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# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Eine schwache, zersplitterte Linke
> Irland und Portugal stehen unter dem Spardiktat von EU, EZB und IWF. Doch
> ihre Sympathie für die neue Athener Regierung hält sich in Grenzen.
Bild: „Wir wollen unsere Löhne“, heißt es an einer Mauer in Alhos Vedros.
Wenigstens in einem Punkt waren sich Alexis Tsipras und seine Brüsseler
Gesprächspartner bis vor Kurzem noch einig: Sie sahen Griechenland als
Dominostein, der auf der Kippe steht. Und der, falls er fällt, andere
Steine mitreißen und ein europäisches Finanzdebakel auslösen würde. Seit
dem Sieg von Syriza bei den Parlamentswahlen vom 25. Januar fürchten sie
ein anderes Ansteckungsszenario: Es könnte sich ja die Idee ausbreiten,
dass die ganze Austeritätspolitik nicht funktioniert. Genau das hofft man
in Athen.
Welcher Dominostein fällt als nächster? Im Blick sind vor allem jene drei
Staaten, die man auf den Finanzmärkten mit Griechenland zu dem abschätzigen
englischen Akronym „PIGS“ gefügt hat: [1][Spanien mit seiner
Podemos-Bewegung] sowie Portugal und Irland. Letztere sind kleinere Länder
an der europäischen Peripherie, denen man – wie Griechenland – ein
„Rettungskonzept“ in Form von Spar- und Strukturanpassungsprogrammen
verordnet hat. In beiden Ländern stehen demnächst Parlamentswahlen an.
Glaubt man den konservativen Kreisen, die in Irland und Portugal an der
Regierung sind, würden weder Lissabon noch Dublin von einer Lockerung der
Brüsseler Politik profitieren. „Wir sind nicht Griechenland“, wiederholt
Irlands Finanzminister Michael Noonan unablässig und regt sogar an, diese
Botschaft auf T-Shirts zu drucken. 2014 verzeichnete Irland mit einem Plus
von 4,8 Prozent das höchste Wachstum innerhalb der Europäischen Union. Auch
Portugal ist dabei, „die Früchte der in den letzten Jahren verfolgten
Politik zu ernten“, meint jedenfalls EZB-Präsident Mario Draghi.
Dublin und Lissabon lehnen das Bild von einem Dominoeffekt ab und sprechen
lieber vom gemeinsamen Klassenzimmer: „Die Griechen können sich ein
Beispiel an Irland nehmen“, meint der irische Premierminister Enda Kenny.
„Schließlich sind wir die Klassenbesten.“ Diesen Titel könnte laut
Christine Lagarde allerdings auch Portugal beanspruchen. Nach einem Bericht
in El País hat die IWF-Präsidentin beim Treffen der Finanzminister der
Eurozone am 16. Februar gezielt auf den Unterschied zwischen dem „guten
portugiesischen Schüler“ und dem „Krebsgeschwür“ verwiesen (17. Februar
2015).
## Lob von Draghi und Lagarde
Aus Sicht des portugiesischen Premierministers Passos Coelho hat Lissabon
den Beweis erbracht, „die konventionelle Antwort auf die Krise
funktioniert“. Der Wirtschaftswissenschaftler Ricardo Paes Mamede ist da
anderer Meinung: „Innerhalb weniger Jahre ist unser Land stark in Rückstand
geraten. Unser Bruttoinlandsprodukt ist auf das Niveau von vor zehn Jahren
gefallen. Die Beschäftigung ist heute auf dem Stand von vor zwanzig Jahren.
Und was die Investitionen betrifft, die das Fundament für zukünftiges
Wachstum bilden, wurden wir um dreißig Jahre zurückgeworfen.“ Das zeigt
sich auch in der aktuellen Emigrationswelle, die Paes Mamede mit der vor
vier, fünf Jahrzehnten vergleicht, als in Portugal noch die
Salazar-Diktatur (1933 bis 1974) herrschte.
Der wirtschaftliche Rückschlag lässt sich auch in der Lissabonner Metro
beobachten. Jedem Besucher fällt sofort auf, dass sich alle einheimischen
Fahrgäste im vorderen Abschnitt des Bahnsteigs drängen. Warum das so ist,
merkt man, sobald der Zug einfährt. Die Waggons reichen nur für die halbe
Bahnsteiglänge, sodass die unwissenden Touristen gezwungen sind, dem
einfahrenden Zug hinterherzulaufen. „Damit soll Strom gespart werden“,
erläutert Paes Mamede. „So sieht sie aus, die Austeritätspolitik.“
Dass Portugal von der Krise derart hart gebeutelt wird, hat für Paes Mamede
seine Ursache darin, dass diese - anders als in Griechenland oder Irland -
bereits um die Jahrtausendwende eingesetzt hat. Mit anderen Worten: [2][Die
Eurokrise hat bewirkt, dass die bereits schlingernde Volkswirtschaft völlig
ins Schleudern geriet.]
Laut EU-Kommission hat Portugal zwischen 2011 und 2013 von allen
europäischen Staaten die größten Einschnitte in seine Sozialsysteme
vorgenommen. Ähnliches gilt für die Lohnkosten: Von 2006 bis 2012 ist die
Zahl der Arbeitnehmer, die nur den Mindestlohn beziehen, von 133 000 auf
400 000 gestiegen. Das sind - bei einer Erwerbsbevölkerung von rund 5
Millionen und einer Arbeitslosenquote von fast 30 Prozent - fast 15 Prozent
aller Beschäftigten.
Die Regierung möchte die Arbeitskosten zur Freude des Jornal de Negócios
künftig noch weiter drücken. Die Lissaboner Wirtschaftszeitung feierte
kürzlich die Nachricht, Portugal habe im dritten Quartal 2014 „den
stärksten Rückgang der Arbeitskosten innerhalb der EU“ verzeichnet (20.
März 2015). Und dennoch steigt, wie Paes Mamede anmerkt, die Verschuldung
weiter an, genau wie in Griechenland. 2010 entsprach die Schuldenlast noch
96,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), 2014 erreichte sie bereits
128,9 Prozent des BIPs. Mittlerweile müssen allein für Zinszahlungen 4,96
Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung aufgewendet werden. Das ist
sogar mehr, als Griechenland (3,9 Prozent) zahlt, das dank des noch
laufenden Hilfsprogramms deutlich weniger Zinsen zahlt, als Portugal für
seine Staatspapiere auf den Finanzmärkten bieten muss.
## Schlecht bezahlte Teilzeitstellen
In seinem jüngsten Länderbericht stellt der IWF fest, Portugal müsse
angesichts seiner anhaltend hohen Staatsschulden zusätzliche fiskalische
Konsolidierungsmaßnahmen einführen. Ohne diese sei der angestrebte
Schuldenabbau nicht zu erreichen, zumal die Lissaboner Regierung von zu
optimistischen Annahmen über die wirtschaftliche Entwicklung ausgehe. Für
den Ökonomen Paes Mamede zeigt sich damit, dass das Heilmittel „entgegen
den Behauptungen der Regierung nicht wirkt“.
Angesichts dessen stellt sich die Frage: Warum hat Lissabon nicht auf eine
Lockerung der vertraglichen Verpflichtungen oder auf eine Restrukturierung
seiner Schulden hingewirkt, also den griechischen Ansatz unterstützt? Für
den portugiesischen Ministerpräsidenten kommt das nicht infrage. Er will im
Gegenteil die fiskalische Disziplin noch weiter verschärfen und verkündet
deshalb: „Die Reformen der öffentlichen Finanzen und der Wirtschaft sollen
einen neuen Lebensstil widerspiegeln, den es künftig dauerhaft zu
praktizieren gilt.“
Und wie steht es in Irland? Der Ökonom Tom McDonnell vom
Wirtschaftsforschungsinstitut Nevin Economic Research Institute (Neri) in
Dublin behauptet, der jüngste Aufschwung der grünen Insel, den die vom
„irischen Model““ beeindruckte internationale Presse begeistert feiert,
werde „stark überschätzt“. Zwar beginne sich die Lage tatsächlich zu
bessern, aber das liege großenteils daran, dass „der Absturz besonders
brutal gewesen ist“. McDonnell verweist darauf, dass das irische BIP
zwischen 2008 und 2010 um mehr als 12 Prozent geschrumpft ist und im selben
Zeitraum ein Siebtel der Arbeitsplätze verloren gingen. Die seitdem neu
geschaffenen Jobs seien „in der Regel schlecht bezahlte Teilzeitstellen,
die sich zudem in Dublin konzentrieren“.
Allerdings lässt sich nicht bestreiten, dass das irische
Wirtschaftswachstum des Jahres 2014 in Paris, Lissabon und Athen durchaus
Neid erregt. Bestätigt dieses Wachstum nicht die These, dass sich
„entschlossener Reformwille“ auszahlt, wie es im US-Magazin Newsweek vom
16. März hieß? Nicht wirklich, meint Paes Mamede: „Der Unterschied zwischen
Portugal, Griechenland und Irland besteht darin, dass die beiden ersten
Teil der europäischen Wirtschaft sind, wogegen Irland wirtschaftlich im
Grunde zu den USA gehört.“
Als 1968 innerhalb der damaligen EWG die Zollschranken fielen, verlangten
die US-amerikanischen Unternehmen dieselben Vorteile, die ihren
europäischen Konkurrenten eingeräumt wurden. Irland kam dieser Forderung
nach. Und es konnte den US-Konzernen gut ausgebildete, englischsprachige
Arbeitskräfte und zudem ein attraktives Steuersystem bieten.
## Rückkehr des „keltischen Tigers“
Was das bedeutet, erläutert McDonnell in seinem Dubliner Büro: „Ein Teil
unserer Volkswirtschaft ist mit der Portugals vergleichbar und steht auch
keinesfalls besser da. Doch ein anderer Teil, der quasi von den USA in
Irland eingepflanzt wurde, zeichnet sich durch Arbeitsplätze mit hoher
Wertschöpfung aus.“ Während das Wachstum der gesamten EU 2014 bei 1,3
Prozent lag (Eurozone nur 0,9 Prozent), kamen die USA auf ein Wachstum von
2,4 Prozent. Davon profitierte auch die grüne Insel.
Die US-Enklave in Irland wurde durch die Austeritätspolitik kaum
beeinträchtigt, die übrige irische Gesellschaft dagegen hat stark darunter
gelitten. Im Oktober 2014 beklagte der Präsident der Irish Hospital
Consultants Association, Gerard Crotty, „die erheblichen Einschnitte in den
Gesundheitsbudgets“, mit der Folge einer „erhöhten Sterblichkeit der auf
ein Krankenhausbett wartenden Patienten“. Ein Sechstel der irischen
Erwerbstätigen lebt heute unterhalb der Armutsgrenze.
Das liegt vor allem an der Zunahme der Teilzeitbeschäftigung und der
sogenannten Null-Stunden-Verträge. Letztere bestimmen, dass die
Arbeitnehmer ständig auf Abruf bereit stehen müssen, wobei ihnen lediglich
die Bezahlung von fünfzehn Arbeitsstunden pro Woche garantiert ist. Wenn in
einigen besseren Wohngegenden von Dublin bereits von der Rückkehr des
„keltischen Tigers“ geschwärmt wird, ist davon im Rest des Landes noch
nichts zu spüren.
Immerhin baut Irland seine Schuldenlast - im Gegensatz zu Griechenland und
Portugal - kontinuierlich ab, was insbesondere dem hohen Wachstum zu
verdanken ist. In Sachen Schuldenabbau kann Dublin innerhalb der EU das
beste Ergebnis vorweisen: In den Jahren 2013 und 2014 ging die
Staatsverschuldung laut Eurostat um 12 Punkte auf 109,7 Prozent des BIPs
zurück. „Die irischen Zahlen sind aber irreführend“, meint McDonnell. „…
große Gewicht der internationalen Konzerne und die umfangreichen Gewinne
führen dazu, dass der tatsächliche Wohlstandszuwachs in den BIP-Zahlen
überhöht dargestellt wird.“
Dass die Verschuldung Irlands tragfähig erscheint, liegt aber auch an einem
simplen Trick: Da Dublin sich am Kapitalmarkt nicht die nötigen Mittel zur
Stützung der dahinsiechenden irischen Banken besorgen konnte, stellte die
Regierung Schuldscheine aus. Sie sollten den gefährdeten Instituten
erlauben, sich bei der irischen Zentralbank zu refinanzieren. Das Volumen
dieser Schuldscheine belief sich auf insgesamt 31 Milliarden Euro, was rund
19 Prozent des BIPs entspricht. „Faktisch handelt es sich hierbei um die
Monetarisierung von Schulden“, erklärt McDonnell. „Die Zentralbank hat
einfach auf dem Computerbildschirm 31 Milliarden Euro geschaffen.“ Solche
Transaktionen sind im Euroraum nicht zulässig.
## Berührungsängste gegenüber Syriza
Erstaunlicherweise hat die Europäische Zentralbank gegen diese Methode
nicht ernsthaft opponiert. „Die EZB war davon sicher nicht begeistert“,
meint Dominic Hannigan, Abgeordneter der irischen Labour Party im Dubliner
Parlament. Labour regiert das Land zusammen mit der Mitte-rechts-Partei
Fine Gael. Hannigan erinnert sich an die Situation Anfang 2010. „Damals
haben wir unter dem Druck aus Brüssel beschlossen, eine Garantie für die
Schulden unserer Banken abzugeben.“ Zuvor hatte EZB-Präsident Jean-Claude
Trichet den irischen Finanzminister telefonisch aufgefordert, „die Banken
um jeden Preis zu retten“. Irland war damals laut Hannigan bereit, „sich in
gewisser Weise für das restliche Europa aufzuopfern – und dafür hat man ihm
dann ein bisschen unter die Arme gegriffen.“ Eine ähnliche Hilfestellung
will man Griechenland im Jahr 2015 offenbar nicht gewähren.
Heute erwartet die EZB von Irlands Regierung, dass sie die Dinge schnell
ins Lot bringt. Dagegen würde Dublin die Rückkehr zur Normalität am
liebsten so lange wie möglich hinauszögern. Warum aber versucht man unter
diesen Umständen nicht, gemeinsam mit Athen mehr Flexibilität von Brüssel
und Frankfurt zu fordern? Die Antwort gibt der Fine-Gael-Abgeordnete Sean
Kyne: „Aus Angst, dass einem anderen Land eine Vorzugsbehandlung
zugestanden wird, während die Iren bereits eine hohe Dosis Austerität
schlucken mussten.“ Anders gesagt: Lieber nimmt man eine mögliche
Verschlechterung der eigenen Situation in Kauf, als zu erleben, dass Athen
die Nutzlosigkeit der Austeritätspolitik aufzeigt und der griechische
Dominostein den irischen umwirft.
Die Analyse der austeritätsfeindlichen Linken fällt natürlich anders aus.
Die irische Partei, die der Syriza am nächsten steht, ist die Sinn Féin,
der frühere politische Flügel der Irish Republican Army (IRA). „Der
Wahlsieg von Tsipras hat uns genutzt“, erklärt die Sinn-Féin-Abgeordnete
Mairéad Farrell aus Galway.„Er hat bewiesen, dass in Europa Parteien, die
gegen die strikte Sparpolitik kämpfen, an die Macht kommen können.“
Wie Griechenland erlebt auch Irland seit Anfang der Eurokrise den Zerfall
der Parteienlandschaft. Der Soziologe Kieran Allen erinnert daran, das die
beiden bürgerlich-konservativen Parteien, Fine Gael und Fianna Fáil,
zwischen 1932 und 2002 bei jeder Wahl rund 75 Prozent der Stimmen auf sich
vereinigt haben. „Dagegen kam Labour immer nur auf etwa 10 Prozent. Irland
war also mehr als 65 Jahre so etwas wie ein Zweieinhalb-Parteien-System.
Das scheint nun Vergangenheit zu sein.“
Am meisten profitieren konnte von dieser Entwicklung die republikanische
Sinn Féin. Schon bei der Parlamentswahl 2011 legte sie kräftig zu und
eroberte 14 der 166 Abgeordnetensitze – 10 mehr als bei den Wahlen von
2007. Im März 2014 lag die Partei in Umfragen erstmals in ihrer Geschichte
bei fast 25 Prozent, was vor Ausbruch der Krise undenkbar gewesen wäre.
## Keine einheitliche Bewegung
In Portugal dagegen ist eine ähnliche Schwächung der beiden großen Parteien
noch nicht zu erkennen. Hier ist die „radikale Linke“ – zumindest im Mome…
– offenbar nicht in der Lage, die Macht zu übernehmen. Dafür gibt es zwei
Hauptgründe. Erstens hat das Beispiel der spanischen Podemos-Partei dazu
geführt, dass unzählige Initiativen entstanden sind, die „Rezept“ nachahm…
wollen - und dabei zuweilen außer Acht lassen, dass in Portugal die
wichtigste Voraussetzung für den Erfolg von Podemos fehlt: eine Bewegung
wie die „15-M“, die am 15. Mai 2011 auf der Madrider Puerta del Sol
zunächst Hunderte, später Tausende Demonstranten zusammenbrachte.
[3][Die Besetzung des Platzes im Herzen der Stadt dauerte damals einen
ganzen Monat.] Ohne die mobilisierende und Einigkeit stiftende Bewegung
15-M wäre der Aufschwung von Podemos in Spanien nicht möglich gewesen. In
Portugal dagegen ruft jede einzelne linke Organisation zur Geschlossenheit
auf - und dennoch baut jede von ihnen ihre eigene Strukturen auf. Damit
verstärkt sich in der portugiesischen Linken das Gedränge: Da gibt es neben
der 1923 gegründeten kommunistischen Partei PCP und dem 1999 entstandenen
Linksblock (Bloco de Esquerda), der offiziell als Partner von Syriza
auftritt, inzwischen noch die Bewegungen Tempo de Avançar (gegründet 2014),
Agir und als letzte die 2015 entstandene Partei Juntos Podemos. An
Nacheiferern von Alexis Tsipras besteht also kein Mangel. Doch keiner ist
aus Sicht von Brüssel wirklich eine Bedrohung.
Dass sich in Portugal die traditionellen Parteien weiterhin an der Macht
abwechseln, hat auch mit einem anderen Phänomen zu tun: der unerhörten
Entschlossenheit der politischen Rechten, „die Ziele der Troika noch zu
übertreffen“. Genau das hatte der konservative Sozialdemokrat Passos Coelho
am Abend seines Siegs bei den Parlamentswahlen im Juni 2011 angekündigt.
Zwar hatte sich auch die Sozialistische Partei Portugals (PS) energisch und
erfolgreich für die Deregulierung und Privatisierung der Wirtschaft
eingesetzt, und es war schließlich auch ihr Vorsitzender José Sócrates, der
als Ministerpräsident den Vertrag mit der Troika unterzeichnet hat.
Dennoch liegt der frühere sozialistische Minister José Vieira da Silva
nicht ganz falsch mit dem Vorwurf, dass der PS von ihren linken Kritikern
Unrecht widerfahre. Sein Argument lautet, die Sozialisten verfolgten nicht
„dieselbe Politik“ wie Coelhos PSD (Partido Social-democrata), die das
Sozialdemokratische nur im Namen trägt. Und was steht im Programm der
„Sozialisten“? „Schon auch Austerität, aber nicht die doppelte Dosis“,
antwortet Vieira da Silva.
## Angst vorm Scheitern
Man mag an der mobilisierenden Kraft dieses politischen Fahrplans zweifeln.
Sie scheint aber doch groß genug zu sein, um die von vielen Wählern gehegte
Hoffnung auf einen „Bruch“ zu nähren. Gleichzeitig scheint es der PS auf
diese Weise zu gelingen, sich von der gescheiterten Sozialistischen Partei
Griechenlands (Pasok) wie von der Syriza abzugrenzen, die ein nach ihrem
Geschmack zu extremes politisches Programm verfolgt.
Doch auf dem linken Flügel der PS hat das Beispiel Griechenlands die
Hoffnung auf eine „andere Partei“ mit einer „anderen Politik“ geweckt. …
Brüssel und Berlin allerdings will man nicht zulassen, dass die Dinge – in
Portugal und anderswo – noch komplizierter werden. Zwar hat es Alexis
Tsipras in Griechenland an die Macht geschafft. Aber die deutsche Kanzlerin
zeigt bislang nicht die geringste Bereitschaft, eine Politik zu tolerieren,
die dem Willen der griechischen Wähler entspricht.
„Alles hängt von den laufenden Verhandlungen zwischen Griechenland und
Deutschland ab. Und das macht mir echte Sorgen“, meint Octávio Teixeira von
der Kommunistischen Partei Portugals (PCP), die bei den nächsten Wahlen mit
bis zu 10 Prozent der Stimmen rechnen kann. „Sollte sich Tsipras mit seinem
Konzept durchsetzen, wäre das für die austeritätsfeindlichen Kräfte
zweifellos positiv. Wenn er aber kapitulieren oder zu viele Zugeständnisse
machen sollte, hätte die EU demonstriert, dass keine andere Politik möglich
ist – und das wäre für uns eine Katastrophe.“
Und was passiert, wenn das Beharren der Athener Regierung dazu führt, dass
Griechenland aus der Eurozone fliegt? Dies ist ein Szenario, vor dem die
Sinn Féin sich fürchtet. Warum, erklärt Eoin Ó Broin, einer der Strategen
der Partei: „Falls Griechenland tatsächlich die Eurozone verlassen sollte,
würde sich die politische Rechte die Hände reiben und den Iren sagen:
,Genauso wird es uns ergehen, wenn ihr Sinn Féin wählt!'“
## Das weltweit größte Steuerparadies
Bis Anfang März hat der langjährige Sinn-Féin-Vorsitzende Gerry Adams bei
jeder Gelegenheit die „brüderliche Beziehung“ zwischen Sinn Féin und Syri…
hervorgehoben. Laut Ó Broin beginnt sich das zu ändern:„Über die Nähe zu
Syriza äußern wir uns seit einiger Zeit zurückhaltender.“
Dublin profitiert nicht nur von seiner Rolle als Scharnier zwischen dem US-
und dem EU-Markt, sondern auch von seiner Steuergesetzgebung, die der
Wirtschaftsfachmann Tom McDonnell als „besonders widerlich“ bezeichnet.
Irland besteuert Unternehmensgewinne mit einem Satz von 12,5 Prozent (im
EU-weiten Durchschnitt: 25,9 Prozent) und bietet eine Vielzahl von Nischen
zur „Steueroptimierung“. Heute rangiert Irland auf der Liste der weltweit
größten Steuerparadiese noch vor den Bermudas. „Unser Verhalten ist
egoistisch“, kritisiert McDonnell, „wir schöpfen Einnahmen ab, die
eigentlich in die Kassen anderer Staaten gehören.“
Zugleich profitiert Irland - beziehungsweise die reicheren Iren – auch vom
Euro. Wie Ó Broin erläutert, hat sich Sinn Féin, die sich auf die
skandinavische Version der Sozialdemokratie beruft, ursprünglich gegen den
Beitritt Irlands zur Eurozone ausgesprochen. Aber er argumentiert auch,
ähnlich wie die Syriza: „Ein Ausstieg zum jetzigen Zeitpunkt wäre äußerst
kostspielig. Über das politische Projekt der Eurozone machen wir uns keine
Illusionen. Dennoch wollen wir versuchen, sie von innen zu verändern.“
Die Maastrichter Stabilitätskriterien hält Ó Broin für verrückt und
ökonomisch unhaltbar. Aber muss der Vertrag deshalb neu verhandelt werden?
„Wir sind für eine vollständige Überarbeitung der Vertragstexte. Irland
liegt aber an der äußersten Peripherie der EU. Für die EU-Kommission zählen
wir praktisch nicht. Deshalb wollen wir künftig europäische Kernländer wie
Frankreich, die sich womöglich für mehr Flexibilität einsetzen, noch
stärker als zuverlässige Verbündete unterstützen.“
## Kapitulation à la Hollande
Das erfordert zweifellos eine gehörige Portion Geduld. Bis es so weit ist,
möchte Sinn Féin die Spielräume nutzen, die der Stabilitätspakt bietet, und
zwar ohne das irische Steuersystem zu verändern. Über das Programm seiner
Partei für die nächste Wahl sagt Ó Broin: „Es darf die wirtschaftliche
Sicherheit der davon profitierenden Bürger nicht gefährden, aber es muss
neue Arbeitsplätze schaffen.“ Er spricht von einem „sozial gerechten,
wirtschaftlich glaubwürdigen und steuerlich verantwortbaren“ Programm. Das
allerdings auch eine Koalition mit einer konservativen Partei zuließe,
sollte Sinn Féin zum Mehrheitsbeschaffer avancieren. „Manche werden uns
vorwerfen, zu vorsichtig zu sein. Vielleicht stimmt das. Die Linke hat aber
das Problem, dass sie Wahlen gewinnen muss.“
Wenn es nach Goldman Sachs geht, ist die Sinn Féin allerdings schon viel zu
radikal. Der Aufschwung der Partei stelle „die größte Bedrohung für Irlands
Wirtschaftswachstum dar“, erklärte Kevin Daly, Chefökonom der Europafiliale
von Goldman Sachs gegenüber der Irish Times. Die irische Linke versteht
nicht, warum sich die Investmentbanker wegen der Sinn Féin Sorgen machen.
Sie verweist darauf, dass die linksnationalistische Partei schon in
Nordirland, wo sie sich seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 die Macht mit
den Unionisten teilt, ein Austeritätsprogramm umgesetzt hat. Ó Broin
verteidigt sich. Die Regierung in Belfast sei nicht souverän: „London
drückt uns die meisten Maßnahmen auf. Wir können nur versuchen, sie zu
verzögern oder zu modifizieren.“
Diese Art Bevormundung, verursacht durch staatliche Verschuldung und die
europäischen Stabilitätsverträge, ist auch den meisten Euroländern
vertraut. Ó Broin wischt das Argument beiseite: „Wir kennen uns mit langen
Verhandlungen aus, denn auf dem Weg haben wir den Frieden in Nordirland
erreicht. Wir wissen, dass so etwas Zeit kostet.“
In Irland hat also die Partei, die Syriza inhaltlich besonders nahesteht,
deren kämpferischen Ton nicht übernommen. Und nichts deutet darauf hin, das
Alexis Tsipras mit mehr Unterstützung aus Portugal rechnen könnte. Dort hat
die PS offenbar gute Chancen, die nächste Wahl zu gewinnen. Und weil die
Sozialisten so stark sind, erwägen nun sogar einige der neuen
austeritätsfeindlichen Bewegungen, eine Allianz mit der PS einzugehen.
## Bruch mit der Sozialdemokratie
Doch mit welchem Ziel, fragt sich Francisco Louçã, der früher den
Linksblock koordiniert hat. „Um einen Verhandlungsversuch mit Brüssel zu
starten und auf Unterstützung aus Paris zu setzen?“ Die portugiesischen
Medien haben inzwischen den Begriff „Hollandisierung“ als Synonym für
Kapitulation eingeführt. „Das ist Irrsinn“, empört sich Louçã. Das Beis…
Griechenland zeige, dass im Euroraum keine Linksregierung toleriert wird.
Der linke Aktivist kann sich nicht vorstellen, dass eine moderate Partei à
la Pasok in Portugal das zustande bringt, was die Syriza nicht schafft, wie
sich neuerdings zeige. Die PS umkrempeln zu wollen, damit sie den Wandel in
Europa einleitet, sei eine hoffnungslose Strategie: „Syriza und Podemos
haben es gezeigt: Der einzige Weg besteht im Bruch mit der
Sozialdemokratie: der Pasok, der spanischen PSOE und der portugiesischen
PS.“
Aber bedeutet der Bruch mit der Sozialdemokratie auch den Bruch mit dem
Euro? Als Francisco Louçã noch an der Spitze des Linksblocks stand, hatte
er dieser Schlussfolgerung immer wieder energisch widersprochen.
Mittlerweile hat er seine Meinung geändert.„Es gibt keine andere Lösung“,
sagt Louçã heute.
„Der Euro hat sich als Instrument erwiesen, um den Wohlfahrtsstaat in
Europa zu zerstören“, meint der Wirtschaftswissenschaftler Paes Mamede.
„Schrumpft die Wirtschaft, bleibt den Regierungen nur eine politische
Alternative: interne Abwertung durch Kürzung von Löhnen und Gehältern.
Sobald das Wachstum wieder anzieht, kann man sie nicht zu Lohnerhöhungen
zwingen.“ Fazit: Das Europrojekt verdamme die Region zu einer permanenten
Deflation, „die weder wirtschaftlich noch politisch noch sozial tragbar
ist“.
## Die Vorstellung vom „guten Euro“
Die Situation des Linksblocks in Portugal zeigt, in welcher Sackgasse die
austeritätsfeindlichen Kräfte wenige Monate nach dem Wahlsieg von Alexis
Tsipras stecken. Weil Brüssel und Berlin substanzielle Verhandlungen
ablehnen, reicht es nicht aus, nur die Politik der EU, das portugiesische
Zweiparteiensystem oder die Korruption zu verurteilen. Vielmehr stellt sich
die Frage, welches Ziel man letzten Endes verfolgt. Darf der Kampf gegen
die Austeritätspolitik zum Ausstieg aus dem Euro führen? Das wäre für
Portugal eine problematische Perspektive, denn Europa steht zugleich für
die Rückkehr zur Demokratie nach der langen Salazar-Diktatur und für den
Zutritt des Landes zur „ersten Welt“.
Der Linksblock betont - ob aus strategischen Gründen oder aus
internationalistischer Überzeugung -, man habe die Vorstellung vom „guten
Euro“ noch nicht aufgegeben. Damit sitzt man zwischen den Stühlen, auf
denen sich PCP und PS eingerichtet haben: Während die Kommunisten immer
klarer für einen Ausstieg aus dem Euro eintreten, scheinen die Sozialisten
weiter an eine Wende unter EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu
glauben.
In dieser Situation bleibt dem Linksblock keine andere Wahl, als an seinem
Konfrontationskurs gegenüber Brüssel festzuhalten. Und das, obwohl die
Syriza bereits ihre wichtigsten Forderungen zurückgeschraubt oder
aufgeschoben hat. Unter diesen Umständen stehen die Chancen des Linksblocks
bei den Wahlen im Herbst dieses Jahres nicht besonders gut.
Derweil gibt es Anzeichen, dass Brüssel die Beziehungen Portugals zur Union
verändern will. „Die Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre verdammen
Portugal genau zu der Rolle, die man schon immer hatte, aber gerade
überwinden wollte - die des Anbieters billiger Arbeitskräfte“, meint die
sozialistische Abgeordnete Inês de Medeiros. „Europa verweist Portugal
wieder auf die Position eines subalternen Landes.“ Lässt diese
pessimistische Sicht der Dinge überhaupt noch eine Hoffnung zu? „An Europa
glaube ich noch immer. Aber es wird schwierig. Man kann Leuten, die nach
ihrer Zukunft fragen, nicht ständig sagen: ,Wahrscheinlich habt ihr
keine.'“ Das Europa unserer Tage gleicht weniger einem Dominospiel als
einem Haufen Mikadostäbchen. Wobei jeder Spieler versucht, möglichst viele
Stäbchen herauszuziehen, ohne im allgemeinen Chaos unterzugehen.
24 May 2015
## LINKS
[1] http://monde-diplomatique.de/artikel/2015/02/12/a0039
[2] /Bewegung-gegen-Sparpolitik-in-Portugal/!153437/
[3] http://monde-diplomatique.de/artikel/2012/05/11/a0059
## AUTOREN
Renaud Lambert
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