# taz.de -- Berliner Adventskalender: Levetzowstraße 20 | |
> In dem Eckladen, der sich etwas großspurig "Flower Factory" nennt, wird | |
> die "Kunst floraler Gestaltung" ausgeübt. | |
Jedes Haus hat eine Nummer. Doch was dahintersteckt, wissen nur wenige. Zum | |
Glück gibt es Adventskalender: Da darf man jeden Tag eine nummerierte Tür | |
öffnen - und sich überraschen lassen. | |
Ein Blumenladen? Ein Blumenladen. Warum auch nicht? Es gibt Leute, die | |
gehen ständig in so einen Laden. Andere, die mit romantischen Vorstellungen | |
schon früh abgeschlossen haben oder abschließen mussten, betreten natürlich | |
äußerst selten so ein Geschäft. Um die Weihnachtszeit herum vielleicht, um | |
Mutter oder Großmutter eine Freude zu kaufen. Oder wenn sonstige | |
bürgerliche Zwänge aufkommen, man zu Hochzeiten oder zu einer Erstkommunion | |
geladen ist. | |
In der Levetzowstraße 20 gibt es einen Eckladen, der sich etwas großspurig | |
"Flower Factory" nennt. Hier wird die "Kunst floraler Gestaltung" ausgeübt, | |
wie auf einem Schild zu lesen steht. Hier gibt es Eventfloristik, | |
Hochzeitsfloristik, Trauerfloristik und sonstige florale Geschenke. Im | |
Laden müffelt es etwas; statt Buntheit herrscht so ein dringliches Rot vor, | |
ein dunkles Weinrot. | |
Um die Ecke stehen dann weiße Blumen. Rotweiß, das sei halt die | |
weihnachtliche Kombination, erklärt die freundliche Frau, die den Laden | |
schmeißt. Also sieht der Laden rotweiß aus. Welche Blumen gehen denn so zu | |
Weihnachten? Koniferen, sagt sie, Zapfen, Kiefern, Amaryllis. Koniferen | |
sind Kiefernartige. Klar. Amaryllis sind hübsche, helllila Blumen, so | |
genannte Rittersterne. Aha. Und was noch? Na, die Christrose. Und allen | |
voran natürlich der Weihnachtsstern. Macht sich immer gut, so zu | |
Weihnachten. | |
Ansonsten könne man natürlich auch Rosen kaufen, sagt die freundliche Frau, | |
Rosen gehen bekanntlich immer. Und was passiert nach Weihnachten, wird da | |
umgestellt? Ja, natürlich, da fliegt das Programm raus. Weihnachtssterne | |
werden dann keine mehr verkauft. Wer einen umsonst abgreifen möchte, sollte | |
also nach Weihnachten kommen. | |
Der Laden wirkt wie viele Blumenläden ein bisschen gedrungen und dunkel. | |
Die Belegschaft hört einen Regionalsender, nach irgendeiner abscheulichen | |
Musik laufen die Simple Minds, "Dont You Forget About Me", was mich an | |
frühe Freundinnen erinnert. Eine weitere, diesmal männliche Fachkraft | |
bedient zwei junge Frauen in der weißen Abteilung. Es gibt sie also noch, | |
die romantische Idee eines Blumenkaufs. Die beiden jungen Frauen beugen | |
sich über ein paar Blumen. Sieht nett aus. Im Durchschnitt gibt Normalkunde | |
übrigens so 15 Euro aus, für einen Strauß oder ein Pflänzchen. | |
Die "Flower Factory", übrigens keine Kette, sondern ein Indie-Blumenladen, | |
gibt es hier seit sieben Jahren. Die Levetzowstraße 20 hat aber noch mehr | |
zu bieten. Eine Glaserei nämlich und ein Geschäft für "Pelz & Ledermoden". | |
In der Glaserei hat man von der taz noch nie etwas gehört. Dafür hängt ein | |
Glaskunst-Weihnachtsmann für 1.000 Euro an der Wand. Glückwunschkarten kann | |
man hier auch kaufen. Die Frau hinter der Theke berlinert heftig, aber das | |
hat die Frau im Blumenladen auch getan. Hier scheint Berlin noch in | |
Ordnung, heißt: seit 50 Jahren im selben Zustand oder sogar seit 80. Auf | |
den Klingelschildern finden sich nur deutsche Namen. | |
Das Haus selbst ist ein etwas plumper Altbau auf der Ecke zur Jagowstraße. | |
In den so gedrungen wie wuchtigen Balkons oben stehen kleine Tannenbäume | |
oder Weihnachtsmänner aus Plastik. Schaut man von hier aus die | |
Levetzowstraße nach links, sieht man die Goldelse schimmern. | |
Es ist eine etwas verlorene Ecke im vergessenen Stadtteil Moabit. Es gibt | |
hauptsächlich Durchgangsverkehr, nur ein paar verstohlene Passanten gehen | |
in Richtung der Bushaltestelle oder zur Spree, um einen nachdenklichen | |
Spaziergang zu machen. Ich folge ihnen. | |
20 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
René Hamann | |
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