# taz.de -- Adventskalender: Boothstraße 17 | |
> Jedes Haus hat eine Nummer. Doch was dahintersteckt, wissen nur wenige. | |
> Zum Glück gibt es Adventskalender: Da darf man jeden Tag eine nummerierte | |
> Tür öffnen - und sich überraschen lassen. | |
Dass an dieser Stelle die Wiege eines alten Menschheitstraums steht - von | |
der Erde in die Lüfte bis zum Himmel fliegen zu können -, glaubt heute auf | |
den ersten Blick niemand. Einst wohnte hier der Flugpionier Otto | |
Lilienthal. Sein Haus ist umgestaltet worden, die Boothstraße Nummer 17 im | |
Stadtteil Lichterfelde ist jetzt ein Alten- und Pflegeheim. Man blickt von | |
den Zimmern ins Grüne. Modern ist das Heim und funktional gestaltet. Es | |
riecht nach Putzmittel und Alten. Diese bewegen sich langsam, sitzen oder | |
liegen in Betten. Hier fühlt man sich schwer - ein Gegenteil vom Fliegen. | |
Den erdenschweren Alten, die in der Boothstraße zumeist nur noch auf den | |
Tod warten, ist dieses Geschichtchen vom 17. Adventstürchen gewidmet. Es | |
handelt von einem Träumer und Genie, von Mobilität und dem Beginn der | |
Luftfahrt. Und es handelt vom Tod. | |
Es ist kein Geheimnis, dass Otto Lilienthal der erste Mensch war, der sich | |
mit selbst gebauten Flugapparaten in die Lüfte erhob. Weniger bekannt ist, | |
dass der im Revolutionsjahr 1848 in Anklam geborene Otto erst Karriere | |
machte als Maschinenbauer; ab 1883 betrieb Lilienthal mit seinem Bruder | |
erfolgreich eine Fabrik für Dampfmaschinen in Berlin. Zudem erwarb er als | |
Erfinder ein ganze Reihe von Patenten und machte als tätiger Mitbegründer | |
der Freien Volksbühne und als sozial Engagierter von sich reden. | |
Otto Lilienthals eigentliches Denken, Fühlen und Handeln gehörte aber dem | |
systematischen Erkunden des Vogelflugs und dessen technischer Nachahmung. | |
Die menschliche "Fliegekunst" war der Traum dieses modernen Prometheus. Als | |
er 1885 das 2.500 Quadratmeter große Grundstück in der Boothstraße 17 | |
kaufte und für sich, seine Frau und die vier Kinder sein Wohnhaus baute, | |
ging er im Garten die ersten praktischen Flugversuche an. Für die Versuche | |
diente ein mit gewachstem Baumwollstoff bespannter Weidenholzrahmen. Die | |
"Tragflächen" hatten jeweils 6,60 Meter Spannweite. Lilienthal begann mit | |
Stehübungen gegen den Wind, gefolgt von Sprüngen vom Sprungbrett im Garten | |
des Hauses. Heute ist der Garten mit einem Nebengebäude des Heims deutlich | |
kleiner als damals. Darum hier zur Erinnerung: | |
"Zunächst hatte ich mir in meinem Garten auf einem grösseren Rasenplatze | |
ein Sprungbrett angebracht, welches sich nach und nach erhöhen liess und | |
von welchem ich mit dem Apparate den Absprung übte. Die anfängliche Höhe | |
betrug einen Meter und wurde bis auf zwei Meter vergrössert. Auf dem | |
Sprungbrett konnte ein Anlauf von 8 m Länge genommen werden. Durch wenig | |
Uebung gelangte man dahin, die Flügel beim Sprunge so zu halten, dass ihre | |
Tragfähigkeit eine möglichst grosse wurde. Das Endresultat an dieser | |
Versuchsstelle war ein 6 bis 7 Meter weiter Sprung von 2 Meter Höhe, wobei | |
man beim Sprunge selbst das Gefühl hatte, als ruhe der Körper in der Luft | |
mit seinem Gewichte auf dem tragenden Apparate." | |
Lilienthal schwebte. Natürlich reichte der Garten nicht. Ab Sommer 1891 | |
suchte Lilienthal geeignete Flugplätze im Berliner Umland. 1894 ließ er in | |
Lichterfelde einen 15 Meter hohen Hügel aufschütten, der bald als | |
"Fliegeberg" in aller Munde war. Insgesamt baute Lilienthal 21 | |
Flugapparate, darunter Flügelschlag- sowie Segelflugapparate, | |
Gleitflugzeuge und verschiedene Doppeldecker, die ihn über 250 Meter weit | |
trugen. | |
Am 9. August 1896 stürzte Lilienthal bei Stölln am Gollenberg ab und starb. | |
Seine Geschichte und die Schrift von 1889 "Der Vogelflug als Grundlage der | |
Fliegekunst" machten ihn unsterblich. Mit Lilienthal wird es einem | |
leichter. | |
16 Dec 2007 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
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