# taz.de -- Dialog mit den Taliban: Zukunft für Afghanistan | |
> Ohne die Taliban geht nichts im Land. Im Streit der Ideen scheinen sie | |
> besser gerüstet zu sein als die Regierung in Kabul. | |
Bild: Ein Gruppe von Taliban legen im Mai 2015 ihre Waffen nieder und schließe… | |
Trotz aller gegenteiligen Rhetorik hat es einen wirklichen Friedensprozess | |
in Afghanistan seit dem Sturz des Taliban-Regimes nicht gegeben. | |
Internationale Hybris und afghanisches Elitenversagen haben das verhindert. | |
Zuerst lehnten die Amerikaner es in acht Jahren Bush-Regierung ab, | |
überhaupt mit den Taliban zu reden. | |
Dann blockierte der damalige Präsident Hamid Karsai alle Versuche von außen | |
angebahnter Gespräche. Die seit 2014 amtierende neue Regierung seines | |
Nachfolgers Aschraf Ghani versuchte dann einen Befreiungsschlag: Sie wollte | |
den Taliban-Unterstützer Pakistan über dessen Hauptverbündeten China unter | |
Druck zu setzen, die Aufständischen endlich an den Verhandlungstisch zu | |
zwingen. Ein Durchbruch blieb bisher aus. | |
Das liegt aber auch den Taliban. Zum einen lehnen sie einen Dialog mit der | |
als „Marionetten“ geschmähten Regierung in Kabul – ob unter Karsai oder | |
Ghani – bisher strikt ab. Erst sollen alle ausländischen Truppen abziehen. | |
Ghani aber hat die Amerikaner eben erst gebeten, noch über den vereinbarten | |
Abzugstermin Ende 2016 hinaus Truppen im Land zu lassen; auch die Nato wird | |
in Afghanistan weiter mit einer „zivil geführten“ Mission präsent sein. | |
Zweitens tun die Taliban alles dafür, sich als Verhandlungspartner zu | |
desavouieren, indem sie nach jüngsten Anschlägen in Kabul andeuteten, dass | |
sie nun offenbar auch humanitäre Helfer aus „Invasorenländern“ als legiti… | |
Anschlagsziele betrachten. Damit gefährden sie alle von westlichen Gebern | |
finanzierte Entwicklungsprogramme und damit eine Hauptüberlebensgrundlage | |
der Zivilbevölkerung. | |
Diesen Teufelskreis zu durchbrechen versucht nun die Pugwash-Konferenz, ein | |
auch in Friedensfragen aktives, nichtstaatliches, internationales Netzwerk | |
von Wissenschaftlern, das 1995 den Friedensnobelpreis erhielt. Anfang Mai | |
luden sie etwa zwei Dutzend Afghanen verschiedener politischer Lager zu | |
zweitägigen „inoffiziellen Gesprächen“ in einen Badeort im Emirat Katar | |
ein. Darunter waren acht Taliban-Mitglieder, aber keine Regierungsvertreter | |
aus Kabul. Immerhin legte Kabul dem Treffen keine Steine in den Weg, so wie | |
Karsai es in ähnlichen Fällen getan hatte. | |
## Fragwürdiger Konsens | |
Alle Teilnehmer waren als Individuen eingeladen, nicht als Vertreter ihrer | |
Organisationen. Das sollte ihnen ermöglichen, ohne Fraktionszwänge zu | |
sprechen – gleichzeitig hoffte man so einen Eindruck davon zu bekommen, wie | |
in den jeweiligen Organisationen gedacht wird, sowie Ideen dort einspeisen | |
zu können. Es war auch nicht das erste von Pugwash organisierte | |
Afghanistan-Treffen – aber erstmals gab es ein Abschlusskommuniqué. | |
Der Kernsatz des Abschlussdokuments lautet: „Die Vorstellung, Afghanistan | |
Frieden zu bringen und den Konflikt zu beenden, wurde von allen Teilnehmern | |
aus vollem Herzen unterstützt.“ Gemeinsam wurde auch der Korruption, dem | |
Drogenanbau und -handel und dem Islamischen Staat der Kampf angesagt. Für | |
Pugwash war das offenbar Fortschritt genug, um an die Öffentlichkeit zu | |
gehen. Aber ist das schon der Durchbruch, zumindest zu Gesprächen über | |
einen möglichen Frieden? Wie tragfähig ist der Konsens wirklich angesichts | |
der kurz zuvor gestarteten alljährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban? | |
Pugwashs Ansatz war, zunächst Konsens und Dissens zu kartieren. Der tiefste | |
Graben, das wurde klar, verläuft zwischen den Positionen über die künftige | |
„Struktur des politischen Systems und der Verfassung Afghanistans“, wie es | |
im Kommuniqué heißt. Die Regierung in Kabul verlangt, dass die Taliban die | |
geltende Verfassung anerkennen. Diese hingegen beharren darauf, dass eine | |
neue Verfassung ausgearbeitet werden muss, da die gegenwärtige „im Schatten | |
von B-52-Bombern“ entstanden sei. | |
Auch der Konsens, dass die Regierung Afghanistans „auf jeden Fall“ | |
islamisch sein wird, lässt bei näherem Hinsehen viel Spielraum erkennen. | |
Die Frage ist: Wie islamisch? Was wird aus den existierenden, durch (wenn | |
auch unsaubere) Wahlen gebildeten politischen Institutionen? Und den im | |
Moment jedenfalls auf dem Papier garantierten Freiheitsrechten „für alle | |
Bürger Afghanistans“ – also Männer und Frauen gleichermaßen? Wie viel | |
Pluralismus wird mit den Taliban möglich sein? Immerhin unterschrieben die | |
Taliban, dass keine Partei künftig ein Machtmonopol haben dürfe. | |
## Manchmal sind Unterschiede zu Taliban gering | |
Unklar bleibt auch, wie weit die in Katar von ihnen mitgetragenen | |
Positionen einen gewissen Wandel in ihrem Denken widerspiegeln oder ob es | |
sich nur um Lippenbekenntnisse handelt. Andererseits ist klar, dass | |
diejenigen unter ihnen, die sich für Gespräche offen gezeigt haben (und | |
dafür grünes Licht ihrer Führung haben), auf die Falken in den eigenen | |
Reihen Rücksicht nehmen müssen. | |
Für den Streit der Ideen am Verhandlungstisch scheinen die Taliban | |
jedenfalls im Moment besser gerüstet zu sein als die „Kabuler“ Seite. Es | |
rächt sich nun, dass Karsai jahrelang eine genuine innenpolitische | |
Konsensbildung durch handverlesene Pseudo-Loja-Dschirgas verhindert hat. | |
Auch wenn die UNO im Hintergrund an der Auswahl mitwirkte, erschien die | |
Zusammensetzung der Kabuler Delegation – Politiker verschiedener | |
Fraktionen, meist nur aus der zweiten Reihe, dazu ein paar | |
zivilgesellschaftliche Aktivisten und ganze drei Frauen – willkürlich und | |
heterogen. Zum Zweiten sind die meisten der eingeladenen Fraktionen selbst | |
nicht demokratisch verfasst; einige unterscheiden sich ideologisch gar | |
nicht so sehr von den Taliban. | |
Zudem reisten ihre Mitglieder ohne jegliche Vorabstimmung zu dem Treffen. | |
Selbst die beteiligten Zivilgesellschaftler hatten offenbar nicht daran | |
gedacht, sich über bestehende Koordinierungsmechanismen zwischen den | |
wichtigsten Dachverbänden Legitimation zu holen und mit Ideen auszurüsten. | |
Dazu gehören Konzepte, einen Friedensprozess durch lokale Initiativen von | |
unten zu stärken oder von vornherein Frauen einzubinden (gerade tagte in | |
Kabul eine gut besuchte Konferenz zum Thema „Frauen und Frieden“), um deren | |
Interessen zu wahren. Staunend saßen sie den Taliban gegenüber, die – so | |
ein Teilnehmer – der Reihe nach ihre bestens abgestimmten Positionen | |
vortrugen. Im Übrigen gibt es auch keine Mechanismen, die gewährleisten, | |
dass die Regierung solch partizipatorische Elemente aufnimmt, sollte sie | |
sich irgendwann an Gesprächen beteiligen. | |
Man darf auch nicht übersehen, dass einige Fraktionen sowie beträchtliche | |
Teile der Zivilgesellschaft es vorzögen, überhaupt nicht mit den Taliban | |
verhandeln oder sogar mit ihnen die Macht teilen zu müssen. Stattdessen | |
hoffen sie, dass die afghanischen Streitkräfte erreichen können, was – zu | |
Spitzenzeiten – 140.000 westliche Soldaten (plus Afghanen) nicht geschafft | |
haben: einen militärischen Sieg über die Aufständischen. | |
## Immerhin finden sie zusammen | |
All das ist kein Grund, sich nicht zu treffen. Das Ziel von Gesprächen wie | |
in Katar muss es sein, gegenseitiges Verstehen zu fördern. Aus der | |
kartierten Interessenlandschaft können Verhandlungsprofis | |
Gesprächsstrategien ableiten. Auch wenn es keine Erfolgsgarantien gibt und | |
die Gespräche angesichts der zersplitterten innenpolitischen Landschaft | |
(ähnlich wie in Syrien und Libyen) eher nach dem Trial-and-Error-Prinzip | |
verlaufen: Es gibt eben keine Alternative, als es immer wieder zu | |
versuchen. | |
Immerhin scheinen die Kabuler Gesprächsteilnehmer nun zusammenzufinden. Ein | |
prominenter Politiker aus einflussreicher, religiöser Familie hat seine | |
Kollegen zusammengerufen, um besser auf das vereinbarte Folgetreffen – | |
inzwischen auf einen Termin nach Ende des Fastenmonats Ramadan Mitte Juli | |
verschoben – vorbereitet zu sein. Er hofft auch, die Verweigerungshaltung | |
der Taliban der Kabuler Regierung gegenüber aufweichen zu können. | |
Ein Problem des Pugwash-Ansatzes könnte darin bestehen, dass der zweite | |
Schritt – eine Einbeziehung der Taliban in Gespräche – vor dem ersten getan | |
wurde, nämlich einen innerafghanischen Konsens herzustellen. Gerade wegen | |
dieses Mangels, Ausdruck der Schwäche Afghanistans staatlicher wie | |
nichtstaatlicher Institutionen, brauchen diese in der Vorphase zu formalen | |
Verhandlungen Hilfe bei der Koordination und strategische Beratung. | |
Dazu können und müssen westliche Regierungen beitragen – mit Ermutigung und | |
wenn nötig Geld. Sie haben ja versprochen, sich mit dem nahenden Ende der | |
Militärintervention auf politische Mittel zu verlegen. Das betrifft | |
besonders auch die deutsche Regierung, die sich viel auf ihre finanziell | |
allerdings eher unzulänglich ausgestatteten Programme zur zivilen | |
Konfliktprävention zugutehält. Dann muss sich nur noch die neue afghanische | |
Regierung – mit ihrem schwierigen Präsidenten und dessen bekannter | |
Abneigung gegenüber den UN und NGOs – beratungsoffen zeigen. | |
13 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Thomas Ruttig | |
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