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# taz.de -- Berliner Adventskalender: Kolonnenstraße? Nein, lieber: Bäumerpla…
> Weihnachten auf dem Friedhof? Die Geburtsstation ist der Ort!
Es war nicht meine Idee. Es war die vom Chef. Am 24. Dezember, meinte er,
soll eine Tür aufgehen, die zu den leisen Orten der Stadt passt.
Still-nachtig, heilig-nachtig, alles schlafend. Ihm schwebte ein Friedhof
vor. In der Kolonnenstraße 24 gäbe es einen mit passender Nummer.
Der "Alten Zwölf-Apostel-Friedhof" ist offen. Umzäunt von Fabriken, Schulen
und Wohnhäusern, öffnet sich der Blick vom Tor aus auf das, was für
getragene Stimmung sorgt: Winterbäume, Grabstätten, Steine, Mausoleen,
Lichter, ein Glockenturm und jede Menge Engel. Versteinerte Engel sind es.
Solche, die niemals fliegen.
Nichts ist leichter, als sich auf einem Friedhof der Melancholie
hinzugeben. Da wandert man durch den winterlichen Raureif an Grabstätten
vorbei, auf denen Namen stehen, die einmal zu Leuten gehörten. Leuten, die
etwas getan haben. Gutes? Schlechtes? Nicht wichtig - doch wichtig. Als
Echo bleibt der Name. "Fröhlich" steht da auf einem Grabstein. Auf einem
anderen "Freund"? Kann, wer so heißt, ein schrecklicher Mensch sein? Und
"Puff" oder "Speck" - was ist mit denen? Oder gar "Gott"? Ja, wirklich:
Gott ist hier begraben. Nicht weit vom Eingang.
Auch die Engel. Wie vergessene Liebhaberinnen stehen sie auf dem Friedhof
herum. Manche trauern. Manche erheben den Blick. Die meisten schauen zu
Boden. Wie jener am Grab von Warthmüller: Seine runden, frischen Brüste
überstrahlen die Totenruhe. Denn dieser Engel ist kein Engel, sondern eine
Muse. Nein, keine Muse, ein Aktmodell mit Flügeln. Die Freunde des 1895 mit
36 Jahren Verstorbenen haben ihn spendiert.
Inschriften können das Raunen des Ortes zudem zum Schwingen bringen.
Allein, die, die hier ihre Angehörigen vergruben, hatten kein Händchen
dafür. Zu protestantisch wohl. Wenn man das weiß, hat der folgende Spruch
plötzlich Sinn. "Sein Leben war köstlich, denn es ist Mühe und Arbeit
gewesen." Die Widmung steht auf einem Grab in den Nähe von "Gott".
Wider Erwarten werde ich einmal doch fündig. Bei den "Müllers" natürlich:
"Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; Aber die Liebe ist
die Größte unter ihnen" zitieren sie aus dem Hohen Lied der Liebe.
Liebe - das ist das Stichwort. Denn jetzt mal im Ernst: Die Friedhofsidee
funktioniert nicht. Der Ort ist falsch. Weihnachten ist das Fest der
Geburt. Da feiert man, dass es losgeht. Nicht, dass es aufhört. Eine
Geburtsstation muss her. Eine mit der Hausnummer 24.
Die Augen-zu-und-durch-Methode hilft. Sie geht so: Ich mach die Augen zu,
schlage das Geburtsstationenverzeichnis auf, mache sie wieder auf, und
schon steht die passende Adresse da: Bäumerplan 24. Die Adresse des St.
Joseph-Krankenhaus in Tempelhof ist das. Ganz in der Nähe des Friedhofs.
Wie gerufen kommt sie.
Auch auf der Geburtsstation ist die Tür offen. Denn beim Geborenwerden und
Sterben bewacht niemand das Tor. Der Empfangsraum ist in Gelb. An der Wand
drei Bilder. Eins zeigt eine vergrößerte, gelbe Blüte. Die anderen beiden
sind Großaufnahmen der Samenkapsel und der Blütenknospe. Samen, Knospe,
Blüte - darum gehts.
Aus einem der Zimmer dringt das herzzerreißende Weinen eines Neugeborenen.
Nein, es ist kein Weinen, es ist Schreien und Heulen und Zittern und
Aufbegehren. "Ja, schrei Kleiner, schrei", denke ich. "An Weihnachten
geboren, sollst du die Welt retten. Weil wir zu blöd dazu sind."
24 Dec 2007
## AUTOREN
Waltraud Schwab
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