# taz.de -- Händler nach „Bild“-Boykott bedrängt: Springer oder nichts | |
> Wegen der Berichterstattung zum Germanwings-Absturz boykottieren mehrere | |
> Händler die „Bild“. In der Folge wurden sie unter Druck gesetzt. | |
Bild: Ein Kiosk wie dieser kann sich der „Bild“ nicht verweigern | |
BERLIN taz | „Sehr geehrte Kundschaft, auch wir werden unprofessionellem | |
Journalismus keine Plattform mehr geben und haben beschlossen die | |
Bildzeitung ab sofort aus dem Sortiment zu nehmen“, schrieb der Betreiber | |
des Edeka Heymer in Chemnitz am 30. März [1][auf seiner Facebook-Seite]. Er | |
sollte nicht der einzige Händler sein, der den Verkauf der Bild einstellte. | |
Eine Aral-Tankstelle in Bendorf, ein [2][Spätverkauf in Marburg], eine | |
[3][Tankstelle in Papenburg], ein [4][Lebensmittelgeschäft in Stuttgart] | |
und noch einige weitere Verkaufsstellen zogen mit. | |
Sie alle waren über die damalige Berichterstattung des Springer-Blattes | |
erzürnt. Der Absturz des Germanwings-Fluges 9525, bei dem am 24. März | |
dieses Jahres 150 Menschen ums Leben kamen, beschäftigte die deutsche | |
Presselandschaft wochenlang. | |
Jegliches Feingefühl für journalistische Ethik [5][ließ vor allem die Bild | |
vermissen]. Bild-NRW-Reporter Frank Schneider [6][twitterte Fotos von | |
Angehörigen], in dem Moment, in dem sie von dem Tod ihrer | |
Familienmitglieder erfuhren. Auch auf der Titelseite der Zeitung wurden | |
weinende Angehörige zur Schau gestellt. Das Privatleben des Co-Piloten | |
wurde bis ins kleinste Detail ausgeleuchtet. Die Händler wollten dies nicht | |
weiterverbreiten – und bekamen dafür die Quittung. | |
Am 21. Mai [7][schrieb der besagte Edeka-Betreiber auf Facebook]: „Sehr | |
geehrte Kundschaft, heute Morgen nun erreichte uns die Kündigung des | |
MITTELDEUTSCHEN PRESSEVERTRIEBES! Mit der Begründung, dass wir uns | |
standhaft weigern die BILD Zeitung zur Auslage zu bringen.“ Vertriebsfirmen | |
liefern für bestimmte Gebiete alle Zeitungen an Händler. Da es ein | |
Gebietsrecht gebe, dürfe der Markt sich von keinem anderen Grossisten | |
beliefern lassen, so der Marktleiter. | |
## „An den Pranger gestellt“ | |
Nicht nur den Edeka-Markt traf es. Auch die Aral-Tankstelle in Bendorf | |
wurde unter Druck gesetzt. Sie entschieden sich dafür, die Bild wieder ins | |
Sortiment aufzunehmen. Anders die Tankstelle in Papenburg und der Späti in | |
Marburg. Auch sie werden nicht mehr beliefert. | |
Der Papenburger Tankstellenbetreiber Bastian Hogg sagt der taz, dass es ihm | |
nicht gefallen habe, wie der Co-Pilot an den Pranger gestellt wurde. Er | |
habe nicht erwartet, dass es ein Problem sei, die Bild aus dem Verkauf zu | |
nehmen. Schließlich habe er auch zuvor die Möglichkeit gehabt, bestimmte | |
Drucktitel nicht zu verkaufen, wenn „die Sachen nicht laufen“. | |
Von der Vertriebsfirma „Presseservice Nordwest“ hieß es dann jedoch, er | |
würde die Pressefreiheit gefährden, wenn er die Bild nicht verkaufe. | |
Carolin R. vom „Fireflight“-Späti in Marburg weist im Gespräch mit der taz | |
darauf hin, dass nach Artikel 5 des Grundgesetzes die | |
Berichterstattungsfreiheit dort ihre Grenzen findet, wo das Recht der | |
persönlichen Ehre betroffen ist. | |
Die Bild überschreite diese Grenze ständig, sagt sie. Alle drei Tage sei | |
ein Vertriebler im Späti vorbeigekommen, um zu kontrollieren, ob die Bild | |
verkauft werde. Es sei massiv Druck ausgeübt worden. Dem Vertriebler hätte | |
es „fast leid getan“. | |
## „Leider für Bild entschieden“ | |
Alex Bonilla-Cardona, Betreiber von Monsieur Renard‘s Garten in Stuttgart, | |
sagt der taz, sein Vertriebler sei eine „relativ coole Socke“. Doch die | |
Süddeutsche Zeitungszentrale habe ihn trotzdem vor die Wahl gestellt, die | |
Zeitung wieder zu verkaufen oder gar keine Zeitungen mehr zu erhalten. | |
„Leider haben wir uns für die Bild entschieden.“ Anfragen der taz zu der | |
Sache wurden von den genannten Vertriebsfirmen bislang nicht beantwortet. | |
Der Mitteldeutsche Pressevertrieb, der den Chemnitzer Supermarkt bisher | |
belieferte, leitete die Fragen der taz allerdings an den Springer-Verlag | |
weiter. Dort beruft man sich auf das Presse-Grosso-System: „Ein | |
Zeitungshändler hat, abgesehen von seiner persönlichen Meinung, eine | |
wichtige Funktion: Mit seiner Auslage ermöglicht er seinen Kunden, die | |
Medienvielfalt in Deutschland überhaupt in Anspruch zu nehmen und sich ihre | |
eigene Meinung zu bilden.“ Zu den Vorfällen bei den anderen Händlern | |
äußerte sich der Verlag nicht. | |
Immerhin eine gute Nachricht ist zu vernehmen: Der Supermarkt in Chemnitz | |
entschied sich dafür, die durch die Einstellung der Zeitungslieferung frei | |
gewordene Fläche zum Verkauf von Kinderbüchern, Malbüchern und Bestsellern | |
zu nutzen. | |
27 May 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.facebook.com/501381636616266/photos/a.557766277644468.1073741830… | |
[2] http://www.facebook.com/fireflightspaeti/photos/a.1501254840139753.10737418… | |
[3] http://www.facebook.com/taxiseichter.de/photos/a.257611674435955.1073741831… | |
[4] http://www.facebook.com/monsieurRenardsGarten/photos/a.644601625587263.1073… | |
[5] /!5014895/ | |
[6] http://twitter.com/chefreporterNRW/status/580339093235752960 | |
[7] http://www.facebook.com/501381636616266/photos/a.557766277644468.1073741830… | |
## AUTOREN | |
Marco Wedig | |
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