# taz.de -- 70 Jahre CDU: Lieber Unbekannter... | |
> Die CDU wird 70. Wer könnte es ihr verübeln, die alte Dame sehnt sich im | |
> Alter nach einem Neuanfang. Und gibt eine Kontaktanzeige auf. | |
Bild: Die CDU war schon mit vielen liiert: Konrad, Ludwig, Helmut. Das ist ihre… | |
Lieber Unbekannter, | |
herzlichen Dank für Ihren Brief. Und Dank auch für Ihre Offenheit, die ich | |
umso mehr zu schätzen weiß, als wir beide einander bislang unbekannt sind. | |
Gut, dass Sie den ersten Schritt gewagt und auf meine Kontaktanzeige | |
geantwortet haben. Sie schreiben, auch Sie seien auf der Suche nach einem | |
Neuanfang. Nach etwas Nähe und gutem geistigen Austausch. Ihre Offenheit | |
zeugt von frohem Gemüt. Ja, mag sein, wir sind nicht mehr die Jüngsten, | |
siebzig Jahre sind eine lange Zeit. Doch auch in unserem Alter wissen wir | |
noch das Wort Neuanfang zu buchstabieren. Wir beide wissen: Das Leben wird | |
nach vorne gelebt und von hinten verstanden. Deshalb und um Ihnen einen | |
ersten Eindruck von mir zu geben, schreibe ich Ihnen hier mein Leben | |
nieder. | |
Sie schreiben, Sie seien angetan von meiner bürgerlichen Gesinnung, meiner | |
religiösen Prägung, meinem Sinn für gutes Wirtschaften. Danke für die | |
Blumen, die ich – lebten sie noch – gern an meine Eltern weiterreichen | |
würde. Denn sie hoben mich am 26. Juni 1945 aus der Taufe. | |
Die Entscheidung für mich war von Vernunft geleitet. Allzu viele Jahre | |
hatten sie als konservative Katholiken und Protestanten sich nicht einigen | |
können. Nach dem Kriege war endlich der Moment für den Neuanfang gekommen. | |
Liebe wurde es nie. Doch ich bin ihnen dankbar. Sie fanden für mich einen | |
schönen Namen. Christlich Demokratische Union – da ist doch einfach alles | |
drin. Der Glauben, das Neue, die Einigkeit. | |
Wiewohl ich ja nur Gründungsväter hatte, bin ich bis heute eine überzeugte | |
Verfechterin der Familie als Verbindung zwischen Mann und Frau. Ich finde | |
es zwar wünschenswert, wenn diese beiden miteinander Kinder zeugen, bestehe | |
aber nicht darauf. Das von mir stets hochgehaltene Ehegattensplitting hat | |
mir schon so mancher meiner Weggefährten madig machen wollen. | |
Aber nicht mit mir! Mann + Frau = Familie. Mann + Mann oder Frau + Frau | |
oder was es da sonst noch auf dem Markt der Möglichkeiten geben mag – das | |
kann ich aber nicht tolerieren. | |
Das finden Sie nicht logisch? Ich verrate Ihnen etwas: Ich auch nicht. Aber | |
ich halte es da wie der Papst. Von dem verlangt ja auch keiner, dass er | |
seinen Markenkern aufgibt und Frauen weiht. Da könnte man ja gleich zur | |
religiösen Konkurrenz gehen. Ein paar Prinzipien braucht schließlich jeder. | |
Neben der Familie ist das bei mir eine stringente Haushaltsführung. Ende | |
der vierziger Jahre im vorigen Jahrhundert, da lernte ich gerade mit Messer | |
und Gabel zu essen, fand ich dafür den Namen „soziale Marktwirtschaft“. Das | |
bedeutete in etwa, dass der freie Markt es schon richten wird. Und wenn es | |
irgendwie kribblig wurde für die Arbeiter und Angestellten, konnte ich | |
immer noch sagen: Die Grundidee ist aber sozial. | |
Wenn die Kritik doch zu laut wurde, setzte ich vorne noch ein | |
„freiheitlich“ davor, dann war wieder Ruhe. So halte ich das eigentlich bei | |
fast allen Themen. Kritik ja, aber sachlich muss sie sein. Und wenn ich | |
nicht weiß, wie ein Problem zu lösen ist, sage ich einfach gar nix mehr. | |
In letzter Zeit habe ich einige Probleme mit der Zuwanderung. Es gibt, wie | |
Sie wissen, ein paar sehr unschöne religiöse und geopolitische Konflikte. | |
Auch Armut. Und ja, mir tun diese Menschen leid. Aber muss das denn heißen, | |
dass die alle hierher kommen? | |
Sie wissen, wie es ist mit Besuch: Nach drei Tagen fängt er an zu stinken. | |
Deshalb schaue ich, ob die Flüchtlinge nicht besser bei den Nachbarn | |
untergebracht wären. Und für jene, die es tatsächlich bis in mein Land | |
geschafft haben und partout nicht mehr gehen wollen, habe ich ein paar | |
extra komplizierte Gesetze erlassen. Der Clou: Die gelten so auch bei | |
meinen Nachbarn. So halten wir die Flüchtlinge in Bewegung und die sehen | |
auch mal was von der Welt. Ich kann mir denken, was Sie tatsächlich | |
interessiert. | |
Nun gut, ich will Sie nicht im Unklaren lassen darüber, wer mich durch die | |
Jahrzehnte geführt hat. Ich bin eine, die der Führung bedarf, das räume ich | |
ein. Und wie es so ist: Konrad, Ludwig, Kurt, Rainer, Helmut und Wolfgang – | |
einer blieb länger, der andere kürzer. Aber schön und etwas ganz Besonderes | |
war es doch mit jedem von ihnen. | |
Seit fünfzehn Jahren bin ich nun mit Angela zusammen. Ich war damals in | |
einer tiefen finanziellen Krise, wissen Sie. Die Medien nannten es | |
Spendenaffäre. | |
Ich brauchte jemanden, der mich erst einmal stützt. Von Liebe wollte ich | |
nichts mehr wissen. Angela schien ideal. Unverbraucht und uneitel, ein | |
bisschen tollpatschig. Aber fleißig. Die perfekte Zwischenbesetzung, bis | |
etwas Besseres des Weges kommen würde. Dachte ich. | |
Doch dann stellte sich heraus, dass wir sehr gut harmonieren. Sie ist | |
selten zu Hause bei mir in der Klingelhöferstraße, lässt mir meine | |
Freiheiten. Wenn es ihr doch mal zu bunt wird, beruft sie einen Parteitag | |
ein und hält eine ihrer Reden, die … ja, wie soll ich sagen? Sie sagt ja | |
nicht wirklich etwas. Ich höre ihr zu und versuche zu verstehen, was sie | |
will. Ist sie zufrieden? Oder nicht? Wünscht sie sich mehr Lametta? Ich | |
weiß es einfach nicht. | |
Dieses Ungefähre ist wohl das Geheimnis unserer langjährigen Beziehung. Nur | |
mit Konrad und Helmut war ich länger zusammen. Aber jetzt, das spüre ich, | |
ist die Luft raus. Nach all den Jahren haben wir uns nicht mehr allzu viel | |
zu sagen. Ab und zu ruft sie bei mir in Berlin an, aus Brüssel oder | |
Washington. Sie ist immer in Eile. Wenn sie doch mal da ist, will sie | |
immerzu über Moskau reden. Entschuldigung, aber das langweilt mich. Ab und | |
zu werfe ich dann das Wort „Mittelstand“ ein. Oder „Digitale Agenda“. D… | |
langweilt wiederum sie. | |
Wir kaschieren unsere Sprachlosigkeit geschickt. Muss ja nicht jeder | |
mitkriegen, dass es kriselt. Und wir hatten ja weiß Gott auch schöne | |
Zeiten. | |
Dennoch, ich bin jetzt siebzig. Da weiß man um die Endlichkeit. Deshalb | |
habe ich diese Kontaktanzeige aufgegeben. Sie müssen verstehen, lieber | |
Unbekannter: Ich werde Angela nicht verlassen, das könnte ich gar nicht. | |
Aber vielleicht verlässt sie ja in absehbarer Zeit mich. Es gibt da | |
jemanden in New York, wissen Sie. Und dann wäre ich frei für Sie. Überlegen | |
Sie es sich. Ich warte auf Antwort von Ihnen. Schreiben Sie mir | |
postlagernd. Und bleiben Sie mir gewogen. | |
Ihre Christlich Demokratische Union | |
29 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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