# taz.de -- Fischer und Schröder: Die agilen Pensionäre | |
> Ihr Ego ist groß und Öffentlichkeit ist ihr Lebenselexier. Warum Joschka | |
> Fischer und Gerhard Schröder keine würdevollen elder statesmen abgeben | |
> können. | |
Bild: Fischer und Schröder: Politik in den Genen und Sucht nach Aufmerksamkeit. | |
Das Projekt Demokratie ist vom Projekt Aufstieg nicht zu trennen. | |
Schließlich ist eines der zentralen demokratischen Versprechen die | |
Chancengleichheit: Jeder sei seines Glückes Schmied, mit der richtigen | |
Einstellung und Anstrengung sei, unabhängig von Elternhaus, | |
Glaubensbekenntnis, ja selbst Bildung, in dieser Gesellschaft alles zu | |
erreichen. | |
Wenige haben diesen Anspruch so kraftvoll verkörpert wie die beiden | |
Vormänner der letzten Regierung. Der eine, Sohn einer Kriegerwitwe, die die | |
Familie zeitweise mit Putzen über die Runden bringen musste, der andere - | |
Filius eines früh verstorbenen Schlachters mit Emigrationshintergrund -, | |
der sich, ohne große Schulbildung und Berufsabschluss jahrelang | |
buchstäblich durchs Leben schlug ("Putztruppe"): beide sind Ikonen des | |
demokratischen Aufstiegs. | |
Gerhard Schröder und Joschka Fischer sind, als klassische Selfmademen, | |
bestens mit den für radikale Aufsteiger typischen robusten | |
Verhaltensstrukturen gesegnet. Und beide sind so stark mit politischen | |
Genen ausgestattet, dass man sich nach dem sudden death des rot-grünen | |
Bündnisses und dem Verlust ihrer Staatsämter fragen musste, womit sie denn | |
nun, im besten Politikeralter, ihr weiteres Leben füllen würden. | |
Diejenigen, die sich von ihnen erhofft hatten, sie würden die noble Rolle | |
des elder statesman nehmen, sehen sich getäuscht. Und enttäuscht. Denn | |
sowohl die durch die Untiefen der großen Koalition schlingernden | |
Sozialdemokraten als auch die heillos gespaltenen Grünen hätten durchaus | |
Bedarf an einer ratgebenden politischen Vernunft, die sich aus der Distanz | |
zum politischen Tagesgeschäft entfaltet. Beide könnten eine graue Eminenz, | |
die sich im Hintergrund hält, aber die Aktiven am Schatz ihrer Erfahrung | |
teilhaben lässt, gut gebrauchen. Der viel geschmähte Helmut Kohl hat diese | |
Rolle ohne Zaudern angenommen, und - um aufs internationale Parkett zu | |
gehen - Politiker wie Bill Clinton krönen ihre politische Vita activa mit | |
dem metapolitischen Engagement des elder statesman. | |
Warum ist das für Schröder und Fischer keine Option? Die Gründe dafür mögen | |
mit ihrem Aufstiegsschicksal zusammenhängen. Als politische Pensionäre tun | |
sie nun endlich das, was ihnen verboten oder versagt war. Sie vollenden den | |
Lebenszyklus des Aufsteigers mit der späten Erfüllung alter Träume: | |
Schröder, indem er gradlinig das macht, was einem "Sozi" vermeintlich nicht | |
zusteht, nämlich ordentlich Kohle schaufeln, ohne allzu genau hinzuschauen, | |
woher sie kommt. Fischer arbeitet intensiv daran, die ewig eiternde Wunde | |
des homo novus zu verarzten: Er holt die Bildungssegnungen und kulturellen | |
Weihen nach, die ihm das Leben versagt hatte. Für den Autodidakten und | |
Schulabbrecher, der seine politische Karriere im Umfeld linker | |
Studentenverbände begann, ist eine Gastprofessur in Princeton, mit der er | |
es den akademischen Großkopfeten endlich gründlich zeigen kann, weitaus | |
attraktiver als die öffentlichkeitsferne, unspektakuläre Funktion eines | |
"politischen Weisen". | |
Dass sowohl der Exkanzler als auch sein Außenminister in ihren Parteien | |
nicht unbedingt wohlgelitten sind, mag hinzukommen. | |
Das postpolitische Leben der beiden Köpfe des Projekts Rot-Grün wirft indes | |
noch einmal ein Schlaglicht auf dessen psychosoziale Kontur. Was als | |
Zusammengehen der neuen und alten sozialen Bewegungen gefeiert wurde, hatte | |
- in der Verkörperung durch Schröder und Fischer - immer auch etwas von | |
machohaft pubertärer Kraftmeierei. Die beiden Politaufsteiger sind, jeder | |
auf seine Weise, auf die Imago des jugendlichen Machers festgelegt. Mit | |
vielen, die durch Achtundsechzig geprägt sind, haben sie das Unglück | |
gemein, nicht alt werden zu können. Denn Alter war für den damaligen Blick | |
auf die eigenen Väter untrennbar mit Schuld verknüpft. Die Rolle dessen, | |
der ohne die Gratifikationen des öffentlichen Glanzes doch der res publica, | |
der "öffentlichen Sache", in rahmengebender generativer Funktion | |
verpflichtet bleibt, setzt aber voraus, sich vom inneren Bild des juvenilen | |
Himmelsstürmers zu verabschieden. Nichts spricht dagegen, mit 60 Jahren | |
noch einmal "etwas Neues zu beginnen", wie Fischer im Spiegel-Interview | |
sagt. Wenn es jedoch dem Beweis des ungebrochenen jugendlichen Elans und | |
der Fähigkeit, immer noch die Jüngeren zu überflügeln, dienen soll, ist es | |
nur das endlose Spiel des narzisstischen Aufsteigers. | |
Insofern mag Fischer sogar Recht haben, wenn er sagt: "Mein Ego braucht | |
kein Amt und keine Bodyguards." Es braucht nur die öffentliche | |
Aufmerksamkeit, gleichgültig in welcher Rolle. | |
4 Oct 2007 | |
## AUTOREN | |
Christian Schneider | |
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