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# taz.de -- Die Wahrheit: Veganer Luxusmord
> Alle Tiere haben eine Existenzberichtigung. Wirklich alle Tier? Auch
> Nacktschnecken?! Diese schleimig schäumenden Salatkeimlingvernichter?
Bild: Anhängerinnen der Lebensreform-Bewegung am Motzener See um 1920.
„Das geht ja gar nicht!“, poltert Beate los, noch ehe sie sitzt. Dabei
stiert sie auf unsere Teller, auf denen sich Berge unterschiedlichen
Meeresgetiers türmen. „Und warum?“, fragt Sylvia seelenruhig. „Weil jetzt
keine Saison für Muscheln ist?“ Verschwörerisch zwinkert sie mir zu und
dippt eine Garnele in die Mayonnaise. Sie weiß, was ich weiß. Und beide
ahnen wir, was nun kommen wird. „Für Muscheln sollte nie Saison sein!“,
proklamiert Beate.
Sie lässt eine Pause in Erwartung eines Einwands, und da Gisela wohl noch
nicht weiß, was wir wissen, erhebt sie den auch prompt: „Das mit den
R-Monaten muss man nicht mehr so eng sehen. Muscheln werden heute gezüchtet
und gut gekühlt verschickt.“ Beate lächelt zufrieden. Sie hat ihren
Aufhänger. Vielleicht hätten wir Gisela vorwarnen sollen, denn es folgt,
was in diesen Fällen immer folgt: die Mission.
Beate lebt jetzt vegan. Und wie alle, die etwas voll Überzeugung tun, neigt
sie zu Worten mit Ausrufezeichen. „Achtsamkeit! Im Einklang mit dem Leben!!
Niemand hat das Recht, Tiere auszubeuten!!!“ Ihre Stimme ist sakral.
„Gilt das auch für fiese Tiere?“, frage ich pietätlos. Denn obwohl ich
mittlerweile bei Lammbraten meine miesen Karmapunkte zähle, kann ich weder
Mücken noch Motten etwas Positives abgewinnen. „Es gibt keine fiesen
Tiere!“, verkündet Beate. „Doch: Nacktschnecken“, prescht Gisela vor.
Sylvia lacht auf, denn diese Geschichte kennen wir ebenfalls: die
effektivsten Vernichtungsmethoden für ungebetene Mitesser.
„Alle Tiere haben eine Existenzberechtigung“, schnaubt Beate, „auch
Nacktschnecken. Du musst einfach nur ein kooperatives Verhältnis zu ihnen
entwickeln. Oder bist du unbeweglicher als ein kapitalistischer
Großkonzern? Dein Garten ist riesig. Lern endlich teilen!“
Und wie alle Stürme, die unerwartet loslegen, fordert auch Giselas Konter
Opfer. An der Stelle, wo sie wild gestikulierend beschreibt, wie die fiesen
Schnecken die wehrlosen Salatkeimlinge niedergemampft hatten und zur Strafe
schleimig schäumend in einer Bierfalle endeten, kippt versehentlich ihr
Rotweinglas auf Beates weiße Bluse.
„Pass doch auf, du Trampel! Das geht nie wieder raus“, keift Beate. „60
Grad – und alles ist weg“, widerspricht Gisela und verteilt hilflos tupfend
das Dilemma nur noch weiter. „60 Grad? Das ist Seide, verdammt!“, flucht
die Vegane. „Kunstseide?“, fragt Sylvia gedehnt. „Nein, Bio, Fair Trade�…
kommt die Antwort. Wir schweigen. „Irgendwas muss man sich doch gönnen“,
erklärt Beate schließlich kleinlaut. Sylvia nickt bedächtig. „Klar. Etwas
über tausend Schmetterlingspuppen, in heißem Wasser gebrüht, für eine
einzige Bluse.“
Demonstrativ lässt sie die nächste Garnele im Mund verschwinden. „Na, dann
doch lieber in Alkohol enden. Eine Runde Campari Orange, bitte!“ Sie
schnipst in Richtung Kellner. „Aber in Campari sind doch Schildläuse drin.
Für das Rot“, wirft Beate zögernd ein. „Nö“, grinst Sylvia, „denn di…
Campari gönnen sich auch was: künstliche Farbstoffe. Zumindest die sind
also voll vegan.“
18 May 2015
## AUTOREN
Ilke S. Prick
## TAGS
Vegetarismus
Kochen
Veganismus
Tiere
Ausstellung
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