# taz.de -- Russische Nachbarschaftspolitik: Breitseite gegen die Balten | |
> Russlands Generalstaatsanwalt soll prüfen, ob die | |
> Unabhängigkeitserklärungen Estlands, Lettlands und Litauens 1991 rechtens | |
> waren. | |
Bild: Weiß nichts von den jüngsten Ankündigungen aus Moskau gegenüber den b… | |
MOSKAU taz | Russland leidet seit dem Ende der Sowjetunion an | |
Bedeutungsverlust. „Früher hat man uns wenigstens gefürchtet!“, ist eine | |
jener Standardformeln, mit der Moskau früherer Größe gerne nachtrauert. Mit | |
anderen Worten: Je mehr Nachbarn Russland fürchten, desto wohler fühlt es | |
sich in seiner Haut. | |
Dazu wollen auch die Abgeordneten der Kremlpartei Einiges Russland (ER) | |
Jewgenij Fjodorow und Anton Romanow etwas beisteuern. Sie forderten | |
Russlands Generalstaatsanwalt jetzt auf zu prüfen, ob die | |
Unabhängigkeitserklärungen der drei baltischen Staaten 1991 auch rechtens | |
gewesen seien. | |
Kurz zuvor musste die Staatsanwaltschaft schon klären, ob die Übergabe der | |
Krim an die Ukrainische Sowjetrepublik 1954 mit dem Buchstaben des Gesetzes | |
in Einklang stand. Die Generalstaatsanwaltschaft kam in kürzester Zeit zu | |
dem Schluss, dass es sich bei der Übertragung der Krim um einen | |
Verfassungsverstoß handelte. | |
Russland hat sich die Krim inzwischen einverleibt und wird sie erst mal | |
auch nicht hergeben. Moskau nutzt die Befassung mit dem Thema jedoch zur | |
Vorbereitung einer juristischen Verteidigungslinie, sollte es gezwungen | |
sein, sich gegen Klagen der Ukraine vor Schiedsgerichten zu behaupten. Die | |
Entscheidung hätte aber keine realen rechtlichen Konsequenzen, gab die | |
Staatsanwaltschaft zu verstehen. | |
## „Provokation“ | |
Auch im Falle des Baltikums wird damit gerechnet, dass die Behörde | |
rückwirkend Rechtswidrigkeit feststellt und zur Beruhigung dann | |
nachschiebt: keine Bedeutung für die internationale Rechtslage. Ein | |
Ausstieg aus der UdSSR war theoretisch zwar möglich, die erforderlichen | |
Prozeduren aber so angelegt, dass keine Republik tatsächlich ausscheiden | |
konnte. | |
Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite reagierte umgehend auf das Vorhaben | |
der Parlamentarier. „Keiner hat das Recht uns zu bedrohen“, sagte sie. | |
Litauens Außenminister sprach von „Provokation“ und einer „sinnlosen | |
Aktion“. Russlands Außenminister Sergei Lawrow gab sich unterdessen | |
überrascht. Er hätte von dieser Anfrage nichts gehört, sagte Lawrow. | |
Das mag sogar sein. Dennoch fährt Russland bewusst eine Doppelstrategie. | |
Ohne ein Placet aus dem Umfeld des Kreml sind solche Initiativen nicht | |
möglich. Verbreitung von Angst ist ein zentrales Motiv des russischen | |
Informationskrieges, der nicht auf einen klassisch militärischen Sieg | |
setzt. | |
Verunsicherung und Verwirrung der westlichen Gesellschaften ist Moskaus | |
Ziel. Dazu trägt auch die offene und subtile Bedrohung der Balten bei, die | |
empfindlich auf alles reagieren, was aus Moskau kommt. Russland sähe es | |
gerne, wenn die Balten in der EU als fantasierende Sensibelchen und | |
Störenfriede wahrgenommen würden. So nannte Wladimir Putins Intimus und | |
Kanzleichef Sergej Iwanow die Befürchtungen vor einer russischen Aggression | |
im Baltikum gegenüber der Financial Times einen „wahnsinnigen Blödsinn“. | |
Wer behaupte, Russland wolle die baltischen Staaten besetzen, leide an | |
einer „psychischen Störung“, sagte Iwanow. | |
Parlamentarische Anfragen über die Rechtmäßigkeit historischer | |
Entscheidungen liessen sich unendlich fortsetzen. Entsprach die | |
Entscheidung des Rats der Volkskommissare, die Unabhängigkeit Finnlands | |
1917 anzuerkennen, damaligem Recht? Wie steht es um Alaska, Kasachstan oder | |
Weißrussland? | |
Scheinlegalismus ist ein Wesenszug autoritärer Systeme. Der kommunistische | |
Abgeordnete Sergej Obuchow kündigte schon an, auch die | |
Souveränistätserklärung der Russisch Föderativen Sozialistischen | |
Sowjetrepublik von 1990 überprüfen zu lassen. Schon im vergangenen Jahr | |
hätten die Kommunisten dies versucht, seien aber noch zum Teufel gejagt | |
worden. „Jetzt aber hat sich der Wind gedreht“, meint Obuchow. | |
1 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
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