| # taz.de -- Lesbisch-schwules Stadtfest in Berlin: Kopftuch-Streit unterm Regen… | |
| > Das 23. Lesbisch-Schwule Stadtfest wollte mit einem ungewöhnlichen Plakat | |
| > das Thema Vielfalt neu umsetzen - und erntet massive Kritik. | |
| Bild: Darüber wird gestritten: Ausschnitt aus dem Plakat zum 23. Lesbisch-Schw… | |
| Es hatte das Potential, die vielbemühte Rede von der Vielfalt mit Inhalten | |
| zu füllen. Und eigentlich sollte es erstmals lesbische Sichtbarkeit | |
| thematisieren. Stattdessen sorgt das offizielle Plakat zum 23. | |
| Lesbisch-Schwulen Stadtfest in der Community für Verärgerung und | |
| Distanzbekundungen. | |
| Gegenstand der Aufregung: Auf dem Plakat sind zwei innig küssende Frauen | |
| skizziert, von denen die eine einen schwarzen und lichtdurchlässigen | |
| Körper- und Kopfschleier trägt. Unter der Verhüllung schimmern die Farben | |
| des Regenbogens durch. Darüber prangt das Banner mit dem traditionellen | |
| Motto des alljährlich um den Nollendorfplatz abgehaltenen Stadtfestes: | |
| „Gleiche Rechte für Ungleiche“ - auf Deutsch und Arabisch. | |
| So weit, so bunt. Doch hagelt es massiv Kritik - nicht nur an der falschen | |
| Schreibweise des Arabischen. | |
| Seit 1993 läutet das Lesbisch-Schwule Stadtfest in Schöneberg jeden Sommer | |
| die Aktionswoche mit Veranstaltungen und den Demonstrationen zum | |
| Christopher Street Day (CSD) ein, der am 27. Juni stattfindet. Vom kleinen | |
| Straßenfest hat Ersteres sich seither zu einem Großevent ausgewachsen. Mit | |
| mehreren Themenbühnen, Talk- und Showprogrammen mit Promis aus Politik und | |
| Szene, DJs und einer Vielzahl an Unterhaltungs-, Verkaufs- und Infoständen | |
| lokaler Anbieter und Organisationen der queeren Subszenen, spricht es heute | |
| ein zunehmend internationales (und auch heterosexuelles) Publikum an. | |
| Seit Jahren allerdings mehren sich Forderungen aus der Community, das | |
| mehrheitlich von schwulen Männern dominierte wie organisierte Stadtfest - | |
| welches nach Veranstalterangaben mittlerweile rund 350.000 BesucherInnen | |
| anzieht - für alle Menschen der LGBT-Szene offener und attraktiver zu | |
| gestalten. Bemängelt werden regelmäßig das Fehlen lesbischer und | |
| transidenter Sichtbarkeit sowie eine Dominanz „weißer Szeneleute“, die | |
| Menschen mit nicht mehrheitsdeutschem Hintergrund strukturell ausschließe. | |
| Womöglich war man nun bemüht, diesmal im Vorfeld alles richtig zu machen, | |
| etwaige Versäumnisse auf einen „Plakat-Streich“ auszugleichen. | |
| Die Motividee „fanden wir ansprechend, also sehr gut“, sagt Andreas Sucka, | |
| einer der drei Vorstände vom Regenbogenfonds der schwulen Wirte e. V., der | |
| als Veranstalter des Stadtfestes für die Plakataktion verantwortlich | |
| zeichnet. Die Forderung nach mehr Diversity, also Vielfalt, scheint indes | |
| so einfach nicht erfüllt. In Szenekreisen und -medien wird über die Frage | |
| gestritten, wen das Motiv eigentlich ansprechen oder repräsentieren soll. | |
| ## Das Kopftuch und die feinen Unterschiede | |
| Ein integrativer Bezug auf Vielfalt sähe anders aus, meinen zumindest die | |
| VertreterInnen der lokalen queeren Organisationen von und für Menschen mit | |
| Migrations- und Rassismuserfahrung. Hier fühlt man sich alles andere als | |
| angesprochen. „Eine merkwürdige Logik“ erkennt Senami Zodehougan | |
| insbesondere in der Verbindung des Mottos, das „Ungleiche“ anspricht, und | |
| des aktuellen Plakatmotivs. „Es geht offensichtlich um den größtmöglichen | |
| Unterschied und das ist scheinbar dann das Kopftuch“, begründet die | |
| Netzwerkkoordinatorin von Diskriminierungsfreie Szenen für alle! bei der | |
| Beratungsstelle GLADT - Gays und Lesbians aus der Türkei e. V. ihr | |
| Unbehagen. | |
| Über die Intention hinter der Plakatidee könne Senami Zodehougan nur | |
| mutmaßen: „Kann sein, dass man sich gedacht hat, so ein Plakat muss ja | |
| schnell zugänglich sein und soll nachvollziehbar sein. Hieße der Spruch | |
| beispielsweise ,Liebe verbindet‘ oder etwas ähnliches, wäre vielleicht noch | |
| klar geworden was gemeint ist.“ | |
| Das Motto „Gleiche Rechte für Ungleiche“ ist seit Jahren dasselbe, hält | |
| Sucka dagegen und „wird sich auch nicht ändern, solange die rechtliche | |
| Gleichstellung für Schwule und Lesben nicht erreicht ist“. | |
| Hinsichtlich der Frage, inwiefern die Kombination „lesbisch“ und „Kopftuc… | |
| überhaupt den Realitäten oder Bedürfnissen der avisierten Zielgruppe | |
| entspreche, weist Zodehougan die „oberflächliche und plakative“ | |
| Gleichsetzung von Muslima und Kopftuch als „nicht unproblematisch“ zurück. | |
| Oberster Kritikpunkt für Netzwerk wie Verein, den Zodehougan in dieser | |
| Frage auch vertritt, sei jedoch, „dass die Vorstellung weißer Szeneleute da | |
| unglaublich oberflächlich und verkürzt ist. Man ist offenbar überhaupt | |
| nicht in Kontakt mit People of Colour, Muslimen oder MigrantInnen in dieser | |
| Szene.“ | |
| Auch LesMigraS sieht mit dem aktuellen Plakat die Grenze des Erträglichen | |
| erreicht - und sagt seine diesjährige Teilnahme am Stadtfest ab. In | |
| Ersterem erkennt der Antidiskriminierungsbereich der Berliner | |
| Lesbenberatung eine „Praxis, andere nach eigenen (stereotypen) | |
| Vorstellungen darzustellen, statt sie selbst zu Wort kommen zu lassen“, und | |
| verurteilt den Versuch, Menschen mit Migrationsgeschichte als | |
| „Vorführfiguren“ zu instrumentalisieren. Die Zeichnung ziele auf Lesben und | |
| Muslima als Publikum - die gemeldeten Realitäten sexistischer und | |
| rassistischer Vorfälle auf dem Fest fänden aber nur unzureichend Eingang in | |
| die Planungen der Veranstalter, das Fest für alle sicher zu gestalten, so | |
| das Fazit von LesMigraS nach wiederholten Auseinandersetzungen mit den | |
| OrganisatorInnen. | |
| ## Die Anderen - wie so oft - nicht mitgedacht | |
| Der Vorwurf, die Lebensrealitäten und Perspektiven von mehrfach | |
| Diskriminierten auszublenden und letztere nicht einzubinden, ist weder neu, | |
| noch auf das Stadtfest beschränkt. Zuletzt war Mitte Mai das schwule | |
| Anti-Gewalt-Projekt Maneo in der Community in die Kritik geraten. Weil | |
| dieses zum alljährlichen Kiss-in am Internationalen Tag gegen Homophobie | |
| nach Kreuzberg und Wedding aufgerufen hatte - ohne sich vorher mit lokalen, | |
| migrantisch organisierten LGBT-Organisationen abzusprechen, wie GLADT in | |
| einer via Facebook veröffentlichten Stellungnahme monierte. Grundsätzlich | |
| sei es bei solchen Aktionen besser, sich vorab Rat einzuholen, meint | |
| Zodehougan, „wir sind ansprechbar“. | |
| „Grundsätzlich macht man sowieso alles falsch für GLADT, gerade wenn man | |
| weiß, männlich und schwul ist, vor allem beim Thema Rassismus“, meint | |
| dagegen Veranstalter Sucka. Direkten Kontakt hatten beide Seiten vor circa | |
| sechs Jahren. Damals wurden Beschwerden laut, auf dem Stadtfest seien | |
| Rechte und Rassisten unterwegs gewesen. Seither existiert eine | |
| Hilfe-Hotline vor Ort. | |
| Die Beschwerden am aktuellen Plakat weist Vorstand Sucka entschieden | |
| zurück. Weder agiere man gegen die anderen queeren Organisationen, noch | |
| wollte man Mehrfachdiskriminierte vor den Kopf stoßen. „Das ist absurd“, so | |
| der Vorstand des Regenbogenfonds. | |
| Indes herrscht bei den Verantwortlichen offenbar Uneinigkeit, wie das | |
| Plakat überhaupt zum Kopftuch kam. Nach Darstellung Suckas war dem Künstler | |
| lediglich das Thema „Lesben“ vorgegeben, dieser hatte ansonsten „freie | |
| Hand“. | |
| Johannes Mundinger, der zuerst eine Version mit einfacher Kapuze entworfen | |
| hätte, betont hingegen, dass das Kopftuch zum lesbischen Kuss vom Vorstand | |
| des Regenbogenfonds „ausdrücklich gewünscht“ war. Die Umsetzung fand der | |
| freischaffende Illustrator unter dieser Vorgabe „einigermaßen schwierig“. | |
| Ob er mit dem Plakatentwurf insgesamt zufrieden ist? „So halb“, das Motiv | |
| immerhin sei „von der Ästhetik ansprechend“. Andreas Sucka zeigt sich trotz | |
| aller Kritik zufrieden: „Unser Plakat hat ja letztlich sein Ziel erreicht, | |
| Aufmerksamkeit zu erzeugen.“ | |
| 18 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Melanie Götz | |
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