# taz.de -- Dschihadisten in Kenia: Muslime als Sündenböcke | |
> Bei jedem neuen Anschlag werden die muslimischen Bewohner der | |
> Küstengebiete dafür verantwortlich gemacht. | |
Bild: Al-Shabaab-Kämpfer bei der Ausbildung in Somalia, 2011. | |
LAMU/MPEKETONI taz | „Jeder Terroranschlag verletzt die Beziehungen | |
zwischen Christen und Muslimen. Es braucht viel Mühe, um danach das | |
Misstrauen zu reduzieren“, seufzt Issa Timamy. Der Gouverneur des Bezirks | |
Lamu im Osten Kenias sitzt in seiner Residenz in einem großen Ledersessel | |
und versucht, seiner Diagnose ein optimistisches Lächeln hinzuzufügen. Der | |
Versuch scheitert. | |
Der schmale Boulevard vor seinem Haus, wo das Wasser des Indischen Ozeans | |
sanft plätschert, ist menschenleer. Verschwunden sind die Besucher in der | |
historischen Altstadt von Lamu, die auf der Liste der | |
Unesco-Welterbestätten steht. | |
Tourismus war die Haupteinnahmequelle für die Region. Aber sie grenzt an | |
Somalia, wo die islamistische Terrormiliz al-Shabaab beheimatet ist. Die | |
Shabaab ist für Dutzende von Anschlägen in Kenia verantwortlich. Im April | |
starben 150 überwiegend christliche Studenten an der Universität der Stadt | |
Garissa, als Shabaab-Kämpfer nachts die Schlafsäle überfielen. In Juni 2014 | |
töteten Angreifer im Ort Mpeketoni 48 Menschen. | |
„Al-Shabaab versucht, zwischen Christen und Muslime einen Keil zu treiben“, | |
analysiert Gouverneur Timamy. Die Regierung machte für den Angriff auf | |
Mpeketoni zunächst nicht die Shabaab verantwortlich, sondern lokale | |
Politiker: Gouverneur Timamy wurde ohne Anklage festgenommen und nach zwei | |
Tagen wieder freigelassen. Dann bekannte sich al-Shabaab zu dem Überfall. | |
## Armeefahrzeuge auf den Straßen | |
Von Lamu nach Mpeketoni sind es 20 Minuten Bootsfahrt, dann etwa fünfzig | |
Kilometer staubige Straße. Der Ort ist eine grüne Oase voller Obstbäume in | |
einer kargen, sonnenversengten Landschaft. | |
Auf den ersten Blick scheint es, dass der Alltag in Mpeketoni zurückgekehrt | |
ist. Doch beim Polizeibüro stehen außergewöhnlich viele Dienstautos und | |
Scharen von Polizisten. Auf den Straßen patrouillieren Armeefahrzeuge. An | |
der Bushaltestelle im Zentrum beobachten zwei Verkäuferinnen der nahen | |
Bäckerei genau, wer ein- und aussteigt. „Seit Juni halten wir die | |
Passagiere im Auge“, sagt eine. | |
Die muslimischen Küstenbewohner hatten nie wirklich das Gefühl, Teil von | |
Kenia zu sein. Ihr Blick war immer auf dem Ozean gerichtet, in die | |
Richtung, wo ihre Vorfahren herkamen. Sie sind meist Nachkommen arabischer | |
Kaufleute und lokaler Küstenvölker. Seit Kenias Unabhängigkeit 1963 aber | |
sind viele Menschen aus dem Binnenland an die Küste gezogen, im Bezirk Lamu | |
stammen mehr als die Hälfte der Bewohner aus anderen Landesteilen. | |
Die Neulinge bekamen schnell Eigentumstitel für ihr Land, was der lokalen | |
Bevölkerung in der Regel nicht gelingt. Muslime und Küstenbewohner müssen | |
ihre Geburtsurkunde zeigen, ebenso wie die ihrer Eltern und Großeltern, | |
bevor sie einen Personalausweis bekommen. Von anderen Kenianern wird das | |
nicht verlangt. | |
## „Auch die Muslime leiden darunter“ | |
Seit dem Anschlag von Mpeketoni gelingt es Küstenbewohnern kaum mehr, einen | |
Ausweis zu bekommen. Das trifft vor allem junge Menschen, die woanders | |
Arbeit suchen wollen. Ohne Personalausweis können sie nicht reisen und sich | |
auch nicht fürs Studium anmelden. | |
„Gewöhnliche Muslime bekommen die Schuld an allem“, ärgert sich Imam | |
Mohammed Abdulkadir in Lamu. In seinem Büro hinter einer Moschee setzt er | |
seinen Plastikstuhl zwischen Tür und Fenster, um jede erfrischende Brise | |
einzufangen. „Al-Shabaab hat nichts mit dem Islam zu tun. Es ist | |
schrecklich, dass sie unsere christlichen Brüder und Schwestern töten. Aber | |
die Muslime leiden auch darunter.“ | |
Priester James Kamau von einer der beiden katholischen Kirchen in Mpeketoni | |
erkennt die historische bedingte Unzufriedenheit. „Aber ist es nicht an der | |
Zeit, das hinter uns zu lassen? Wir müssen auch daran denken, wie sehr die | |
Bauern geschuftet haben, um aus dem Busch fruchtbares Land zu schaffen.“ | |
26 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Ilona Eveleens | |
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