fordert, dass nicht nur, | |
wie bisher, die Kitajahre für die Berliner Eltern beitragsfrei sind – | |
sondern auch bereits die Krippenplätze für die U3-Kinder. „Bildung darf, | |
muss, und soll uns etwas kosten“, sagte Saleh anlässlich des Tags der | |
Kinderbetreuung im Mai. | |
Das sieht auch die Opposition so – allerdings verkenne der | |
SPD-Fraktionschef die Prioritäten, sagt Marianne Burkert-Eulitz, | |
jugendpolitische Sprecherin der Grünen. „Mehr Kitaplätze schaffen und | |
zugleich den Personalschlüssel anheben, das ist jetzt wichtig.“ Durch den | |
Wegfall der Elternbeiträge hätte das Land noch 50 Millionen Euro | |
Mehrkosten, haben die Grünen ausgerechnet. | |
## „Spürbar müder“ | |
Selbst in der eigenen Fraktion will niemand Salehs Vorstoß unterstützen – | |
im Gegenteil: „Ich bin schon der Auffassung, dass Menschen, die gut | |
verdienen, auch einen Beitrag leisten können“, sagte Neuköllns | |
Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey knapp. Grünen-Landeschefin Bettina | |
Jarasch nimmt gar die beitragsfreie Kita ins Visier: „Wir sehen ja, wie | |
sich das auf den Betreuungsschlüssel ausgewirkt hat“, sagte sie am Rande | |
eines Pressegesprächs. | |
Und die mangelnden Ressourcen zeigen wiederum Wirkung bei den Kindern: | |
„Spürbar müder und anhänglicher“, sei ihre Tochter derzeit, sagt | |
Schwalbennest-Elternvertreterin Peggy Matzner. Dabei gehört die vierjährige | |
Valerie schon zu den älteren Kindern. Für unter Dreijährige fordert das | |
Berliner Kitabündnis, ein Zusammenschluss aus Gewerkschaften, Elterngremien | |
und Kita-Trägern, gar einen Betreuungsschlüssel von 1:3. | |
„Unbezahlbar“, prophezeit Kerstin Schmolla, zuständige Fachbereichsleiterin | |
bei den Kindergärten NordOst, der auch das Schwalbennest betreibt. Den | |
Vorwurf der Eltern, der Träger würde die gesetzlich vorgesehenen | |
Betreuungsschlüssel unterlaufen, weist Schmolla indes zurück. Das | |
Kitafördergesetz sieht nämlich für unter Dreijährige maximal sechs Kinder | |
pro ErzieherIn vor, für über Dreijährige dürfen es neun Kinder sein – aber | |
in jedem Fall nicht 15, wie es die Schwalbennest-Eltern in ihrem Brief an | |
die Senatorin schildern. | |
„Wir halten uns natürlich an die gesetzlichen Vorgaben“, sagt Schmolla. Die | |
Sache sei eben etwas komplizierter, als von den Eltern dargestellt: Nicht | |
jedes Kind habe einen Ganztagsplatz, anderen wiederum stünde ein höherer | |
Betreuungsumfang zu, weil sie Integrationskinder sind. Alles in allem passt | |
es am Ende – auf dem Papier. | |
## Krankentage: Nicht vorgesehen | |
Doch sobald ErzieherInnen mal krank sind, geht die Rechnung nicht mehr auf. | |
Denn Krankenzeiten sind in der Personalzumessung nicht berücksichtigt. Eine | |
Vertretung kann der Träger erst nach sechs Wochen ausschreiben. | |
Die Eltern wollen dem Träger nun vorschlagen, Aushilfspersonal über den | |
Landesfreiwilligendienst zu rekrutieren. „Aber die lösen ja nicht das | |
eigentliche Problem“, sagt Schmolla. „Was wir brauchen, sind mehr regulär | |
zur Verfügung stehende Fachkräfte.“ | |
Die sind allerdings nicht so leicht zu bekommen: Laut Prognose der | |
Senatsbildungsverwaltung, fehlen im kommenden Kitajahr Fachkräfte – bis zu | |
800 könnten es sein. | |
5 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Anna Klöpper | |
## TAGS | |
Kinderbetreuung | |
Kindergarten | |
Schule | |
Kita | |
Kita | |
Verdi | |
Herdprämie | |
Kinder | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Senatsprojekt zur Kinderbetreuung: Frau Scheeres schickt ihre Nannys | |
Die Bildungssenatorin will die Betreuung vor und nach den regulären | |
Kita-Öffnungszeiten ausweiten. Das Modellprojekt soll Alleinerziehenden | |
helfen. | |
Qualität der Kindergärten in Deutschland: Eine Fachkraft für 9,3 Kinder | |
Die Betreuung in Krippen und Kitas verbessert sich, ist aber immer noch | |
nicht ausreichend. Es bestehen weiterhin große Unterschiede zwischen den | |
Ländern. | |
Das war die Woche in Berlin I: Leider nur eine Trotzreaktion | |
Der Senat beschließt, die Früheinschulung mit fünf Jahren abzuschaffen. Auf | |
eine flexible Lösung, die Wünsche der Eltern berücksichtigt, verzichtet er. | |
Schade. | |
Kita-Aktionstag für bessere Betreuung: Zeit für Rechenspiele | |
Mit einem Aktionstag machen Kitas auf die miserable Personalsituation | |
aufmerksam. Der nächste Doppelhaushalt gibt ihnen wenig Anlass zur | |
Hoffnung. | |
Übergang zur Grundschule: Wohin bloß mit dem Kind? | |
Die CDU will die „Betreuungslücke“ zwischen dem Ende des Kitajahres und dem | |
erstem Schultag schließen. | |
Tarifstreit der Kita-Beschäftigten: Verdi-Basis lehnt Schlichterspruch ab | |
Vier Wochen haben Kita-Beschäftigte bundesweit für mehr Geld gestreikt. Der | |
Schlichterspruch stößt auf massive Ablehnung. Bald könnte es neue Streiks | |
geben. | |
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts: Herdprämie ist doch noch für was gut | |
50 Millionen Euro aus frei werdenden Bundesmitteln könnten in den Berliner | |
Landeshaushalt fließen und für eine bessere Kitaausstattung genutzt werden. | |
Staatliche Förderung für Kinderbetreuung: Opposition für 24-Stunden-Kitas | |
Die Linke und die Grünen unterstützen Manuela Schwesigs Pläne für die | |
Kita-Nachtbetreuung. Das Angebot soll staatlich gefördert werden. |