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# taz.de -- Kolumne Vollbart: Küssen oder nicht, das ist die Frage
> Das Coming-Out ist die Krönung der Emanzipation. Oder etwa nicht?
Bild: Küssen, in aller Öffentlichkeit. Wie schön!
Geständnis: Ich küsse manchmal L. auf der Straße. Überall in Berlin. In
Kreuzberg, im Westen, im Wedding und ja, sogar im gefährlichen Neukölln.
Das ist mein ganz persönliches politisches Statement. Mein persönlicher
Kiss-in sozusagen. Und das ist schon ganz schön wild. Mich machen Kiss-ins,
– also das öffentliche Küssen als Protestform – allerdings irgendwie nicht
wirklich an und ich empfinde sie auch im Jahr 2015 nicht als besonders
subversiv. Und trotzdem scheint es aber ein Dissens in Berlin zu Kiss-ins
zu geben.
Mitglieder_innen des Vereins Gladt, eine unabhängige Selbstorganisation von
türkeistämmigen Lesben, Schwulen, Bi- und Trans*Menschen außerhalb der
Türkei, beschwerten sich öffentlich über Kiss-ins, welche von Maneo („das
schwule Anti-Gewalt-Projekt“) lanciert wurden. Die Leute von Maneo
veranstalteten zum Internationalen Tag gegen Homo- und Trans*Phobie
Kiss-ins, unter anderem in Kreuzberg und Wedding. Verrückter Scheiß, mal so
richtig mutig. „Mit Kiss-ins und Regenbogenkuchenanschnitten“ soll ein
„sichtbare Zeichen gegen die noch immer andauernde gesellschaftliche
Ausgrenzung von LSBT* in Berlin, Deutschland und der Welt gesetzt“ werden.
Ja, richtig für die ganze Welt. Lasst uns hier aus Deutschland all diese
armseligen Länder erobern, ähm, retten.
Wie auch immer. Die Mitglieder_innen von Gladt waren einerseits sauer, weil
sie nicht gefragt wurden, obwohl gerade sie jahrelang
Antidiskriminierungsarbeit vor Ort leisten würden. Andererseits stellten
sie das Konzept des Kiss-ins in Frage: „Es ist eine Veranstaltung, die vor
allem von Menschen besucht werden, die geoutet sind. Das Konzept des
Outings ist ein sehr weißes und westliches.“ Und hier fing dann das Problem
an. Wie es so oft der Fall ist, drehen dann vor allem gerade die Menschen
durch, die Gladt direkt in ihrer Stellungnahme anspricht, „weiße
cis-männliche-dominierte“. Die Einmischung von Gladt sei das Gegenstück zu
einem kämpferischen „We’re here, we’re queer, get used to it“
([1][queer.de]). Wir sind nur eine Familie, wenn wir alle für die selben
Dinge kämpfen und alle Kiss-ins, Coming-outs und Öffnung der Ehe geil
finden. Ansonsten sind wir nicht mehr Teil der Familie. Ach so, eine
Bedingung noch: Deutschsein hilft natürlich auch. Kanaken nur erwünscht,
wenn angepasst.
Aber damit nicht genug. Die Leute von Gladt hatten dann auch auch noch die
Dreistigkeit, das gesamte Konzept des Coming-outs zu entwürdigen, indem sie
schrieben: „Als sei es die Krönung der Emanzipation, wenn alle wissen, wen
Mensch liebt und begehrt.“ Und spätestens hier flippen sie dann aus. Denn
das Coming-out sei schließlich eine Notwendigkeit für jeden
Emanzipationsprozess ([2][siegessaeule.de]). Noch immer gilt die Formel:
Ohne Coming-out geht gar nichts, denn sonst seien wir ja schließlich
unsichtbar. Irgendwie süß, wie die deutschen Homos mit Bekehrungsdrang ihre
Idee verteidigen und sich einen runterholen, weil sie glauben, es besser zu
wissen.
Wovon sie aber alle keine Ahnung haben, ist die sogenannte
Intersektionalität – von Mehrfachdiskriminierungen also. Und von anderen
Arten sein Begehren auszudrücken, als ein „Mama, ich bin homo“. Das
unterstelle ich ihnen jetzt alles so von außen. Ich darf das aber, nicht
nur weil ich Opfa bin, sondern weil ich auch schöner und klüger bin.
Deshalb küsse ich jetzt auch L., während ich das schreibe.
25 May 2015
## LINKS
[1] http://queer.de
[2] http://siegessaeule.de
## AUTOREN
Enrico Ippolito
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Vollbart
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Queer
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Szene
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Homosexualität
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