# taz.de -- Trendwende bei der „B.Z.“: Voll auf die Eins | |
> Die Boulevardzeitung macht neuerdings Titel, die zu Viralhits gegen | |
> Rassismus werden. Ihr Chefredakteur sieht sich als hochidealistisch. | |
Bild: Angeregtes Lesen im Boulevardblätterwald | |
Zehn Uhr durch. Der Chef der B.Z. sitzt mit seiner Stellvertreterin Miriam | |
Krekel und der 28-jährigen Blattmacherin Kim Horn in seinem gläsernen Büro. | |
Hinter ihm Fotos seiner Vorgänger in Schwarz-Weiß, Franz-Josef Wagner und | |
so. „Seite eins ist natürlich Türkei, elf Tote sind mittlerweile | |
bestätigt“, sagt Peter Huth. Was noch? Während eines Schulausflugs ist ein | |
Kind in einem See ertrunken. „Das haben wir noch exklusiv“, sagt Krekel. | |
Peter Huth, 47, hat es geschafft, dass Menschen, die sich als links | |
bezeichnen, Titelseiten der Springer-Zeitung auf ihren | |
Social-Media-Profilen teilen. Wenn die Seite eins dazu aufruft, die Zeitung | |
nach dem Lesen einem Flüchtling zu schenken, weil einige Artikel auf | |
Arabisch geschrieben sind. Wenn die Zeitung als „Einearmlänge-Verlängerung�… | |
dient und sich so über die Forderung der Kölner Oberbürgermeisterin empört. | |
Oder wenn die B.Z. nach dem ersten Spiel der deutschen Mannschaft den Witz | |
vom guten Nachbarn Boateng, den am nächsten Tag alle im Internet posten, | |
schon auf dem Titel hat. „Ich möchte zeigen, dass Zeitung geil ist“, sagt | |
Huth. | |
Also mal gucken, wie diese Einsen gemacht werden. Huth freut das. Er | |
spricht gerne mit Kritikern, die er überzeugen kann. „Der Anspruch der | |
Leser, mit der Zeitung ihre eigene Meinung zu kaufen, ist groß. Aber diesen | |
immer nur zu bedienen ist kein Journalismus.“ Schluck aus einer roten | |
Bild-Kaffeetasse. „Ich muss enttäuschen, wir machen jetzt keine klassische | |
Zeilenkonferenz. Zeitung machen ist permanente Konferenz.“ Also weiter. Die | |
David-Garrett-Geschichte sei auserzählt, sagt Huth. Der Geiger, dessen | |
Escort-Exfreundin behauptet, von ihm geschlagen worden zu sein. Da könne | |
man vielleicht noch was Lebensnahes machen: Kulturschaffende, die | |
Prostituierte trafen. Garrett in den Kulturteil? „Da kann er mehr atmen.“ | |
Krekel, die Huth Miri nennt, und die auch die Redaktion von Bild Berlin | |
leitet, liest von ihrem Handy ein Interview von Garrett aus dem Jahr 2009 | |
vor: „Das Tolle ist, dass man beim Sex auch mal grob sein kann. Mit meiner | |
Geige gehe ich viel zärtlicher um. Ein Kratzer an der Geige heilt nicht, an | |
einer Frau schon.“ Uiuiui. Raunen im Raum. „Das ist die Schlagzeile.“ Sagt | |
Huth. Wenn nichts mehr passiert, ist das der Titel. | |
## Die radikale Mitte | |
Seine Seite eins stellt Huth ins Internet, auf Twitter und Facebook – wenn | |
sie besonders gelungen ist. Die mit Garrett wird es nicht schaffen. Auch | |
nicht die ein paar Tage später, auf der ein Negativ von Ex-Trainer | |
Lewandowski seine „dunkle Seite“ verdeutlichen soll, die angebliche | |
Ermittlung wegen Kindesmissbrauchs. Angefangen hat Huth mit dem Posten der | |
Titel nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo, als die B.Z. deren „mutigste | |
Cover“ auf den Titel druckte. Das Telefon habe ununterbrochen vibriert, | |
weil die Seite so oft geteilt wurde. | |
Seitdem fällt die B.Z. regelmäßig im Netz auf. Auch weil sich Huth dort oft | |
streitet. Mit AfDlern, mit Lesern, mit Kollegen. Er schreibt da wie einer, | |
den das Argument interessiert, seine Wirkung. Der nicht nur schreibt, um | |
den Hall seiner Worte zu hören. „Ich bin hochidealistisch“, sagt er. Und | |
dass das viel Zeit in Anspruch nimmt. | |
Huth wächst als Sohn von Lokalpolitikern auf. Beide CDU. „Ich bin ein | |
liberaler Konservativer und werde in letzter Zeit schon mal als | |
‚linksextrem‘ beschimpft – ohne dass sich meine Haltung verändert hätte. | |
Das zeigt, dass sich die Gesellschaft bewegt, nicht ich. Wir stehen für die | |
Mitte, und zwar radikal.“ Hausbesetzer heißen in der B.Z. immer noch: | |
Chaoten. | |
Peter Huth hat Lederslipper an, die so hell sind, dass man kurz denkt, | |
seine Füße stünden barfuß unter dem Schreibtisch. „Als die taz als erste | |
Zeitung die 500 im Mittelmeer ertrunkenen Geflohenen auf dem Titel hatte“, | |
erzählt er, „habe ich gequietscht vor Wut“ – weil er das Thema nicht | |
erkannt habe. | |
## Weinen beim Witwenschütteln | |
„Meine liberale Haltung entwickelt sich aus Menschenliebe und Offenheit, | |
aus dem eigenen Erleben heraus.“ Und sowieso, die B.Z. sei doch schon immer | |
liberal gewesen. Und das ist dann auch irgendwie gar nicht so überraschend, | |
in einer Zeit, in der die wenigsten Zeitungen noch einem Lager zuzuordnen | |
sind. Und in der Linkssein für viele eher ein Gefühl ist. | |
Vor Huths Büro sitzen Mitarbeiter an zum Kreis gestellten Tischen. Newsroom | |
heißt das. In der Mitte Bildschirme, auf denen die beiden Websites zu sehen | |
sind und der hauseigene Fernsehkanal. 2013 sind B.Z. und Bild in ein Büro | |
gezogen. Synergie. Es wird gemunkelt, dass Huth eigentlich hätte Bild-Chef | |
werden sollen, aber Mathias Döpfner sich dann doch für Tanit Koch | |
entschieden habe. Gelernt hat Huth beim Kölner Express. Beim ersten Mal | |
Witwenschütteln musste er weinen, erzählte er kürzlich der Website | |
Übermedien. Dann fing er bei der Bild an, wurde Chef ihrer Hamburger | |
Lokalredaktion und bekam mit 33 einen Herzinfarkt. Seit 2008 ist er Chef | |
der B.Z. | |
Mittlerweile ist die Baby-Schimmerlos-Zeit vorbei. Das Internet hat dem | |
Boulevard über die Jahre den Weg frei geschossen, die Leser | |
desensibilisiert. Tendenziöse Berichterstattung, Nichtachtung der | |
Persönlichkeitsrechte? Regt kaum noch auf. Der Postillon und die | |
„heute-show“ wirken bedrohlicher für Demokratie als ein buntes Blatt, in | |
dem morgen nicht mal mehr Fische eingewickelt werden – wobei die B.Z. nicht | |
die Zeitung ist, die prozentual am meisten Leser verliert. | |
Rügen vom Presserat gibt es bei der B.Z. natürlich trotzdem noch. „Wenn wir | |
einen Fehler machen, stehen wir auch dazu.“ | |
## Er ist schnell | |
Neue Nachricht auf Krekels Handy: Peta hat die vegifreundlichsten | |
Fußballstadien veröffentlicht. Hertha und Union liegen hinten. „Bei Hertha | |
geht es immer um die Wurst“, kalauert Huth. Er ist schnell. Und wirklich | |
lustig. Seine ersten Ideen hat er am Morgen im Auto, vorher war er mit dem | |
Hund spazieren, liest dabei Spiegel Online und Facebook. Typisch Machtmann | |
auch: Mit knapp 50 noch Kinder bekommen und selbst im Urlaub mit den | |
Mitarbeitern telefonieren. Huth checkt jede Seite eins. | |
Kollegen sagen über sein Buch „Infarkt“, das 2003 erschien, die ersten 50 | |
Seiten seien das Beste, was je geschrieben wurde. In der Tat lesen sie sich | |
wie die Beschleunigung mit einem 650-PS-Auto. Er sei mal mit einem | |
Hubschrauber auf dem Wolfgangsee gelandet, um Schlittschuh zu laufen, steht | |
da, habe mit den Rolling Stones Bier getrunken. „Ich war nie frech zum Chef | |
und ich war immer da“, beschreibt er sich. | |
Seine Titel haben Preise gewonnen. Wie der ohne Schrift, auf dem die | |
Nationalmannschaft Merkel-Masken trägt. Dass die Titelzeile fehlte, war | |
lustigerweise keine Absicht – sondern ein technischer Fehler. | |
19 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Laura Ewert | |
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