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# taz.de -- Joschka Fischers Biografie: Das Prinzip Härte
> "Die rot-grünen Jahre" heißt die Autobiografie von Joschka Fischer. Auf
> 443 Seiten erzählt er von seiner Zeit als Außenminister -und dem Ende
> vieler Spontiträume.
Bild: Fischers Erinnerungen: Pragmatismus statt grüne Träumereien.
Vorweg gesagt: "Die rot-grünen Jahre" ist ein - für das Genre
Politikerautobiografie - lesbares Buch. Zwar fällt Fischer oft in die
rappeltrockene, abgedichtete Diplomaten-Sprache, in der ohne Unterlass
"tiefe Sorge ausgedrückt", "erheblicher Gesprächsbedarf angemeldet" und
selbstredend jeder "Schatten eines Zweifels an der Bündnistreue vermieden"
wird. Diese Sprache hat etwas Stillgelegtes, Eingefrorenes. Sie zeigt, wie
intensiv der Code der Macht Fischer ge- und verformt hat. Vielleicht ist
diese Sprachödnis eine Art Rache, mit der die Politiker uns, das Publikum,
für die Lebensferne und Entbehrungen ihres normierten Alltags strafen.
Trotzdem: "Die rot-grünen Jahre" ist, verglichen mit der
Verlautbarungsprosa der Memoiren von Kohl und Schröder, geradezu ein
Feuerwerk an Eloquenz und Lebendigkeit.
Biografien sind Versuche, sinnvolle Erzählung zu konstruieren, in denen ein
günstiges Licht auf den Autor fällt. Joschka Fischers Erzählung von 1998
bis zum 11. 9. 2001 klingt in etwa so: Er war der entnervte Erzieher, der
die traumverlorenen Grünen immer wieder auf den Boden der Tatsachen
zurückbeorderte. "Ströbele! Immer wieder Ströbele. Dieser Meister grüner
Selbstzerstörung", stöhnt er. In dieser ironisch gebrochenen
Verzweiflungsgeste steckt die ganze Verachtung, mit der Fischer auf die
Grünen blickt: eine Bande von Quälgeistern, undankbar, im Grunde nicht
satisfaktionsfähig. Und unfähig, die Realität zu sehen.
Dahinter schimmert ein Bildungsroman durch: Als Roman Herzog ihm die
Ernennungsurkunde überreicht, ist der Flüchtlingssohn ohne Abitur und
Ex-Sponti Joseph Fischer endlich oben angekommen. Das Ministeramt ist die
offizielle Bestätigung, dass alle seine Wandlungen richtig waren. Jetzt ist
er Teil der wirklichen Welt, jenseits von Spontiträumen und grünen
Parteitagsreden. Und hier regiert das Prinzip Härte. "Sind wir Grünen hart
genug?", fragt sich Fischer 1998.
Sein Start als Außenminister ist nicht einfach. Das Außenministerium ist
traditionell konservativ - und dies lassen einige Beamte den früheren
Linksextremisten Fischer spüren. Bei einem Treffen fehlen geheime
Nato-Dokumente, die man offenbar dem Minister vorenthalten will. Fischer
tobt, erfolgreich. Seine erste bemerkenswerte Tat ist es, sich gegen die
atomare Erstschlagsdoktrin der Nato starkzumachen. Das steht im rot-grünen
Koalitionsvertrag, vernünftig ist es auch, zudem ein Zeichen, dass Rot-Grün
nicht alles genauso machen wird wie Kohl. Doch das interessiert die
US-Regierung wenig. Fischer muss klein beigeben. Beim Nato-Gipfel etwas
später stimmt Deutschland sogar dafür, dass die atomare
Nato-Erstschlagdoktrin bleibt. Es ist ein Desaster. "Ich hatte mein
ministerielles Lehrgeld zu bezahlen gehabt", schreibt Fischer. Mag sein,
dass dies eine Art Schlüsselerlebnis war: Wer sich mit den USA anlegt,
dabei auch noch auf eigene Faust handelt, verliert. Danach geht Fischer
Konfrontationen mit der US-Regierung aus dem Weg.
Wenn man diesen Erinnerungen glaubt, dann dürfen wir uns Außenminister
Fischer fortan als einen Pragmatiker der Macht vorstellen, der gelernt hat,
nur das Mögliche im Sinn zu haben. Von anderen Politikern, etwa Otto
Schily, unterscheidet ihn, dass er Fehler zugeben kann. Keine
fundamentalen, aber immerhin. "Die rot-grünen Jahre" erzählt chronologisch
vom Wahlkampf 1998 bis zum 11. 9. 2001. Das interessanteste Kapitel
schildert die Eskalation im Kosovo-Konflikt und die hektischen
diplomatischen Versuche, den Krieg zu verhindern. Fischer listet die ernst
gemeinten Versuche der USA auf, Miloðevic zum Nachgeben zu bewegen. Er
beschreibt Miloðevic volltönenden Irrtum, die Nato werde in Serbien ihr
Vietnam erleben. Er argumentiert - im Ton zu scharf, aber im Kern richtig -
gegen linke Fundis, die bloß US-Kriegstreiber am Werk sehen. Denn es gibt
kein Öl im Kosovo, sondern muslimische Kosovaren, die lange von Serben
unterdrückt wurden. Am 26. Januar 1999 telefoniert Fischer mit der
US-Außenministerin Albright. Miloðevic müsse alle Bedingungen der Nato
erfüllen, sagt Albright, " or we bomb". Fischer ist "leicht schockiert". Er
versucht, Russland "im Boot zu halten" und den Eskalationskurs der USA
vorsichtig zu dämpfen. Es ist alles umsonst. Das berühmte Treffen von
Rambouillet erscheint bei Fischer als Farce: Weder Miloðevic noch die
kosovarische UÇK wollen eine Einigung.
So beginnt der Bombenkrieg - aber die Lage ändert sich kaum. "Die Nato
setzte darauf, dass Miloðevic unter Druck die Vereinbarung von Rambouillet
unterschreiben würde. Aber was, wenn nicht? Worin bestand der Plan B? Es
gab keinen", schreibt Fischer erstaunt. Kriege sind immer leicht zu
beginnen und schwer zu beenden. Fischers Konsequenz ist klar: Weiter so.
Die Nato muss geschlossen handeln. Keine Bombenpause. Das Prinzip Härte.
Wer Fischers Kosovo-Schilderungen ohne Scheuklappen liest, sieht keinen
militaristischen Agitator am Werk, sondern einen Politiker, der im Strudel
der Ereignisse versucht, das Schlimmste zu verhindern. Seine anfänglichen
Skrupel sind glaubwürdig, sein historisches Verdienst besteht darin,
unermüdlich Russland einzubinden. Das hat handfesten Wert. Denn der Krieg
endet nach 78 Tagen; auch, weil man in Belgrad begreift, dass Russland
Serbien nicht retten wird. Auf Fischers Habenseite steht auch der
Stabilitätspakt für Südosteuropa, trotz der deprimierenden Wirklichkeit im
UN-Protektorat Kosovo 2007.
Joschka Fischer war in den 90er-Jahren ein Fürsprecher des Konzepts der
Zivilmacht Deutschland, die bescheiden im Hintergrund agieren sollte. Die
selbstkritische Überprüfung, ob der Kosovokrieg der Zivilmacht Deutschland
wirklich genutzt hat, sucht man in "Die rot-grünen Jahre" allerdings
vergebens.
Zudem gibt es eine Reihe von beredten Auslassungen: Kein Wort fällt über
die Vertreibung der Serben aus dem Kosovo nach dem Sieg der Nato. Die
"Kollateralschäden", die zivilen Opfer der Nato-Bomben, werden mit
diplomatischen Floskeln bedauert. Kein kritisches Wort, dass der
Bombenkrieg unverhältnismäßig ist. Keine Andeutung, dass Fischer versucht
hätte, die USA zu mehr Vorsicht bei der Bombardierung zu bewegen. Und keine
überzeugende Auseinandersetzung damit, dass der Kosovokrieg faktisch ein
Angriffskrieg und Bruch des Völkerrechts war. Wo es wirklich weh tut,
schweigt Fischer.
Merkwürdig abwesend ist in diesem Panoramablick die Dritte Welt. Mal wird
pflichtgemäß von einer Afrikareise Bericht erstattet, mal unverbindlich
geklagt, dass die Millenniumsziele zur Armutsbekämpfung unverbindlich sind.
Mehr nicht. Nichts über die schändliche Praxis der EU, mit subventionierten
Lebensmitteln die Märkte in Afrika zu zerstören. Nichts über die
Waffenexporte, die unter Rot-Grün florieren. Das Moralische, das
Kerngeschäft der Grünen, bleibt eine großflächige Leerstelle.
Der grüne Politiker Fischer war stets ein Widerspruch. Keiner hat das
Gesicht der Grünen stärker geprägt, kein Grüner war je populärer. Keiner
hat die Verwandlung von einer linksalternativen in eine bürgerlich-liberale
Partei so forciert wie er. Und doch hat er, von Beginn an, bei den Grünen
stets gefremdelt. Jetzt gibt er, als Staatsmann a. D., via Stern und
Spiegel der Partei schlechtgelaunt Tipps, wie sie sein Erbe ordnungsgemäß
zu verwalten hat. Es ist kein Wunder, dass die Grünen sich taub stellen.
4 Oct 2007
## AUTOREN
Stefan Reinecke
Stefan Reinecke
## TAGS
Serbien
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